Tichys Einblick
Erdogan verrechnet sich

Türkei: Es fährt ein Zug nach nirgendwo

Die Krise in der Türkei hat Implikationen für Europa. Sie ist vor allem das Ergebnis der desaströsen und korrupten Politik ihres Alleinherrschers Erdogan, aber ihre Wirkungen demonstrieren auf überraschende Weise die Krankheit des Bankensystems in Europa.

People check currency exchange rates at a currency exchange office on August 11, 2018 in Istanbul.

YASIN AKGUL/AFP/Getty Images

Vor vielen Jahren einmal hat ein damaliger Bürgermeister namens Erdogan den verräterischen Satz geprägt: „Demokratie ist der Zug, der uns an die Macht bringt. Wenn wir im Bahnhof angekommen sind, dann steigen wir aus dem Zug aus.“ Man kann dem Mann nicht vorwerfen, dass er seine sinisteren Absichten verborgen hätte. Damals und für viele Jahre haben es sich unsere staatlichen und Mainstreammedien aber nicht nehmen lassen, die Islamistenpartei AKP mit dem Attribut „gemäßigt“ zu adeln, um sie hoffähig zu machen.

Dieses „gemäßigt“ erkannte man vor allem darin, dass der damals künftige Alleinherrscher vom Bosporus mit der Marktwirtschaft das gleiche gemacht hat, wie mit der Demokratie. Er hat sie als Vehikel benutzt. Mit marktwirtschaftlichen Reformen und mit Bekämpfung der Korruption hat er in den Jahren nach der Jahrtausendwende ein Wirtschaftswunder herbeigeführt, das einmal mehr die absolute Überlegenheit der Marktwirtschaft und des freien Gütertausches unter Beweis gestellt hat. Nicht dass es dafür noch eines Beweises bedurfte, aber es lohnt sich zu erwähnen, dass das offenbar auch in einem nicht vom Europäischen Kulturkreis geprägten Land immerhin möglich war.

Rückblickend wird klar, dass die Bekämpfung der Korruption natürlich nicht genuin dem Zweck diente, ein sauberes System nach dem Vorbild von Singapur zu errichten. Nein, es war nur ein Machtkampf. Die damals bestehenden korrupten Strukturen befanden sich in Opposition zu dem gemäßigten Islamisten, weil sie genau wussten, wo der Zug hinfahren sollte. Sie hatten dem Mann halt zugehört. Mittlerweile hat der Sultan die Korruption der damaligen Oberschicht der „weißen Türken“, der Erben Atatürks, durch die Korruption der „schwarzen Türken“, der neuen bigot-frömmelnden Elite in seinem Dunst- und Wirkungskreis ersetzt. Erdogan musste die Alteingesessenen von den Fleischtöpfen der Korruption verdrängen, damit Platz für seine eigenen Günstlinge und Sykophanten geschaffen wird.

Welches unvorstellbare Ausmaß diese neue Korruption mittlerweile angenommen hat, wurde vor einigen Jahren sichtbar, als ruchbar wurde, wie die Türkei und Mitglieder der Herrscherfamilie in die Lieferung von Waffen an islamistische Terroristen in Syrien verstrickt sind und wer den Reibach aus dem Ölexport des Islamischen Staates in die Türkei machte. Die Berichterstattung einer türkischen Tageszeitung über diese Skandale trat die erste große Welle der Entdemokratisierung durch Zerstörung der freien Presse in diesem Land los. Journalisten, die im Gegensatz zu unseren denkfaulen und regierungstreuen Schreibern noch den Mut zur Wahrheit und zur Kritik hatten, gingen ins Gefängnis oder ins Exil.

Die Kraft der Märkte wirkt überall

Das aus dem Reformprogramm der frühen Jahre aber immer noch resultierende gewaltige Wirtschaftswachstum führte zu Wohlstandsgewinnen und ermöglichte es dem sich immer diktatorischer gebärdenden Schnauzbartträger, gigantomanische Prestigeprojekte aus dem Boden zu stampfen. Das geht soweit, dass man sogar geneigt ist, unserer Berliner Stadtregierung zu empfehlen, mal nach Istanbul zu reisen, wenn sie herausfinden wollen, wie man einen Flughafen baut. Ein einmal erfolgreich auf den Weg gebrachtes marktwirtschaftliches Reformprogramm trägt weit und lange und es dauert Jahre, bis die akkumulierten ordnungspolitischen Sünden die entfesselte Kraft des Marktes soweit beschädigt haben, dass es zu einer großen Krise kommt. Das sieht man nicht nur in der Türkei, sondern auch an Deutschland, wo die Agenda 2010 erst nach 12 Merkeljahren soweit ausgemergelt ist, dass die Risse im System sichtbar werden.

Es waren diese Wohlstandsgewinne, die die immer neue Wiederwahl des Despoten ermöglicht haben. Die Marktwirtschaft als Antriebsenergie des demokratischen Zuges, der im Bahnhof Diktaturhausen Endstation macht.

Zeitkaufen mit der Druckerpresse: In Istanbul wie in Frankfurt

Jetzt ist der Treibstoff alle. Die Kohle ist verbraucht und die Lok schnauft auf der letzten Pfeife. Und es wird interessant sein zu sehen, ob Herr Erdogan seine Diktatur bereits soweit gefestigt hat, dass er den sich jetzt entfaltenden Kollaps seiner frisch durchkorrumpierten Islamowirtschaft politisch überlebt. Daran darf gezweifelt werden.
Dafür gibt es eine Reihe wirtschaftlicher, aber auch politischer Gründe.

Herr Erdogan hat in den letzten Jahren auf der Zielgeraden zur Alleinherrschaft das gemacht, was die sich an die Macht Klammernden halt so tun, wenn sie merken, dass die ökonomische Säule wegzubrechen droht: Er hat Zeit gekauft. Und wie geht das? Durch Geld drucken. Das Drucken von Geld ist das ideale Vehikel zum Schaffen einer Scheinblüte, eines wirtschaftlichen Strohfeuers. Aber während dieses schöne Strohfeuer flackert, an dem sich die Naiven und Leichtgläubigen wärmen können, werden die Probleme größer und nicht kleiner. Der Kollaps der türkischen Währung nach Jahren der ungebremsten Gelddruckerei ist daher wirtschaftlich nur logisch und folgerichtig. Wir sollten ihn genau studieren, den er enthält Elemente dessen, was uns erwartet, wenn die Gelddruckerei des Euro den Punkt erreicht hat, wo klar wird, dass eine Zentralbank eben doch keine unbegrenzte Feuerkraft hat.

Mach`s noch einmal, Sam!

Der zweite Grund ist politisch und so ist auch das Timing. Das es genau jetzt passiert, liegt daran, dass Herr Erdogan es nicht lassen kann zu zündeln. Er benimmt sich wie ein 10-jähriger, der im Vorgarten eine 1.000-Kilo Weltkriegsbombe gefunden hat und jetzt versucht am Zünder zu spielen. Und dabei legt er sich gerade zum wiederholten Male mit dem Falschen an. Man sollte meinen, dass er aus der Episode mit Herrn Putin gelernt hat, der ihm in Syrien erklärt hat, wer Koch ist und wer Kellner. Amerika ist für ihn aber anscheinend weit weg.

Seit etlichen Monaten hält sein Regime einen amerikanischen Staatsbürger, einen Pastor noch dazu, ohne rechtsstaatliches Verfahren in Haft. Die US Regierung hat es fast ein Jahr mit gutem Zureden versucht. Vor einer Woche erklärte der amerikanische Außenminister dann schließlich, dass für die Türkei „die Uhr abläuft“.

Diese Art Satz habe ich schon mal gehört: 2003. Und der Adressat damals hieß Saddam Hussein. Jetzt hat Präsident Trump mal zwischen Tür und Angel Strafzölle verhängt, die so hoch und so zielgenau sind, dass sie die Wirtschaft der Türkei in eine Rezession stürzen werden. Diese wird sehr groß, sehr lange und sehr tief, weil wir ja – unserem großen Vorbild Eurozone folgend – Ungleichgewichte lange genug aufgespart haben in der Türkei.

Heute Morgen kann man den Nachrichtenagenturen entnehmen, dass ein türkisches Gericht amerikanische Offiziere auf der Luftwaffenbasis Incirlik verhaften lassen möchte. Kaum denkbar, dass das nur mit vorauseilendem Gehorsam eines noch so unterbelichteten Richters erklärt werden könnte. Nein: Erdogan scheint in seinem Größenwahn entschlossen, die Vereinigten Staaten bis an den Rand eines Krieges herauszufordern. Das ist suizidal. Und die Märkte wissen das auch.

Bei Ebbe sieht man, wer nackt baden geht

Jetzt ist die türkische Lira an einem einzigen Handelstag um über 20% abgestürzt. Das klingt nach Ärger. Und weil es die Importpreise um 20% erhöht, wird es die Inflation auf neue Höhen treiben. Jetzt können sich übrigens die staatsalimientierten keynesianischen Professoren wie Herr Fratzscher anschauen, dass es eben nicht möglich ist, Schulden zu monetarisieren, ohne dass jemand die Zeche zahlt: Nichts ruiniert die Menschen so schnell wie eine Inflation von 30%, 40% oder mehr. Und die Türkei steuert eher auf 100% zu. Ersparnisse ade. Jobs ade. Schrumpfende Realeinkommen hallo. Es ist der kleine Mann, der diese Zeche zahlt.

Gleichzeitig wird es für die türkische Industrie unmöglich, die in Euro und Dollar aufgenommenen Schulden durch den schrumpfenden Cash-Flow einer kollabierenden Exportwirtschaft noch zu begleichen. Großflächige Pleiten stehen in den türkischen Schlüsselindustrien ins Haus.

Und wie immer, wenn die Ebbe kommt, zeigt sich, wer bei Flut nackt baden gegangen ist. Auch hier in Euroland. Die durch die Nullzinspolitik der EZB um ihre Ertragskraft betrogenen Banken der Eurozone haben in den vergangenen Jahren, gemeinsam mit anderen Investoren dieses blühenden schönen Kontinents 150 bis 200 Milliarden Euro Kredite an türkische Unternehmen und Banken ausgereicht. Sie waren sich des Risikos wahrscheinlich bewusst, aber die kollabierenden Zinsmargen verleiteten sie zu dieser neuen Zockerei, damit sie die bald kommenden roten Zahlen ihrer Gewinn- und Verlustrechnungen nicht schon 3 Jahre früher zeigen mussten. Bald wird sich übrigens zeigen, dass Türkeikredite nicht die einzige neue Zockerei sind.

Jetzt werden diese Kredite notleidend werden. Selbst wenn es nicht alle Banken und Unternehmen mit Auslandskrediten zerlegt, werden die anstehenden Kapitalverkehrskontrollen in der Türkei dazu führen, dass das Geld nicht mehr an seine Gläubiger fließen kann.

Und was sehen wir da? Spanische Banken und Investoren haben fast 80 Milliarden im Feuer stehen, Frankreich 40 Milliarden, Deutschland 15 Milliarden. Die Märkte haben den Braten schon gerochen und zwar global. Die Börsenwerte der 130 größten systemrelevanten Banken weltweit sind seit Jahresbeginn um fast ein Viertel gefallen, was einer Wertvernichtung von knapp 800 Milliarden Euro entspricht. Die Risiken im Bankensystem treten allmählich aus dem Nebel heraus, den die Zentralbanken künstlich geschaffen haben. Nun bekommen wir mit der Türkei ein Lehrstück.

So, und jetzt gehen wir mal bei Ebbe ans Watt und schauen, was da so im Schlick zappelt.