Tichys Einblick
IAA Mobility 2023

Zeitenwende im Automobilmarkt – Die Chinesen kommen, die Deutschen fahren hinterher

Deutsche Autos verschwinden, die chinesischen nehmen sich die Vorfahrt: Das zeigt die IAA Mobility 2023. Die Vormachtstellung der deutschen Autoindustrie ist angeschlagen. Die dafür verantwortliche Wirtschaftspolitik hat das noch nicht verstanden. Das wird sich bitter rächen.

IMAGO / Xinhua
Ganz München wurde zur Ausstellungsfläche – jedenfalls wurden die schönsten Plätze der Stadt mit Ausstellungspavillons, Entertainment- und Info-Veranstaltungen für die frühere Internationale Automobilmesse IAA in Beschlag genommen. Das war vom Veranstalter „Verband der Automobilindustrie“ (VDA), der Messe München nebst der rot-grünen Münchner Stadtverwaltung gut organisiert und thematisch mit dem gewählten Schwerpunktthema Mobilität bestens ausgeleuchtet: Das Programm war quietschbunt mit Musik, Shows und Attraktionen für Klein wie Groß, Info- und vor allem Entertainment auf dem Festival der Mobilität auf dem Königsplatz.

Das ferne Messegelände war nur für die wenigen Fachbesucher gedacht, die „open spaces“ in der Innenstadt auf Münchens schönsten historischen Wohnzimmern weitgehend der Unterhaltung gewidmet, während Petrolheads und Technikfreaks mit mobilen Leidenschaften, in der Motorworld am Stadtrand in Freimann mit Supercars und Oldtimern und anderen automobilen Schönheiten ihre Lust am Auto befriedigen konnten. Draußen, vor der Stadt.

Die Letzte Generation spielt nicht mit

Daneben eine Speakers Corner auf dem Marienplatz vor dem Rathaus, um kritische „grüne“ Diskussionen über den Klimaschädling Automobil zu kanalisieren, bevor sie sich auf die Straße kleben oder sich von Brücken zur Verkehrsbehinderung abseilen. Das war reizend und trickreich gedacht. Doch die Autofeinde von der Letzten Generationen fielen auf den pädagogischen Ansatz der Münchner rot-grünen Stadtratsmehrheit nicht herein und blockierten schon in den Wochen vorher wichtige Verkehrswege und verärgerten rücksichtslos Autofahrer auf deren Weg zur Arbeit sowie den gesamten Lieferverkehr.

Der bayrische Wettergott war den Veranstaltern gewogen: Die Sonne lachte unentwegt vom weiß-blauen Himmel und erlaubte ungestörte Freiluftveranstaltungen. Münchner und Touristen feierten ausgelassen und schnupperten bei Autoherstellern und Zulieferern die Technik der Zukunft. Und applaudierten Gratis-Konzerten, wenn sie eine der 5000 Freikarten ergattert hatten. Es war ein Volksfest vor dem daran fast direkt anschließenden Oktoberfest.

Belehrung statt Kaufanreiz

Aber der ganze perfekt getaktete Jahrmarkt der Mobilität kann dennoch nicht von gravierenden Entwicklungen für die Autoindustrie ablenken – mit weitreichenden Folgen sowohl für Autoverband wie deutsche Autobauer selber. Denn es war Unterhaltung. Aber ist es Aufgabe der Industrie, eine Millionenstadt in einen Jahrmarkt der Beliebigkeit zu verwandeln, bei dem das Auto eher als lästig empfunden werden musste?

Die Zeit der großen Automessen in Europa und USA ist schon seit Jahren vorbei: Genf, Paris, Detroit – alles Messe-Herrlichkeiten von gestern. Geblieben ist ausschließlich Shanghai, wo die chinesischen Hersteller von Elektroautos wahre Präsentations-Orgien feiern. Mit dem Wechsel der IAA von Frankfurt am Main nach München vor zwei Jahren und der damit einhergehenden Umstellung von einer Auto- zu einer Mobilitätsschau wurde die Messe äußerlich wie thematisch stark angepasst, besser gesagt: entkernt und beliebig. An die Stelle des Autos treten Klima, Umwelt und Mobilität; alles eher vage wie riesengroße und unbestimmte Themen; eher volkshochschultauglich, statt für eine Messe geeignet.

Nach den eher müden IAAs der 2010er Jahre und wegen einiger Querelen mit dem damaligen Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann zog die IAA vor zwei Jahren von Frankfurt zum ersten Mal nach München um. Kein Geheimnis ist, dass sich die Millionenmetropole an der Isar um die Messe nicht unbedingt gerissen hat – schon weil die rot-grüne Stadtregierung die Autos in der Innenstadt selbst immer weiter zurückdrängt. Aus der Automesse wurde deshalb die große Unbestimmtheit. Auf dem Messegelände selbst mit seiner im Vergleich zu Frankfurt winzigen Ausstellungsfläche war der Andrang überschaubar, und in leeren Hallen gab es zumeist lange Gesichter. Mit der Verwässerung des Konzepts hat die autofeindliche Ideologie die Faszination Auto zerstört und die Fans enttäuscht. Mission accomplished, kann die rot-grüne Politik jubeln. Die Frage nach Jobs und Steueraufkommen stellt sie ja nicht.

Europäische Aussteller meiden die Messe

Zahlreiche bekannte Fahrzeughersteller machen deshalb gleich um die Messe einen Bogen. Für Autofreaks hat IAA 2023 an Wert verloren, aber sie ist gerade dadurch ein Seismograf für zwei wesentliche Trends. Zum einen hat der VDA die Präsentation von Verbrennerauto, früher das Herzstück jeder Automobilmesse, seinen Mitgliedern de facto untersagt; ihre Schadstoffe müssen irgendwie ausgeglichen werden. „Elektro only!“ war das Motto. Selbst Porsche musste seinen neuen Höchstleistungsboliden auf dem Wittelsbacherplatz im hinteren Lock des VW-Pavillons quasi verstecken, die übrigen Hersteller versuchten es erst gar nicht.

Die möglichen Kunden sollen nicht sehen, was sie begehren, sondern belehrt werden, was sie wollen sollen. Nicht mehr Kaufanreize werden gezeigt, sondern der grüne Zeigefinger. Die Folge davon ist, dass auf der IAA Mobility 2023 in München die chinesischen Anbieter, vor allem BYD, ein Ausrufezeichen gesetzt haben, das sinnbildlich für eine Entwicklung in der Branche steht: Die Chinesen kommen. – Und sie kommen, um zu bleiben.

Die große China-Show

Die Nio’s, Geelys, MG’s, Xpengs etc. haben neben Branchenführer Tesla deutliche Duftmarken gesetzt, auf allen erreichbaren Ausstellungsflächen. Mit fatalen Folgen für die deutschen Hersteller. Die Gefahr aus Asien ist an sich nicht neu. In den 70ern lehrten die Japaner die europäische Autoindustrie das Fürchten. Die Bedrohung durch Toyota, Mazda und Honda führte zu einer revolutionären Erneuerung der Branchen: Überlegene japanische Produktionsmethoden wurden übernommen, die Modelle grundlegend erneuert. Für die deutschen Hersteller war es ein Vitalitätsschub, der ausreichte, wieder eine Führungsrolle zu übernehmen und im neuen Jahrtausend den zweiten Angriff der koreanischen Hersteller zu parieren.

Heute droht Europa und seiner Schlüssel-Branche Autoindustrie eine ähnliche Gefahr durch den Aufmarsch chinesischer Autohersteller. Anders als noch vor wenigen Jahren sind die chinesischen Marken heute teils innovativer, pfiffiger und vor allem preisgünstiger als die deutschen Wettbewerber. Anders als früher muss VW heute die Plattform für ein kleines Elektroauto in China einkaufen statt umgekehrt. Eine Vielzahl chinesischer Autohersteller hat ihren Eintritt in den europäischen Markt angekündigt, nur die Speerspitze war auf der IAA 2023 zu sehen. Es geht also erst so richtig los. Aktuell ist schon mehr als eine Handvoll chinesischer Automarken in Deutschland aktiv. Doch es stehen noch einige mehr am Start. Chinesische Autos gelten als konkurrenzfähig.

Der Mischkonzern BYD ist nicht nur ein führender Anbieter von Elektroautos in China, sondern auch Massenhersteller von Batterien. In München war er dieser Tage kaum zu übersehen. Sowohl auf dem Messegelände als auch in der Innenstadt mit den Freilichtbühnen hat der Hersteller BYD Stände aufgebaut, die denen der deutschen Anbieter kaum nachstehen. Und der Konzern ist nicht der einzige neue Konkurrent.

Immer mehr chinesische Hersteller von Elektroautos drängen nach Deutschland und Europa. Derzeit liegt ihr Marktanteil in der EU zwar erst bei etwa ein bis zwei Prozent, doch die Tendenz ist steil steigend. Die Kunden hierzulande können sich nun vertraut machen mit Marken wie BYD, Geely, Nio, Xpeng, SAIC und vielen mehr. Branchenkenner attestieren der neuen Konkurrenz, in den vergangenen zehn Jahren enorme Fortschritte gemacht zu haben.

Auch wenn bei fast allen neuen Marken der Start nicht so schnell und reibungslos über die Bühne ging wie erhofft, haben beispielsweise Nio, BYD und Ora mittlerweile eigene Vertriebsorganisationen etabliert. Die Stückzahlen und Marktanteile sind zwar noch nicht der Rede wert. Allenfalls MG hat es geschafft, sich einen nennenswerten Marktanteil von inzwischen 0,7 Prozent (Januar bis Juli 2023) zu erobern.

Zudem haben die Chinesen im Vertrieb, beim Service und bei der Ersatzteilversorgung sowie bei der Anpassung der Autos an den hiesigen Kundengeschmack und die regulatorischen Vorgaben noch viel Arbeit vor sich. So billig wie in China können sie ihre Produkte in Europa längst nicht anbieten. Teilweise sind die hiesigen Fahrzeugpreise etwa doppelt so hoch wie im Reich der Mitte. Noch ist das so, doch wie lange noch?

Zu wenig Innovation bei den Deutschen

Fakt ist, dass die deutsche Autoindustrie durch den Übergang zur Elektromobilität ihre globale, auf den Verbrenner gegründete Vormachtstellung eingebüßt hat. Die glorreiche Vergangenheit, die heritage war der Verbrenner. Etwas Neues, Eigenständiges haben die deutschen Hersteller noch nicht entgegenzusetzen, allenfalls Höchstleistung-Elektroautos auf transformierten Verbrenner-Plattformen und schweren Karossen. Und das zu Höchstpreisen!

Auf die Dauer wird es nicht ausreichen, überdimensionierte und überschwere A-Riesen anzubieten, die begrenzte Akku-Leistung durch Tonnen an Batterien ausgleichen wollen und im Verkehrsraum übergriffig erscheinen, Straßen und Brücken durch ihr Gewicht schneller zerstören und Tiefgaragen sowie Stellplätze bedrohen. Vor allem: Der Preis stimmt nicht. Entweder deutlich billiger oder gar nicht – das ist die Lektion, die sie im Wettbewerb mit den Japanern seinerzeit gelernt haben sollten.

Den Konsumenten wird’s freuen. Auto muss wieder billiger werden. Und die Autoindustrie muss wieder den Kunden in den Blick nehmen, nicht nur der Politik zu gefallen versuchen.

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