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Bauernproteste in Deutschland: „Sie säen und ernten nicht, aber wissen alles besser“

Ein städtisches Publikum, das weder Weizen von Roggen noch Pflug von Egge unterscheiden kann, will Landwirten über Verordnungen ihre Betriebsweise vorschreiben.

© Bettina Hagen
Was für Bilder aus Hamburg, Hannover, Lüneburg, Oldenburg – volle Straßen, Traktoren überall im gesamten Nordwesten. Ebenso im Süden – in Stuttgart, Freiburg sowie Bayreuth und München.

Zehntausende Bauern setzten sich auf ihre Traktoren und fuhren in die Städte. Viele starteten mitten in der Nacht, Autobahnen sind für Traktoren tabu, und da fährt auch ein noch so wütender Landwirt selbst im Protest nicht drüber. Anders als ihre niederländischen Kollegen dies vor einer Woche getan haben.

Volle Innenstadt in München, Münster und Hannover. Vor Oldenburg staute sich Schätzungen der Polizei ein Treckerkorso von 15 Kilometer Länge auf. 1.200 Treckerfahrer seien nach Oldenburg gekommen.

In Würzburg wurde die Bauerndemonstration abgebrochen: Es waren zu viele Landwirte mit ihren Traktoren in die Stadt gekommen. Geschätzt 1.500 bis 2.000 Traktoren verstopften die Stadt.

Die zentrale Kundgebung war in Bonn. Dort versammelten sich rund 5.500 Demonstranten und 2.000 Landwirte mit Traktoren. Es kam es zu erheblichen Verkehrsstörungen, Stadtbahn und Busse wurden teilweise unterbrochen. Aus dem Westen rollte ein etwa zehn, aus dem östlichen Bereich etwa sechs Kilometer langer Traktor-Konvoi nach Bonn herein.

»So geht es nicht weiter!« riefen Vertreter der Landwirte. Aus dem Landwirtschaftsministerium kam immerhin Staatssekretär Hermann Onko Aeikens und bekräftigte: »Wir müssen mehr miteinander reden, mehr zuhören!« Er versuchte, um Verständnis für die Agrarpolitik zu werben. In Brüssel bekomme er zu hören, wie viel besser die Dänen und die Holländer Agrarpolitik betrieben. »Wenn ihr das nicht hinbekommt, dann müssen wir von der EU euch zeigen, wie es geht«, meinte er und fügte hinzu: »Ich muss sagen, dass das nicht vergnügungssteuerpflichtig ist.« Er hätte indessen kurz erwähnen können, dass auch heute wieder die niederländischen Bauern gegen die Agrarpolitik auf die Straße gehen – ungleich heftiger allerdings als die deutschen Berufskollegen. Und er hätte Kritik an den Werten äußern können, mit denen Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium Deutschland als Hort des miserabelsten Grundwassers darstellen.

Mit einem solchen Erfolg hätten die Veranstalter der Proteste wohl selbst nicht gerechnet. »Ich bin schlichtweg überwältigt!« rief eine Organisatorin in Bonn. Die Bauern sind kampfesmutig: »Die Zeit der Geschichten, der nicht eingehaltenen Worte, sind vorbei!«

»Wir wollen das nicht mehr so!« Und: »Wir lassen uns nicht mehr mundtot machen!« Bemerkenswert, dass diese deutschlandweiten Protestaktionen mit Teilnehmern in einer solch großen Zahl ausschließlich über die sozialen Medien organisiert wurden.

Die Verbände mit ihren vorhandenen Organisationsstrukturen hielten sich auffallend zurück – ebenso wie die Politik. In Bonn ertönte eine lautes Buh- und Pfeifkonzert, als ein Redner »herzliche Grüße von Julia Klöckner« überbringen wollte. Sie sei leider verhindert, weil in Berlin am Nachmittag eine Diskussion über Agrarpolitik stattfinde. Lediglich im ARD Mittagsmagazin äußerte sie Verständnis für die Bauern.

»Ich bin sauer«, ruft ein Landwirt in Bonn ins Mikrofon und liest einen Twitter-Eintrag von Bundesumweltministerin Svenja Schulze vor: »Ich bin jederzeit bereit zu einem Gespräch!« Und fügte unter Hohnlachen an: »Ja, Svenja, wo bist Du? Wir sind gekommen …!«

Die hatte bereits ein paar Tage zuvor die Einladung des Deutschen Bauernverbandes zu einem Gespräch über die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland abgelehnt und in recht eigenwilliger und unangebrachter Arroganz verkündet: »Die Zeit, in der Umweltministerinnen »bitte, bitte« sagen oder anderen ständig auf die Füße treten mussten, ist vorbei. Jetzt sind alle Ministerien Klimaschutzministerien.«

Das belegt zugleich, welch kräftigen Hebel sie mit der Klimadrohung in der Hand zu haben glaubt, mit dem sie alles erschlagen will. Lediglich in München ging Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber zu den Bauern auf die Demonstration und verteidigte in einer Rede mit ehrlichen und mutigen Worten vor den aufgebrachten Bauern die Politik der CSU beim bayerischen Volksbegehren.

»Es ist mir eine Ehre, heute hier sein zu können. Ich weiß, dass viele meiner Kollegen heute den Tag abgesagt haben. Aber wenn nicht wir in Bayern uns solidarisch zeigen würden mit den Bauern, dann wäre vieles noch, noch viel schlimmer. Und ich weiß, dass Sie heute ganz andere Töne von mir erwarten. Aber eines sage ich Ihnen vorweg: Ich werde die Wahrheit hier oben sprechen, und ich werde auf keinen Fall – auch wenn es manchmal kritischer ist – Ihnen nach dem Mund reden.«

»Es stimmt einfach: Es ist eine tiefe Spaltung. Und wenn davon gesprochen wird, dass selbst bei uns in der Partei es Bewegungen gibt, und es ein Kontra gibt, dann sieht man, dass diese Spaltung nicht nur zwischen Stadt und Land gegeben ist. Nein, sie gilt auch für eure berufsständischen Verbände, sie gilt auch für uns als Partei. Das muss man zusammenführen. Deswegen habe ich großen Respekt vor dieser Versammlung heute … deswegen darf ich erst einmal vergelt’s Gott sagen!«

Bei ihrer Rede wurde das gesamte Dilemma deutlich. Es ist lauten NGOs, radikalisierte Tierschützern und städtischen Grünen gelungen, mit inhaltsleeren, aber hoch emotionalen Kampfbegriffen wie Klimawandel, Insektenschutz, Überdüngung, Massentierhaltung all diejenigen auf einen Gegenpol zur Landwirtschaft zu bewegen, die davon genauso viel Ahnung haben wie die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie frisst. Ein städtisches Publikum, das weder Weizen von Roggen noch Pflug von Egge unterscheiden kann, will Landwirten über Verordnungen ihre Betriebsweise vorschreiben.

Kaniber: »Man kann von dieser Staatsregierung halten was man will; man kann von der CSU halten, was man will. Aber eins sag ich Ihnen: Ich bitte Sie: Kommen Sie auch mal in den Bayerischen Landtag hinein und hören Sie genau rein, wer für Sie noch die Fahne hochhält. Da gibt es politische Mitbewerber, die durchaus nur noch über das Tierwohl und die Bienen reden. Aber niemand redet von den Bauern.«

»Liebe Bäuerinnen und liebe Bauern! Was glauben Sie eigentlich, wie hätten wir uns heute entschieden, wenn wir vor einem Monat im September diesen Volksentscheid in Bayern hätten durchführen müssen? Was glauben Sie, wie hätte diese Bevölkerung, diese Verbraucherschaft, für wen hätten sie sich entschieden: Für den Umweltschutz oder für unsere Bauern? Eindeutig für den Umweltschutz. Deswegen haben wir versucht, ein Zeichen zu setzen und gesagt: Wir müssen das Ganze entschärfen, indem wir sagen: Wir nehmen das an und verbessern es! Wir haben auch versucht, die Praktikabilität möglich zu machen.«

Zuvor hatten Landwirte wie Georg Mayerhofer ihre Wut über die neuen Verordnungen und Reglementierungen in die Menge gerufen. Mayerhofer griff auch vehement die Medien an, die durch sehr einseitige Berichterstattung für die Stimmung gegenüber den Landwirten mitverantwortlich sein.

Mayerhofer: »Es sind ja heute viele Medienvertreter da. Die haben auch eine Verantwortung. Medien und NGOs verunglimpfen häufig unser Tun und zeigen dabei meist nur völlig verkürzte und unvollständige Bilder unserer Branche.« Die Resonanz bei den Landwirten: Ein lautes Hup- und Pfeifkonzert.

Er fuhr fort: »Teile der Politik treiben einen Keil in die grüne Branche. Aussagen wie »Ackergifte und Trinkwasservergifteter« beherrschen deren Rede. Das können wir uns so nicht gefallen lassen!«

Hier findet man weitere Impressionen und Videoausschnitte aus München.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, begrüßte in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse eher unterkühlt die Aktionen: »Wir haben volles Verständnis für die Demonstranten und sind solidarisch, solange die Aktionen gewaltfrei bleiben«.

Rukwied: »Es ist einfach zu viel, was die Politik den Bauernfamilien zumutet.« Der Aktionsplan Insektenschutz der Bundesministerinnen Svenja Schulze (SPD) und Julia Klöckner (CDU) habe das Fass zum Überlaufen gebracht. »2,3 Millionen Hektar Fläche wären von erheblichen Einschränkungen betroffen.«

Er erwartet weitere Proteste: »Ich kann mir vorstellen, dass wir nicht nur am Dienstag Proteste erleben werden, sondern auch in den darauffolgenden Wochen.«

Das Verhältnis der Landwirte zu ihren Berufsverbänden ist ablehnend. Reine Forderungen nach mehr Geld für die Landwirtschaft wollen sie nicht. Sie werden dadurch zu willenlosen Empfängern von Wohltaten, die sich von einer ins uferlose explodierten Bürokratie aus Sozialarbeitern und Juristen sagen lassen müssen, was sie zu tun haben. Sie wollen frei nach den Standards ihre Höfe bewirtschaften, die sie während ihrer fachlich sehr qualifizierten Ausbildung erlernt haben.

Zu den NABU-Aktivisten las man die bäuerliche Einschätzung: »NABU und BUND Aktivisten – nein, wir gehören nicht zusammen!«

Zum Schluss rief ein Sprecher bei der Bonner Veranstaltung aus: »Wenn wir keine Wirkung haben sollten – »Dann kommen wir wieder! Ganz einfach!«

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