Tichys Einblick
Irgendwie wie immer. Nur schlimmer.

Kurios: Lanz und Gäste auf AfD-Kurs, ohne es zu merken

Die Kommunen stehen vor dem finanziellen Kollaps. Bei Lanz geht es um das Bürokratiemonster Deutschland, um Beantragungsrituale, Dokumentationspflichten und auch ein bisschen um die Migration. Ach ja, vor der AfD sei ausdrücklich gewarnt, versteht sich. Von Michael Plog

Screenprint: ZDF / Markus Lanz

„Ich habe sowas noch nie erlebt“, sagt Achim Brötel (CDU). Der Präsident des Deutschen Landkreistags spricht davon, dass die Kommunen überall in der Bundesrepublik vor dem Kollaps stehen. „Selbst, wenn’s morgen Goldstücke regnen würde“, nütze das nichts mehr, so Brötel.

Es ist eine trostlose Runde bei Lanz. Brötel und drei Bürgermeister erzählen sich gegenseitig die neuesten Schildbürgerstreiche des Bürokratiemonsters Deutschland. Und der Zuschauer folgt mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu. Wie bei einem Unfall oder jeder anderen ÖRR-Talkshow: Man möchte eigentlich nicht hinsehen. Also irgendwie wie immer. Nur schlimmer.

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Bei diesem Unfall, so hat es den Anschein, ist nicht mehr viel zu retten. „Die Lebenswirklichkeit, die ist vor Ort im Rathaus und im Landratsamt, nicht im Bundestag in Berlin“, sagt Brötel. Und Boris Palmer, ehemaliger Grüner und jetzt parteiloser Oberbürgermeister von Tübingen erzählt, dass er das Problem eines drohenden Exitus schon vor einem Jahr einmal in Berlin vorgetragen habe, doch „was mich verblüfft hat, war, dass alle gefragt haben: warum? Keiner von denen hatte überhaupt auf dem Schirm, was da passiert.“

Palmer ist auch der Erste, der den unvermeidlichen Bogen zur AfD spannt, die bisher als einzige Partei vor genau diesem Problem warnt. „Wir fahren mit den Städten wirklich an die Wand“, sagt Palmer und hängt schnell eine Warnung an: „Wenn die Leute vor Ort sagen, der Staat versagt, dann wählen die AfD in solchen Mengen, wie wir uns das alle noch gar nicht vorstellen können.“

Lanz hat die passende „Horrorzahl“: Die AfD stehe in den Umfragen bereits bei 26 Prozent. Höchste Zeit für eine weitere Warnung: Brötel hat die passende Floskel parat: „Das Vertrauen in Demokratie wird vor Ort gestärkt und vor Ort verspielt.“

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Dass sich gemeinhin schlaue oder zumindest halbwegs intelligente Köpfe – selbst solche, die aus Überzeugung aus einer der Alt-Parteien ausgetreten sind – immer noch unkritisch von jenem Mantra gefangen nehmen lassen, die AfD sei eine demokratiefeindliche Partei, ist an diesem Abend besonders erstaunlich. Seit Jahren wird die These über die Leid-Medien in die Köpfe gepflanzt, seit der thüringische Verfassungsschutz, immerhin eine dem Innenministerium unterstellte Behörde, die AfD als „Verdachtsfall“ einstufte. Dass es dabei nicht unbedingt mit rechten Dingen zugegangen war, ist längst bekannt. Auch dass der Chef des Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, wegen seiner eigenen extremistischen Verbindungen früher selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Diese Fakten indes dringen in manches Intellektuellenhirn nicht vor. Auch heute bei Lanz wird stattdessen die These stumpf wiederholt, die AfD sei demokratiefeindlich.

Dabei hat „unsere Demokratie“ momentan ganz offensichtlich viel größere Probleme. Und die Runde tauscht dauernd AfD-Argumente aus. Oliver Schmidt-Gutzat (SPD), seit 2018 Bürgermeister im schleswig-holsteinischen Heide, rechnet vor, dass seine Stadt mit dem Bankrott kämpft. Allein die Planung bis 2028 ist erschreckend: „Unsere Verschuldung wird von 20 auf 144 Millionen ansteigen.“

„Seit 30 Jahren sparen wir“, sagt seine Kollegin. Jutta Steinruck wirft demnächst ihr Amt als Oberbürgermeisterin in Ludwigsburg hin, nachdem sie bereits aus Protest die SPD verlassen hat. „Wir haben das Ende der Fahnenstange erreicht“, sagt sie.

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Lanz erinnert an das Interview, das eine Schulleiterin aus Ludwigshafen dem ehemaligen Nachrichtenmagazin „Spiegel“ gab. In der Stadt würden 2.000 Kita-Plätze fehlen, 98 Prozent ihrer Schüler hätten einen Migrationshintergrund, und Grundschüler müssten von Studenten unterrichtet werden. Steinruck beeilt sich zu betonen, es seien aber keine Flüchtlinge, sondern vor allem „Arbeitsmigranten“ und Wanderarbeiter. „Das sind die Probleme bei uns.“

Auch Palmer sieht zuvorderst andere Gründe für die Kostenexplosion, nämlich „weit überhöhte Tarifabschlüsse im Öffentlichen Dienst, kein Zuwachs bei Steuereinnahmen“ sowie die Bezuschussung von Krankenhäusern und das Bürgergeld. „Die Kosten für Flüchtlinge steigen“, sagt er erst ein paar Runden später. Seine Bestandsaufnahme: „Selbst im reichen Baden-Württemberg haben 90 Prozent der Kommunen nicht mehr genügend Geld, um die laufen Kosten zu bezahlen.“

Fachkräftemangel und die steigenden Sozialleistungen sind für Palmer die Kernprobleme. „Leute, es wird nicht mehr möglich sein, die höchsten Sozialleistungen weltweit mit den niedrigsten Arbeitszeiten und den längsten Urlaubszeiten zu kombinieren. Das muss doch jedem einleuchten.“

Was der Runde offenbar nicht so recht einleuchtet, ist die Tatsache, dass das Bürgergeld mittlerweile vor allem an Personen ausgezahlt wird, die gar keine klassischen Bürger sind. Es dauert daher ein bisschen, bis die Runde das Thema Migration aufs Tapet bringt. Zunächst kommen noch die „Söder’sche Mütterrente“ (Palmer) und die Rente mit 63 an den Pranger.

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„Vielleicht liegt’s halt doch am System“, grübelt Brötel. Das Bürgergeld lade zum Missbrauch ein. „30 bis 40 Prozent der Termine im Jobcenter platzen, weil die Leute nicht kommen“, sagt er und fordert mehr Sanktionen statt „Stuhlkreisdenken“. Noch ein AfD-Argument. Die Runde nickt. Keiner merkt etwas.

Welche Blüten diese Stuhlkreise treiben, zeigt der Umgang mit den Mietkosten. Während Corona sei eine Karenzzeit von zwölf Monaten eingeführt worden, in der das Amt jede noch so überteuerte Miete widerspruchslos bezahlt, erklärt Brötel. Und nach Corona sei dies einfach nicht mehr geändert worden. Die Folge? Palmer hat ein haarsträubendes Beispiel: „Ich habe einen Bescheid gesehen, wo eine Bürgergeldfamilie 6.000 Euro pro Monat bekommt. Das ist ein realer Bescheid.“

Dezent versucht Lanz immer wieder, die Migration zu thematisieren. „Bei uns arbeiten 30 Prozent der Ukraine-Flüchtlinge, in den Niederlanden 70 Prozent, in Polen noch mehr.“ Und wenn OB Steinruck die besagte Schulleiterin ihrer Stadt, die dem Spiegel die Migrationsprobleme ihrer Schule erläuterte, als „mutig“ bezeichne, dann laufe wohl etwas schief. „Das kann doch nicht sein, dass man einen Befund nicht geradeaus aussprechen kann“, sagt Lanz, der vom Umgang mit Coronakritikern offenbar noch nie gehört hat. Doch bei Steinruck prallt er ab. Sie hat stattdessen eine kuriose Forderung: „Wir brauchen eine verpflichtende Ganztagsschule.“

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Lanz lässt nicht locker. „Dann habe ich hier Leute aus der Bundespolitik, die sagen mantraartig, tragen das mittlerweile wie so eine Monstranz vor sich her, und sagen: Na, schau mal, die Flüchtlingszahlen gehen doch gerade runter. Es läuft doch alles in die richtige Richtung. Wie oft kommen denn bei Ihnen die Busse mit Leuten, die Sie dann einfach unterzubringen haben?“ Steinruck blockt weiter: „Die kommen jeden Dienstag.“ Aber das Problem seien ja – wie gesagt – die Arbeitsmigranten und Wanderarbeiter. Man kann offenbar eine Steinruck aus der SPD holen, aber die SPD nicht aus einer Steinruck.

Brötel wird da deutlicher: Die zurückgehenden Flüchtlingszahlen seien „eine Milchmädchenrechnung“, sagt er. „Wir hatten in den letzten zehn Jahren 2,8 Millionen Asylerstanträge und 1,2 geflüchtete Ukrainer. Keiner von diesen Menschen hat sich in Luft aufgelöst. Wenn jetzt weniger Neue dazu kommen, heißt das, der Berg wächst langsamer, aber der Berg ist noch da und er wächst vor allen Dingen auch weiter. Da wird uns suggeriert, ein Problem würde kleiner, aber das Problem wächst nur langsamer.“

„Es gibt ja diese schöne Kampagne ‚Wir haben Platz‘“, sagt Palmer. „Da stellt man sich vor den Reichstag, fühlt sich edel und mutig. Sicher gut für das eigene Gewissen. Aber wir haben keinen Platz in den Kitas, keinen Platz in den Schulen, keinen Platz in den Städten, wir haben keinen Platz in der Arztpraxis. Die Systeme sind teilweise überlastet. Da gehört halt zur Ehrlichkeit dazu, zu sagen: Wir haben diesen Platz nicht mehr. Es ist einfach die Grenze erreicht.“

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„Diese Migrationspolitik ist komplett gescheitert“, konstatiert Lanz. Doch Steinruck korrigiert ihn auf dem Fuße: Gescheitert sei die Bildungspolitik, denn „das sind ja nicht alles Flüchtlinge aus irgendwelchen Ländern“. Erst mit dem Stichwort BASF trifft der Moderator schließlich ihre Achillesferse. Der Chemieriese habe gerade zehn Milliarden investiert, aber nicht in Deutschland, sondern in China. Steinruck muss zugeben: „Da ist was schiefgelaufen, wenn Unternehmen wie die BASF abwandern.“

Der hohen Kriminaltätsrate unter Migranten setzt der Heider Bürgermeister Schmidt-Gutzat erfolgreich etwas entgegen. Im vergangenen Jahr habe es schnellere Gerichtsverfahren von nurmehr vier bis fünf Monaten gegeben und sogar erstmals Untersuchungshaft für Unter-16-Jährige. Um dem harten Kern der gewalttätigen Jugendlichen Paroli zu bieten, habe er einen kommunalen Ordnungsdienst gegründet, also eine Art Hilfspolizei. Der kostet rund 300.000 Euro pro Jahr. Um wie viele Jugendliche es sich handele, will Lanz wissen. Schmidt-Gutzat: „10 bis 20 Verhaltensauffällige.“

Und weil das nicht unbedingt nach besonderer Effizienz klingt, darf Brötel die Sendung mit einer weiteren Warnung beschließen: „Die beste Antwort auf radikale, extremistische, demokratiefeindliche Parteien ist eine gute Politik, die von den Menschen wieder als solche akzeptiert wird.“

Wie gesagt: Man möchte eigentlich nicht hinsehen …

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