Tichys Einblick

Über Feinstaub und Fahrverbote

Welche Folgen ein Fahrverbot auf die Luftsituation in den Innenstädten hätte, ist offen. Der Verkehr spielt nur eine geringfügige Rolle. In Stuttgart müsste sicher erst einmal die riesige Baustelle Stuttgart 21 stillgelegt werden: eine Feinstaubquelle 1. Ranges.

Andreas Gebert/Getty Images

Der Autoexperte warnt: „Zehn deutschen Städten drohen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge“. Es werden sodann auch gleich die zehn Städte aufgelistet, die bedroht sind: von München angefangen, über – klar – Stuttgart, Köln, Reutlingen, Hamburg, Heilbronn, Kiel, Düsseldorf, Darmstadt, Ludwigburg.

Er will eine bundesweite Analyse über Stickdioxid-Belastungen des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen gemacht haben. CAR-Chef Dudenhöffer sagte „Bild am Sonntag“: „Die Werte sind gesunken, liegen aber immer noch erheblich über den gesetzlichen Vorgaben.“

Als „Rent a Prof“ ist der Herr Professor immer zur Stelle, wenn es etwas rund ums Auto zu sagen gilt. Völlig egal, was. Vor zehn Jahren pries er den Dieselantrieb in den Himmel, heute verdammt er ihn in die Hölle.

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2005 mahnte er noch zur Mäßigung in der Feinstaub-Debatte: „(Foto-)Kopieren ist lebensgefährlich im Vergleich zum Autofahren.“ Auch durch einen Staubsauger sei die Feinstaubbelastung höher als beim Autofahren, so Dudenhöffer seinerzeit: „Wir schütten das Kinde mit dem Bade aus und erzeugen Hysterie“, sagte der „Autopapst“.

Heute ist Feinstaub in den Augen des Professors des Teufels. Vorschläge wie Straßen abzuspritzen oder zu sperren seien „Vorschläge aus der Steinzeit“. Stattdessen müssten klügere Verkehrsführungen in den Städten geplant werden. „Wir brauchen mehr Zeit und dürfen nicht über Nacht mit Fahrverboten drohen“. Fahrverbote seien schädlich für die Wirtschaft und angesichts der Arbeitslosenzahl nicht zu vertreten, unterstrich Dudenhöffer. Das war auch vor fast 20 Jahren.

Wissenschaftlicher Fortschritt?

Welche Folgen ein Fahrverbot auf die Luftsituation in den Innenstädten hätte, ist offen. Der Verkehr spielt nur eine geringfügige Rolle. In Stuttgart müsste vermutlich erst einmal die riesige Baustelle zu Stuttgart 21 stillgelegt werden. Sie ist eine Feinstaubquelle ersten Ranges.

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Noch hat niemand so recht die Bedeutung größerer Fahrverbote begriffen. Es würde viele Handwerker treffen, die mit ihren Transportern zu den einzelnen Häusern müssen, sich Fahrzeuge mit geringer Motorisierung angeschafft haben und streng auf die Kosten achten müssen. Man stelle sich nur den Irrsinn vor, keine Paketboten könnten mehr in Stadtgebiete hineinfahren, kein Lieferdienst, kein Handwerker und was ist mit den LKWs, die all die Supermärkte beliefern?

Wer heute ein ca. sechs Jahre alten Diesel-Fahrzeug fährt, hat geschätzt 42.000 Euro dafür bezahlt. Technisch ist der Wagen noch neuwertig, doch vermutlich bekommt der Besitzer kaum mehr als 5.000 bis 8.000 Euro dafür, wenn er sich gleichzeitig wieder einen neuen kauft.

Vollends würde der Volkszorn überschäumen, käme eines Tages heraus, auf welch windiger Grundlage solche Fahrverbote und die damit verbundene gigantische Wertvernichtung von Autos beruhen. Es gibt keine sinnvolle Begründung für geltende Grenzwerte. Sie sind politisch von Bürokratie und Interessensgruppen ausgehandelte Grenzwerte, die ohne tieferen wissenschaftliche Fundierung festgelegt wurden. Auf gut deutsch sozusagen: frei Schnauze festgelegt. Es hätte genauso gut jeder andere Wert sein können.

Solche aus der Luft geholten Zahlen halten Wissenschaftler, die sich ihr Leben lang mit Luftverschmutzung und Feinstaub beschäftigen, für ausgemachten Quatsch. So hat in Stuttgart Professor Ulrich Kull bis zu seiner Pensionierung unter anderem die Auswirkungen von Luftverschmutzung auf Pflanzen untersucht. Feinstaub, so erklärte er, setze sich nämlich aus unterschiedlichen Materialien zusammen und sei umso gefährlicher, je kleiner die Partikel sind.

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Aber mit den bisherigen Messmethoden werden alle Partikel gemessen, sowohl die kleineren als auch die größeren. Hier liege der Knackpunkt der Feinstaubdebatte: Sollten basierend darauf Fahrverbote verhängt werden, wären diese wohl gerichtlich anfechtbar, sagte Kull.

Denn wie so oft ist der Sachverhalt nicht so eindeutig, wie er diskutiert wird: Während Feinstaub derzeit buchstäblich in aller Munde ist, blieben die gefährlicheren Stickstoffoxide in der Regel außen vor, zumal es bis heute keine zuverlässige Messmethode gebe.

Auch helfe es nicht, allein die Diesel-Motoren unter Beschuss zu nehmen: Sie stoßen zwar viel Feinstaub aus, sind in Sachen CO2-Ausstoß – den man für den Klimawandel verantwortlich macht – aber umweltschonender als Otto-Motoren. Insgesamt sei in Stuttgart die Belastung entlang der Schnellstraßen am höchsten, ansonsten seien die Werte aber eher unauffällig. Mit Ausnahme eines Tages im Januar: Da war die Luft in den Stadtbezirken erfreulich rein, einzig die Grenzwerte in Zuffenhausen wurden klar überschritten. Ursache unklar: Entweder liege ein Fehler vor, wobei an diesem Tag noch mehrfach mit ähnlichem Ergebnis gemessen wurde. „Oder jemand hat hier irgendwas in die Luft geblasen.“

Ob überhaupt Fahrverbote sinnvoll sind, dafür müssten erst einmal differenzierte Messdaten und verlässliche Computermodelle vorliegen. Das sagen Forscher des Instituts für Energie- und Klimaforschung, Bereich Troposphäre in Jülich.

Nach dem Diesel jetzt auch Benziner unter Beschuss
Solche Modelle gibt es nicht. Doch ohne diese Modelle ist es laut Dr. Franz Rohrer schwierig, vorauszusagen, welche Auswirkungen Maßnahmen wie ein Diesel-Fahrverbot hätten. Denn neben direkten Auswirkungen gibt es noch indirekte, zum Beispiel die Bildung sekundärer Schadstoffe wie Ozon. Der Wissenschaftler des Jülicher Instituts für Troposphärenforschung verweist auf bekannte Auswirkungen der Atmosphärenchemie: „In den vergangenen Jahren sind die Ozonwerte zurückgegangen. Durch die Einführung von Katalysatoren in den Autos sanken die Kohlenwasserstoff-Konzentrationen in den Städten drastisch, die der Stickoxide blieben aber fast gleich. Dadurch konnte sich nicht mehr so viel Ozon bilden.“

Würde man jetzt durch Fahrverbote gezielt nur die Stickoxid-Emissionen reduzieren, würde in größeren Städten sehr wahrscheinlich wieder mehr Ozon gebildet. Das ließe sich nur verhindern, wenn gleichzeitig auch der Ausstoß von Kohlenwasserstoffen des Verkehrs gebremst würde, zum Beispiel indem man das Kaltstart-Verhalten von Autokatalysatoren weiter verbessert. Rohrer sieht daher einseitige Maßnahmen wie ein Diesel-Fahrverbot kritisch: „Mit zusätzlichen Daten aus Messkampagnen müssen wir die Computermodelle weiter verbessern. Erst wenn wir ein präzises Bild der Atmosphärenchemie einer Stadt oder eines Ballungsraums haben, können wir tatsächlich beurteilen, welche Auswirkungen Reduktionsstrategien wie Fahrverbote längerfristig haben.“