Tichys Einblick
Katastrophe im Ahrtal

Malu Dreyer sorgte sich in der Flut um den Auftritt des Kandidaten Scholz

Malu Dreyer (SPD) hat geschlafen: Während der Ahr-Flut, im Wiederaufbau, in der Aufklärung des Regierungsversagens. Nur einmal war sie hellwach: als sie ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz an der Ahr in Szene setzte.

IMAGO / photothek
Ihr Lächeln. Nichts ist so entwaffnend wie das Lächeln Malu Dreyers (SPD). Wenn die Landesmutter es aufsetzt, vermittelt es den Rheinland-Pfälzern das Bild einer warmherzigen Frau, die sich um nichts mehr sorge, als um das Wohl und Wehe ihres Landeskindes. Genau das, mit dem sie gerade redet. Sie gehe über Leichen, sagen indes ehemalige Weggefährten über sie, wie der frühere rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel (SPD).

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134 Tote hat es in Rheinland-Pfalz gegeben. Während der Flutkatastrophe an der Ahr und ihrer Nebenflüsse. Darunter ein Dutzend wehrloser Menschen in einem Behindertenheim in Sinzig. Sie wurden nicht rechtzeitig evakuiert. Gegen 3 Uhr, in der Nacht zum 15. Juli, riss die Flut sie in den Tod. Da war Malu Dreyer für ihren Innenminister nicht erreichbar. Da war die Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) ebenfalls nicht erreichbar. Eine zielgerichtete Koordination hat es zwischen den Verantwortlichen in der Regierung nicht gegeben.

Das wird deutlich aus dem SMS-Austausch zwischen Dreyer und dem damaligen Innenminister Roger Lewentz (SPD), den der Untersuchungsausschuss jetzt öffentlich gemacht hat. Um 21.42 Uhr sorgte sich demnach Dreyer um Spiegel, die sei „echt ein bisschen nervös“, ob man die Ministerin denn informieren müsse. „Sie hat ein eigenes Lagesystem“, weist Lewentz diesen Vorschlag ab. Das genügt Dreyer. Sie antwortet ihrem Minister: „Ok. Schönen Abend.“

Schöner Abend: Gegen 21.42 Uhr steigt der Polizeihubschrauber in die Luft, der die Bilder dreht, die heute zeigen, wie verheerend sich die Flut entwickelt. Eine Flut, von der Wetterdienste schon Tage vorher gewarnt haben, dass sie genau so verheerend werden könnte. Um 21.42 Uhr leben die wehrlosen Menschen im Behindertenheim in Sinzig noch. Doch Lewentz und Dreyer halten es schon für zu viel Aufwand, die Umweltministerin auch nur zu informieren – geschweige denn, sich mit ihr zu beraten. Stattdessen wünschen sich Dreyer und Lewentz einen schönen Abend – Verantwortung im Tiefschlaf.

Kommentar zu Roger Lewentz
Der Rücktritt von Malu Dreyers Innenminister war längst überfällig
Um 0.58 Uhr wird Lewentz nervös, bemerkt, wie falsch er gelegen hat: „Liebe Malu, die Lage eskaliert. (…) Es kann Tote geben/gegeben haben.“ Menschen seien in ihren Häusern eingesperrt, riefen mit Lichtzeichen verzweifelt um Hilfe. Gegen 3 Uhr sterben die Menschen im Heim in Sinzig. Um 5.33 Uhr meldet sich Dreyer bei Lewentz zurück: „Lieber Roger, ich bin wieder erreichbar.“ Um 9.53 Uhr ergreift die Ministerpräsidentin die Initiative zu einem Thema, das ihr wirklich wichtig ist: „Olaf hat sich gemeldet. Er fragt, was Sinn macht. Ob er irgendwo hinkommen kann und soll?“

Olaf kann. Dreyer lässt ihren Kanzlerkandidaten Scholz schon am nächsten Tag ins Ahrtal „irgendwo hinkommen“. Nun beginnt das Staatsschauspiel Trauer an der Ahr. Im Szenebild verborgen liegen noch die nicht gefundenen Leichen. Wer Malu Dreyer vorwirft, sie könne nur lächeln, tut ihr bitter unrecht. Malu Dreyer kann auf Befehl auch betroffen gucken. Das kann sie eigentlich noch viel besser. Der künftige Kanzler kandidiert mit „Mitgefühl“ und „Solidarität“ im Katastrophengebiet um sein neues Amt. Dreyer steht im Hintergrund. Die Miene passt zu dem Scholz-Auftritt, vorbildlich – eine Politiker-Übung, die der andere Kanzlerkandidat, Armin Laschet (CDU), verpatzt. Sein Grinsen an der Ahr gehört zu den Gründen, warum er die Wahl zwei Monate später verliert.

„Ministerpräsidentin Dreyer versucht krampfhaft den Eindruck zu erwecken, als ob sie mit alledem nichts zu schaffen hätte“, sagt CDU-Landeschef Christian Baldauf der „Bild am Sonntag“. Obwohl sie mit dafür verantwortlich sei, dass die Regierung in der Flutnacht nicht miteinander kommuniziert habe: Die hat doch ihr eigenes Lagesystem. „Ok. Schönen Abend.“

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