Tichys Einblick
Inflation bleibt

Was der steigende Goldpreis verrät: Geldpolitik steht vor einem Kurswechsel

„Über eine längere Zeit höher“ – diese Losung gaben die Notenbanker der EZB und der Fed für die Zinsen aus. Immer mehr Marktteilnehmer rechnen aber damit, dass die Zinsen 2024 langsam wieder sinken – und die Inflation bleibt.

IMAGO / Science Photo Library

Am 29. Oktober erreichte der Preis für die Feinunze Gold sein Jahreshoch von 1.899 Euro. Nach einem leichten Rückgang ging es wieder nach oben: Auch im November kostet die Unze deutlich über 1.800 Euro. Ende 2022 mussten die Käufer des Edelmetalls dafür nur um die 1.700 Euro bezahlen. Am Freitagabend sprang der Unzenpreis für das Edelmetall wieder über 2.000 Dollar beziehungsweise 1.830 Euro.

Der anziehende Goldpreis weist auf eine Entwicklung hin, die mehr und mehr Investoren für wahrscheinlich halten: Die Formel „higher for longer“, also die Versicherung der EZB und der US-Notenbank, die zuletzt zur Inflationsbekämpfung kräftig gestiegenen Zinsen würden für längere Zeit auf hohem Niveau verharren, trägt in Wirklichkeit nicht weit.

Etliche Analysten erwarten, dass die Zinsen zumindest in den USA im Lauf des Jahres 2024 schon wieder leicht sinken. Die EZB dürfte dann nachziehen. Bisher folgte sie immer dem Weg der Fed – erst bei der Zinsanhebung, zuletzt bei der Entscheidung, die Zinsen vorerst auf dem aktuellen Niveau zu belassen. Dafür gibt es mehrere Gründe. In den USA scheint die Geldpolitik ihr Ziel weitgehend erreicht zu haben, die Inflation zu senken, ohne das Wirtschaftswachstum abzuwürgen.

Von September zum Oktober fiel die US-Inflationsrate von 3,7 auf 3,2 Prozent. Im Juni 2022 lag sie noch bei bedrohlichen 9,1 Prozent. Gleichzeitig erreicht das Wirtschaftswachstum in den Vereinigten Staaten in diesem Jahr voraussichtlich einigermaßen solide 2,1 Prozent. Die Prognosen für 2024 liegen allerdings tiefer. Mit der Abschwächung des Wachstums dürften auch die Preise weiter sinken.

Der Vorstandschef der Walmart-Kette Doug McMillon sagte kürzlich sogar deflationäre Tendenzen für die kommenden Monate voraus. Schwindende Inflation, schwächere Wachstumsaussichten, vor allem aber die horrende Verschuldung der USA, die immer wieder zu dramatischen Haushaltsstreits zwischen der Biden-Regierung und der republikanischen Mehrheit im Kongress führt – all das spricht dafür, dass die Fed 2024 vorsichtig den Rückwärtsgang einlegt, und die Zinsen von derzeit 5,4 Prozent zunächst leicht um 25 Basispunkte senkt, also 0,25 Prozent.

Mit ihrem straffen Erhöhungskurs hatte die Fed auch eine solide Basis aufgebaut, um diesen Kurswechsel gut vertreten zu können. Ein anderes Bild bietet die Eurozone: Hier ging die Inflationsrate von September zu Oktober zwar von 4,3 auf 2,9 Prozent zurück. Das Wachstum fällt allerdings sehr viel bescheidener aus als in den USA: In diesem Jahr erreicht es gerade 0,7 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass die größte Volkswirtschaft der Währungszone in einer Rezession steckt. Auch im dritten Quartal sank das Wachstum in Deutschland bei einer Inflationsrate von drei Prozent.

Außerdem wirkt sich das aktuelle 60-Milliarden-Loch im Bundeshalt auf das Gesamtbild aus – und die Entscheidung der Ampelkoalition, die Schuldenbremse für 2023 rückwirkend auszusetzen, möglicherweise auch für 2024. Die Kombination aus Mini-Wachstum und drückenden Staatsschulden – in anderen Euro-Ländern noch mehr als in Deutschland – sprechen in der Eurozone also erst recht dafür, die Zinsschraube im kommenden Jahr wieder in die andere Richtung zu drehen. Hier, in der galoppierenden Verschuldung sehen die meisten Marktbeobachter den Hauptgrund dafür, dass auf beiden Seiten des Atlantiks ein Kurswechsel in der Geldpolitik bevorsteht. Die hohe und immer weiter steigende Verschuldung können die Staaten nur mit langfristig niedrigeren Zinsen überhaupt tragen. Außerdem drängen sowohl Politiker als auch Wirtschaftsvertreter die Notenbanken immer stärker, die Zinsen allmählich zu senken, um eine Rezession in den USA zu verhindern – und in der Eurozone einen möglicherweise noch härteren Rückgang des Wachstums wenigstens zu dämpfen.

Für Anleger und kleinere Sparer bedeutet das: Die Inflation bleibt höchstwahrscheinlich auf lange Sicht deutlich über zwei Prozent. In Zukunft bieten außerdem Staatsanleihen niedrigere Renditen. Im EZB-Gebiet gilt derzeit ein Zins von vier Prozent. Hier könnte ein Zins-Rückgang die Inflation – oder vielmehr Stagflation – stärker anschieben als in den Vereinigten Staaten. All das spricht für mehr Gold im Depot. Sinken die Zinsen, dann könnte der Preis für die Unze des Edelmetalls 2024 Richtung 2.500 Dollar klettern. Für alle, die Bargeld halten, heißt ein kommender Kurswechsel der Zentralbanken: Die Aussicht auf eine zwar im Vergleich mit der Höhe von 2022 geringere, dafür aber hartnäckige und langfristige Inflation erzwingt die Suche nach Alternativen, wenn das Vermögen nicht dahinschmelzen soll.

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