Tichys Einblick
"Auslistung" von Büchern

Auch der Buchhandel übt sich in Volkspädagogik

Nach den öffentlich-rechtlichen Sendern, diversen großen Zeitungen und Magazinen sowie mehreren Verlagen entdecken nun auch Buchsortimenter den Erzieher in sich. Der Buchkäufer soll nicht zu Gesicht bekommen, was der Händler für verwerflich hält.

Ein neues Beispiel der medialen Volkspädagogik entnehmen wir dem Börsenblatt – Fachmagazin der Buchbranche (Ausgabe vom 6. August 2020), das uns erst jetzt in die Hände fiel. In diesem Wochenmagazin, das als Verbandsorgan des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels nach eigenen Angaben eine Auflage von 10.000 Stück hat, geht es in einem großen Artikel um das Thema „Auslistung im Onlineshop: Zwischen Meinungsfreiheit und Zensur.“ Allein der Titel sagt schon alles: „Auslistung“!

Es beginnt gleich mit einem Zitat zweier „Börsenblatt“-Redakteurinnen namens Sabine van Endert und Sabine Cronau – hervorgehoben in einem großen Kasten und grau unterlegt. Auf die Überschrift „Und tschüss …“ folgt erst der scheinheilige Satz: „Ohne Meinungsfreiheit keine vielfältige Branche.“ Was mit Meinungsfreiheit aber gemeint ist, wird umgehend erläutert: „Trotzdem will nicht jede Buchhandlung Titel von aggressiven Verschwörungstheoretikern oder neurechten Verlagen verkaufen. Individuelle Sperroptionen sollen jetzt für mehr Gestaltungsspielraum im Onlinesortiment sorgen.“ Mehr „Gestaltungsspielraum“!

Ganz authentisch geht es dann weiter. Die Inhaberin einer Krimibuchhandlung im ostfriesischen Leer wird zitiert: „Ich kriege Pickel bei der Vorstellung, dass bestimmte Dinge in meinem Namen verschickt werden.“ Der Sprecher der „IG Meinungsfreiheit“ (so etwas gibt es) assistiert: „Es leuchtet ein, dass alles andere auch eine Umkehrung der Meinungsfreiheit wäre.“ Und alle „Buchhändler*innen“ (sic!) scheinen begeistert. Jedenfalls kommen im genannten Heft keine anderen Meinungen zu Wort. Ein Buchhändler Patrick Musial aus Recklinghausen meint: „Sehr gut! Ganze Verlage sperren zu können, auch in der Bibliografie im Laden, wäre natürlich auch toll. Müssen ja nicht nur Kopp und Konsorten sein …“ Buchhändlerin Birgit Lingmann aus Bergisch Gladbach schließt sich an: „Super! Werden wir sicher nutzen.“ Und die Sortimenter machen fleißig mit: „Libri“ mit seinen etwa 700 Webshops will kurzfristig eine Sperrliste für Artikelnummern erstellen. „E-Commerce-Solutions von KNV“ als größter Buchgroßhändler bietet bereits 1.300 Partnerbuchhandlungen die Möglichkeit, komplette Verlage aus ihrem Angebot zu entfernen.

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„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Neu ist all dies nicht, es passt ins Bild und ins System der inflationär um sich greifenden Unkultur der „cancel culture“. Politisch Inkorrektes soll eliminiert („ausgelistet“) werden. Monika Maron ist ein Beispiel dafür, wie das auf der Ebene der Verlage, hier des Fischer-Verlages, geschieht. Thilo Sarrazin ist auch ein prominentes Beispiel. Den Verfasser von Millionenbestsellern wollten bisherige Verlage nicht mehr haben, wiewohl sie eine Menge Geld mit Sarrazin gescheffelt haben. Man ließ sogar die Belegschaft des Verlages gegen Sarrazin abstimmen, ob man sein neues Buch „Der Staat an seinen Grenzen“ verlegen solle. Besonders „mutige“ Buchhändler stellen „Sarrazin“ oft schon gar nicht mehr in ihren Auslagen aus. Dort ist „Sarrazin“ – wenn überhaupt – zur „Bückware“ unter dem Ladentisch geworden. Oder nehmen wir den Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera (Universität Kassel) mit seinem Buch „Klimawandel im Notstandsland – Biologische Realitäten widerlegen politische Utopien.“ Er musste 2020 zu einer Druckerei nach Luxemburg auswandern, weil er als „umstritten“ gilt und in Deutschland keinen Verlag fand.

Anderes Mittel, ähnliches Motiv: Man streicht willkürlich einen Erfolgsautor von einer Bestsellerliste. Zum Beispiel das 2017 posthum erschienene Bändchen aus der Feder des Universalgelehrten Rolf Peter Sieferle mit dem Titel „Finis Germania“. Der Titel erklomm rasch die Bestsellerliste des Spiegels bis auf Platz 6. Weil das verantwortlichen Leuten des Relotius-Blattes nicht gefiel, verschwand der Titel aus der Bestsellerliste.

Noch ein aktuelles Beispiel: Karsten D. Hoffmann sagte zum Autor dieser Kolumne über sein aktuelles und hochbrisantes Buch „Gegenmacht. Die militante Linke und der kommende Aufstand“ (für dessen Veröffentlichung er 40 Verlage abklappern musste): „Auch mit der Vermarktung gibt es Probleme … Bei den großen Online-Versandhäusern wird das Buch nur sehr zögerlich in das Programm aufgenommen. Bei Amazon war es im ersten Monat nur über einen Drittanbieter mit zwei Wochen Lieferzeit erhältlich.“ Eine Rezension zu diesem Buch findet sich in Kürze auf TE. Der Autor dieser Kolumne hat im übrigen als Käufer von Büchern wiederholt erlebt, dass der Buchhändler – entgegen alltäglicher Praxis – ein bestimmtes Buch nicht von heute auf morgen besorgen konnte, weil der Grossist es gar nicht führte und die Bestellung unmittelbar an den Verlag gerichtet werden musste.

Der französische Philosoph Michel Foucault (1926 – 1984) würde zu all dem wie in seiner Vorlesung von 1970 mit dem Titel „Die Ordnung des Diskurses“ sagen: Wenn der Gebrauch der Meinungsfreiheit unberechenbar zu werden droht, dann muss sie eingehegt werden. Jedenfalls geschieht hier im vorauseilenden Gehorsam etwas, was in Orwells „1984“ mit Zwang von oben („Big Brother“) geschieht. Bestimmte Dinge, Schriften, Verfasser, Menschen werden einfach „vaporisiert“, eingedampft. Hier in Deutschland erfolgt das brav-freiwillig: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ (CDU-Werbung zur Bundestagswahl 2017). Die Medien werden sich damit wohl nicht in den Ruin manövrieren, denn irgendeinen staatlichen Rettungsschirm wird es schon geben.

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