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2020 – das Jahr der Risiken

Durchwachsene Wirtschaftsaussichten, höhere Lebenshaltungskosten, politische Umbrüche: was Sie für das kommende Jahr wissen müssen.

Durchwachsene Wirtschaftsaussichten, höhere Lebenshaltungskosten, abnehmende Stromversorgungssicherheit

imago Images / Getty Images

Möglicherweise werden die Zwanziger nicht so golden wie die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Ein paar Lichtblicke gibt es trotzdem: Vorerst droht keine Rezession. Dafür gibt es andere Unsicherheiten. TE nennt die fünf wichtigsten.

Strompreis: es wird immer teurer

Im neuen Jahr steigt die Umlage zur Subventionierung der erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) von 6,405 auf 6,756 Cent pro Kilowattstunde. Damit dürften die Strompreise für Privatkunden und Wirtschaft – ohnehin die höchsten in Europa – weiter klettern. Für 2020 rechnen die Netzbetreiber mit insgesamt 23,9 Milliarden Euro, die von den Verbrauchern hin zu den Betreibern von Windrädern, Solar- und Biogasanlagen für Öko-Strom umverteilt werden, der an der Börse nur 2,3 Milliarden Euro wert ist.

Insgesamt beträgt die Steuer- und Abgabenlast auf jeder Kilowattstunde bei Haushaltsstrom 53 Prozent. Das bedeutet: durch einen Anbieterwechsel ist in der Regel nicht viel zu sparen.

Erst ab 2021 soll die EEG-Umlage nach den Vereinbarungen des so genannten Klimapakets wieder sinken. Allerdings wird diese Senkung aus Steuermitteln finanziert – also auch von den Verbrauchern.
In der Strompreiserhöhung liegt vor allem ein Risiko für Unternehmen und Arbeitsplätze. Energieintensive Unternehmen – etwa der Polysilizium-Hersteller Wacker AG aus Burghausen –kündigten schon 2019 an, die Verlegung von Teilen der Produktion ins Ausland zu prüfen.

Blackout: es wird unsicherer

„Nie war die Energieversorgung in Deutschland teurer und unsicherer als genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die EU-Kommission ihren ‚Green Deal’ ins Werk setzen will“, meinte der CDU-Politiker Friedrich Merz erst vor Kurzem in einem „Welt“-Gastbeitrag. Der Zusammenbruch der Stromversorgung in einer Großregion wird 2020 wahrscheinlicher. Schon im September 2019 hatte das Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen McKinsey in seinem Energiewende-Report eine deutliche Verschlechterung der Versorgungssicherheit in Deutschland festgestellt. Allein im Juni 2019 kam es demnach an drei Tagen zu einer gefährlichen Unterdeckung in der Stromversorgung von bis zu sechs Gigawatt – was der Leistung von 12 durchschnittlichen Kraftwerksblöcken entspricht. Nur durch schnelle Stromimporte konnten die Netzbetreiber einen Blackout verhindern.

Die Anlagen zur Erzeugung von grundlastfähigem Strom werden nach den Plänen der Bundesregierung weiter schwinden. Am 31. Dezember 2019 Ende der Betrieb des Kernkraftwerk Philippsburg 2. Bis 2022 sollen schrittweise sechs Gigawatt Steinkohle-Kapazität stillgelegt werden. Das neugebaute Steinkohle-Kraftwerk Datteln 4 darf voraussichtlich nie ans Netz.

Das wachsende Risiko eines größeren Blackouts sieht auch das Bundesinnenministerium. Es stellte kürzlich 33,5 Millionen Euro für das Technische Hilfswerk (THW) bereit, mit dem 670 zusätzliche dieselbetriebene Notstromaggregate beschafft werden sollen. Weitere 35,6 Millionen erhält das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe für den Aufbau einer „zivilen Verteidigung“. Das sieht allerdings nur vor, eine Lebensmittel- und Wasserversorgung für etwa 5.000 Personen für den Fall eines flächendeckenden Blackouts zu schaffen.

Für Privatleute empfiehlt es sich, nicht auf den Staat zu hoffen, sondern selbst vorzusorgen. Zahlreiche Anbieter offerieren mittlerweile Notfall-Boxen mit lange haltbaren Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten.

Minus-Zinsen: Bedrohung für das Ersparte

Noch betreffen Minus-Zinsen nur Besitzer von größeren Geldeinlagen, in der Regel erst ab 100.000 Euro. Das könnte sich 2020 ändern. Denn die neue EZB-Chefin Christine Lagarde will am Zins von Null und dem negativen Einlagenzins festhalten. Den Einlagenzins für Geschäftsbanken könnte die EZB sogar noch weiter nach unten drücken. Das würde die deutschen Banken, die extrem vom Zinsgeschäft abhängen und sich ohnehin in einer schwierigen Lage befinden, im Jahr 2020 dazu zwingen, Strafgebühren auch von Kontoinhabern mit kleinerem Vermögen zu verlangen.

Nach dem dem Monatsbericht der Bundesbank für November 2019 meldeten schon 23 Prozent der von ihr befragten Banken einen „negativen volumengewichteten Durchschnittszinssatz“ für ihre Sichteinlagen. Das entspricht einem Viertel der Einlagen privater Haushalte bei deutschen Banken. „Negative Zinsen werden hier vor allem von Großbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken berechnet“, stellte die Bundesbank fest, die für ihre Übersicht 220 Geldhäuser befragt hatte.
Unternehmen, die Bargeld geparkt haben, trifft der Minus-Zins jetzt schon hart. 58 Prozent der befragten Institute hatten einen negativen Durchschnittszinssatz auf Sichteinlagen von Firmen gemeldet, heißt im Bundesbankbericht. Die Summe der Einlagen bei diesen Instituten entspricht 79 Prozent des gesamten Sichteinlagenvolumens von Unternehmen bei deutschen Banken.

Sparern bieten sich immerhin einige Wege, um ihr Vermögen einigermaßen zu schützen. Zum einen vor allem dividendenstarke Aktien: es gibt durchaus Papiere, die eine Dividende von fünf Prozent und mehr ausschütten. Oft handelt es sich um so genannte Blue Chips – solide Aktien, die auf lange Sicht selbst bei Börsenturbulenzen wertstabil bleiben. Unternehmen wie Total, Bayer und BASF zählen zu den zuverlässigen Ausschüttungsgaranten.
Außerdem empfiehlt es sich, ein Teil des Vermögens in Gold zu investieren. Das wichtigste Argument gegen das Edelmetall – Gold bringt keine Zinsen – gilt schon länger nicht mehr. 2020 könnte es heißen: Gold kostet wenigstens keinen Strafzins.

Wirtschaftslage: keine Rezession, aber …

Die Rezession ist vorerst abgesagt: für 2020 erwartet das ifo-Institut eine Steigerung des deutschen Bruttoinlandsprodukts um 1,1 Prozent. Das liegt allerdings (auch) an einem technischen Grund – das neue Jahr hat mehr Arbeitstage als 2019. Die schwache Konjunktur im Euroraum dürfte sich nach Ansicht des ifo-Instituts und anderer Wirtschaftsexperten wenigstens nicht weiter verschlechtern. Eine spürbare Erholung wird aber noch mehrere Quartale auf sich warten lassen.

Trotz der insgesamt relativ milden Aussichten bleibt die Perspektive für drei Branchen in Deutschland sehr kritisch. Erstens für die Automobil-Industrie wegen der Klima-Vorgaben und der einseitigen Förderung von Batterieautos, für die es allerdings nicht genügend Nachfrage gibt. Zweitens für den Bankensektor, der durch die EZB-Zinspolitik noch stärker als bisher in Bedrängnis gerät. Und drittens für die Chemieindustrie, deren Wettbewerbsfähigkeit vor allem durch den steigenden Strompreis und die kommende CO2-Steuer leidet.

Die beiden größten Risiken für die Konjunktur weltweit und in Europa heißen 2020: zum einen China – ein Abschwung dort hätte weltweite Auswirkungen. Und zum anderen: die globale Schuldenblase. Bis Ende 2019 stieg die Gesamtverschuldung von allen Staaten, Unternehmen und Haushalten auf kaum vorstellbare 255 Billionen Dollar. Daneben nehmen sich Deutschlands Staatsschulden von gut zwei Billionen Euro winzig aus. Die Weltwirtschaft hängt also auch von der Wette darauf ab, dass kein größerer Staat und kein multinationales Unternehmen pleite geht.

Politik: Migration bleibt das Hauptthema

Von den großen Entscheidungen 2020, die jetzt schon feststehen, dürften keine großen Erschütterungen ausgehen. Der Austritt der Briten aus der EU zum 31. Januar kann nach dem Wahlsieg Boris Johnsons nicht mehr verhindert werden. Er ist auch von den so genannten „Spartanern“ in der Tory-Fraktion nicht mehr abhängig, die am liebsten einen Brexit ohne Vertrag vollzogen hätten. Also: es gibt einen geregelten Austritt, danach Verhandlungen mit der EU über ein Freihandelsabkommen. Und selbst, wenn die scheitern sollten, würden ersatzweise automatisch die Standards der Welthandelsorganisation WTO gelten.
Donald Trump hat gute Chancen, im November eine zweite Amtszeit zu gewinnen. Denn die Wirtschaft in den USA läuft gut, die Herausforderer der Demokraten präsentieren sich allesamt schwach.

Das derzeit größte Risiko droht durch eine direkte Konfrontation zwischen einem Iran, der sein Einflussgebiet bis zum Mittelmeer ausgeweitet hat, und den USA. Der Iran besitzt nur eine bescheidene militärische Stärke – aber die Fähigkeit, mit Anschlägen im Westen einen asymmetrischen Krieg zu führen.
Einen Paukenschlag könnte es in Italien geben: Wenn die unpopuläre Koalition zwischen 5 Stelle und Sozialdemokraten zerbricht, hat Lega-Chef Matteo Salvini beste Aussichten, nächster Regierungschef zu werden.

Das größte politische Risiko in der EU liegt in der nach wie vor ungelösten Migrationsfrage. Dass das EU-Türkei-Abkommen, für das sich Angela Merkel feiern ließ, nicht funktioniert, lässt sich nicht mehr kaschieren. Griechenland schickt kaum Migranten in die Türkei zurück, sondern weiter nach Norden. Auf dem Balkan baut sich gerade eine neue Migrationswelle auf. Das Ziel heißt Deutschland. Und dort sind die politisch Verantwortlichen darauf kaum besser vorbereitet als 2015. So lange Merkel im Amt ist, wird sie eine wirksame Grenzkontrolle gegen ungeregelte Migration verhindern. Schließlich lautet ihr Diktum von 2015, ein solcher Grenzschutz sei gar nicht möglich. Selbst jeder dritte abgeschobene Migrant mit Einreiseverbot kehrt unbehelligt nach Deutschland zurück. Im Dezember 2019 musste das Bundesinnenministerium einräumen, dass sich im Land gut 350.000 Personen aufhalten, die weder Aufenthaltstitel noch einen Duldungsstatus besitzen. Was bedeutet: die Bundesregierung hat es nicht einmal geschafft, das Migrationschaos von 2015 zu ordnen.

Die Spaltung des Landes zwischen Moralpolitikern und Migrationskritikern dürfte damit noch zunehmen.

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