Tichys Einblick
Chronik des laufenden Wahnsinns III

Abschlussbericht vom Grünen-Parteitag der EKD

Es war ein Aufbäumen der Wirklichkeitsverweigerung: Der Evangelische Kirchentag demonstrierte seine Staatsgläubigkeit und Staatsnähe. Er trifft damit den medialen Zeitgeist - aber löst Widerspruch in den kritischen Sozialen Medien aus.

(L-R) Chairman of the Council of the EKD and Bavarian regional Bishop Heinrich Bedford-Strohm, former President of the United States of America Barack Obama, German Chancellor Angela Merkel and president of Church Congress Christina Aus der Au arrive for a discussion on democracy at Church Congress on May 25, 2017 in Berlin

© Steffi Loos/Getty Images

„Der Berliner Kirchentag Ende Mai war ja wieder ein Paradebeispiel: Bis auf die Obama-Show mit Merkel hatte man ja den Eindruck, auf einem Grünen-Parteitag zu sein. Unter den rund 2.500 Veranstaltungen gab es ja nichts, was es nicht gibt.“

Der das sagt, ist Peter Hahne in der Printausgabe von TE, gelernter Theologe und berühmt geworden als Mister Heute beim ZDF und langjähriges Mitglied in Führungsgremien der Evangelischen Kirche. Ja, es gab allerlei. Viel Aufmerksamkeit fand die Veranstaltung „Oversexed and Underfucked – Lust und Sexualität, Mythen und Realität“. Nun ist es einfach sich aus der Fülle der Veranstaltungen etwas herauszugreifen und daraus Schlüsse zu ziehen – es gab auch das Gegenteil von „Underfucked“. Merkwürdig, dass der Abschlußgottesdienst schlecht besucht war und mehr grüne Flecken zeigte als Teilnehmer. Vermutlich ist Gottesdienst echt „underfucked“, und sicherlich fällt der EKD dazu bald etwas ein.

Einer der Höhepunkte war eine Andacht von Margot Käßmann; wegen der regen Teilnahme musste in eine 5.000 Menschen fassende Halle umgezogen werden. Der Kernsatz ihrer Predigt hallt nach:

„Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern: ‚Da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht‘.“

Das sagte sie tatsächlich. Nachdem sie dafür in Zeitungen bejubelt wurde, protestierten Kritiker im Netz. Erst am Sonntag versuchte sie im Nachhinein ihre Darstellung zu korrigieren und den Kontext beschönigend darzustellen:

Die Forderung der AfD nach einer „Erhöhung der Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung“ entspreche dem „kleinen Arierparagrafen der Nationalsozialisten: Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern: Da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht“. Ihre Aussage wollte sie demnach direkt auf das familienpolitische Programm der AfD bezogen wissen. Aber die hat die deutschen Großeltern nicht im Programm – klarer Fall von Fake-News, die nicht dadurch besser werden, dass die notorische Scharfmacherin an ihren eigenen Worten nachträglich herumdeutelt. Sie mag es so gemeint haben, wie sie nachträglich behauptet. Aber Käßmann hat ihre unklare Ausdrucksweise sehr klar formuliert – auch wenn es ihr jetzt peinlich ist und sie „zornig“ zu sein behauptet.

Wie wir aus den Geschichtsbüchern wissen, brauchte man in Nazi-Deutschland einen Arier-Nachweis. Es gab „ganze“ Deutsche, „halbe“ und Vierteldeutsche. Wer nicht „ganz“ war oder wenigstens „halb“, für den wurde es lebensgefährlich. Eigentlich hatten wir diesen Rassismus hinter uns gelassen, niemand fordert ihn, nur Käßmann spricht davon in unklaren Bezügen und klarem Kontext.

Verlangt die gewesene evangelische Bischöfin Margot Käßmann jetzt indirekt einen „Nicht-Arier-Nachweis“? Diese Fragen sollte sie schon deutlich und entschuldigend beantworten und nicht Kritiker ihrer unbedachten Äußerungen beschimpfen.

Nur wer den umgekehrten Abstammungsnachweis der historischen, echten Nazis führen kann, ist heute kein neuer Brauner? Gibt es jetzt „Ganz-Braune“, also die mit zwei bio-deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern? „Viertel-Braune“, wenn wenigstens ein guter Nichtdeutscher dabei war? Käßmann legt das zumindest nahe, kein gutes Zeichen für die Frau Botschafterin des Lutherjahres. Nicht das Gemeinte entscheidet, sondern das Gesagte.

Schlimm genug, was die Kirchenfunktionärin da vor sich hinschwurbelt. Schlimmer: 5.000 Zuhörer klatschen begeistert. Warum sind so viele begeistert, wenn sie abstammungshalber beschimpft werden? Aber nicht nur im „Sportpalast“ war ihr der Begeisterungssturm zur totalen Abneigung gegen sich selbst groß.

Der Kirchentag weiß sich in Übereinstimmung mit Politik und Medien. Da wurde man selbst gefeiert, und was den verzückten (neudeutsch: oversexed) Blick auf die Innenwelt hätte stören können, ausgeblendet. In den Jahren vor der Wende waren die Ostberliner Kirchen Orte des Widerstands. Heute der Staatsunterwerfung.

Wenig war von kritischen Tönen zu hören, etwa über Christenverfolgung, das ist echt underfucked im neuen Sprech der EKD. Das hätte die Harmonie gestört. Ganz im Sinne der braven Staatskirche trat der Innenminister Thomas de Maizière ausgerechnet mit einem islamischen Geistlichen auf und erklärte, der Islam, wenn er denn ein aufgeklärter, europäischer und der Demokratie zugewandter Islam sei, tauge als Kitt der Gesellschaft. „Ja, könnte man anfügen, wenn das Eichhörnchen eine Giraffe wäre, dann müsste es nicht die Bäume hochklettern, sondern könnte gleich anfangen zu naschen“, spottet Alexander Wallasch über das hätte, könnte, sollte eines aufgeklärten Islam, dessen weniger aufgeklärte Anhänger in der Kirchentagswoche Blutbäder in Manchester und südlich von Kairo angerichtet hatten; am letzteren Ort gezielt gegen Christen. Nur kurz hielt man inne, als ausgerechnet Barack Obama davon sprach,  „dass die Terroristen bereit sind, genau hier und jetzt eine Bombe detonieren zu lassen. […] Ich möchte euch und eure Kameraden vor sinnloser Gewalt beschützen, meine Töchter und alle Menschen auf der Erde.“

Ansonsten tagt der Kirchentag wohl behütet von Polizisten und in abgeschirmten Podien, damit ja nur die lästige Wirklichkeit nicht über die frommen Sprüchler hereinbreche, die sich so einig sind, wie man nur einig sein kann, wenn man alle Realität ausblendet.

Kurz flackerte ein Stück grausige Realität zwischen kurzen Hosen, orangenen Schals und Birckenstock-Sandalen auf. Die AfD-Vertreterin Annette Schultner wurde buchstäblich niedergesungen – das Halleluja dröhne, damit kein kritisches Wort mein Ohr erreiche. Eigentlich sollte diese Partei und ihre Mitglieder doch exkommuniziert werden; ein Brauch, den sonst nur Katholiken pflegen. Aber bei so viel selbstgeglaubtem Allerlei drängt das Nicht-Gewollte von den bekämpften Rändern in den Vordergrund. Und so entspannte sich per Twitter, nicht am psalmodierenden Ort, eine kurze heftige Diskussion über Christenverfolgung, nachdem man doch eigentlich „Christenverfolgung nicht dramatisieren“ soll, wie Bischof Markus Dröge vielfachen Mord und Unterdrückung zu verharmlosen forderte. Das Bischofswort wurde flugs getwittert:

Nun hagelte es doch Protest in den hochschießenden Harmonieweizen. Jens Spahn, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium beispielsweise konterte:

Aber da war es schon zu spät. Der Tweet der Kirche wurde schnellstens gelöscht. Eine Entschuldigung oder Rechtfertigung kam dann zwar, auf Twitter gefühlt meterlang. Aber auch da erfuhr der Kirchentag die Wirkung der neuen Medien: Sie sind kritisch und direkt, statt staatsnah und „embedded“. Wirklichkeit läßt sich eben doch nicht Wegbeten.

So viel pfäffische Verdruckstheit – der Geist Martin Luthers jedenfalls war nicht anwesend. Der hätte vermutlich gesagt: „Deine Rede sei ja oder nein.“

Nachtrag:

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers  berichtete auf ihrer Homepage wie folgt von der Rede:

„Reformationsbotschafterin Margot Käßmann hat in einer Bibelarbeit auf dem Kirchentag in Berlin die AfD angegriffen. Die Forderung der rechtspopulistischen Partei nach einer höheren Geburtenrate der „einheimischen“ Bevölkerung entspreche dem „kleinen Arierparagrafen der Nationalsozialisten“, sagte die ehemalige hannoversche Landesbischöfin am Donnerstagmorgen. „Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern: ‚Da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht’“, kritisierte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter tosendem Beifall.“

Man merkt es wird nicht besser, je mehr Käßmann dazu sagt, wie sie die Forderung nach einer höheren Geburtenrate benennt. Käßmann spricht für sich.