Tichys Einblick
Der Gang nach Canossa?

Daimler-Chef Zetsche bei Bundesverkehrsminister Scheuer

Der Bundesverkehrsminister bekommt bisher nichts hin: Deutschlands Straßen sind auf Drittweltniveau, fast alle Brücken über den Rhein sind Schrott und die Bahn ist in beklagenswertem Zustand. Also muss ein schnelles Ausweichmanöver auf ein anderes, für ihn ungefährlicheres Terrain her, um den starken Max zu mimen.

© JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images

So hat es die Politik gern: Da kriecht der Chef eines großen Automobilherstellers demütig vor dem Bundesverkehrsminister zu Kreuze. Der nämlich bestellte Dieter Zetsche von Daimler „zum Rapport“, heißt es in Berichten. Bei dem Gespräch hätte man Mäuschen sein wollen. „Sagen Sie mal, was haben Sie sich eigentlich vorgestellt?“ donnerte möglicherweise der Verkehrsminister.

Der selbst bekommt zwar bisher nichts hin, Deutschlands Straßen sind auf Drittweltniveau und fast alle Brücken über den Rhein sind Schrott, die Bahn in beklagenswertem Zustand, also muß der Minister schnell einmal auf einem anderen für ihn ungefährlicheren Terrain den starken Max mimen.

Verkehrsminister Andreas Scheuer hatte es auch eilig, schon zwei Stunden nach dem Treffen verbreitet seine Pressestelle das Ergebnis: 238 000 Mercedes-Dieselfahrzeuge sollen zurückgerufen werden. „Unverzüglich!“

„Der Bund wird für deutschlandweit 238.000 Daimler-Fahrzeuge wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen unverzüglich einen amtlichen Rückruf anordnen. Insgesamt sind in Europa 774.000 Fahrzeuge betroffen. Dabei handelt es sich neben dem Vito insbesondere um die Volumen-Modelle GLC 220d und C 220d. Daimler erklärt darüber hinaus, dass mit maximalem Abarbeitungstempo und in kooperativer Transparenz mit den Behörden die vom Bund beanstandeten Applikationen in der Motorsteuerung beseitigt werden.“

Aus der Mitteilung geht noch nicht einmal hervor, was bei der Rückrufaktion genau geschehen und in welchem Zeitraum die Aktion laufen soll. Populistischer gehts kaum und verschwommener ebenso wenig. Völlig offen sind die technischen Hintergründe. Das Kraftfahrtbundesamt »vermutet«, anstatt konkret zu belegen. Das Amt »hält« illegale Abschalteinrichtungen für möglich.

»Legale Abschalteinrichtungen« sind bisher nicht definiert. Nach EU-Verordnung 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen verboten, die die „Wirksamkeit von Emissionskontrollsystemen verringern“. Laut Verordnung gibt es auch „zulässige Abschalteinrichtungen“, die die Abgasreinigung verändern, um etwa den Motor zu schützen. Hier beginnt ein breites Feld für reichliche juristische Auseinandersetzungen. Denn Katalysatoren beispielsweise, funktionieren nur in einem bestimmten Temperaturbereich, und bei zu kühlen Abgastemperaturen darf kein AdBlue eingespritzt werden.

Das KBA teilt mit, dass es „unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt“ habe, die dazu führen können, dass es „im Betrieb der Fahrzeuge zu erhöhten NOx-Emissionen“ komme.

Daraus wird in den Berichten schnell „hat eine illegale Abschalteinrichtung“ eingebaut. Daimler bestreitet dies, die beanstandeten angeblich zwei Funktionen der Steuersoftware, seien nicht unzulässig, und will das vor Gericht klären lassen. Das ist das erste Mal, daß ein Autochef etwas standhafter auftritt und gerichtlich klären lassen will, was legale und nicht legale Prozesse in einer Motorsteuerung sind.

VW hatte diesen Schritt nicht getan, sondern in den USA „mit den Behörden kooperiert“. In den USA gelten jedoch andere, für Diesel strengere Abgasvorschriften in einem anderen Bewertungssystem als hierzulande; Vergleiche sind daher schwierig.

Es lohnt einmal ein Blick darauf, worüber wir eigentlich reden, was die Grundlage für den Wirtschaftskrieg gegen die deutsche Autoindustrie ist und in welcher Größenordnung der „Betrug“ liegen könnte.

Angenommen, VW hat den in Euro 5 vorgesehenen niedrigeren NOx Ausstoß nur durch Tricks erreicht und nicht den Sprung von Euro 4 auf Euro 5 geschafft. Dann haben diese Motoren maximal 70 mg/km zu viel NOx ausgestoßen. Das war der Betrag, um den der NOx Ausstoß bei der Euro 6 Norm reduziert werden sollte.
Das bedeutet: Fährt das Auto 15 000 km in einem Jahr, stößt es 1,05 kg/Jahr NOx „zu viel“ aus. Bei 2,3 Millionen betroffenen VW-Fahrzeugen sind das 2.415 Tonnen NOx im Jahr, die durch „Tricks“ zu viel ausgestoßen wurden.

Welche Rolle spielt dieser Wert, der auf den ersten Blick hoch klingt? Der Vergleich zum gesamten NOx Ausstoß in Deutschland pro Jahr, wie ihn das Umweltbundesamt ausweist: 1.186,1 Tausend Tonnen für das Jahr 2015.

Das sind knapp zwei Promille an Mehremissionen in einem Jahr in Deutschland, die durch Tricks angefallen wären.

Die tatsächlichen Emissionen lassen sich daraus nicht herleiten, weil die nicht viel mit dem in den Prüfzyklen gemessenen Werten zu tun haben. Der Prüfstandswert sagt nichts über den tatsächlichen Wert aus. Solche „Realmessungen“ waren zudem früher nicht vorgeschrieben, es gab sie nicht. Sie sind erst in der Euro 6 temp Norm vorgeschrieben. Selbst die neuen, vorgeblich realitätsnäheren Messungen haben mit dem tatsächlichen Ausstoß nichts zu tun, denn der hängt in erster Linie von Gasfuß und Fahrweise des Fahrers ab.

Es dürfte für Juristen schwer werden, etwas als Betrug zu verurteilen, wenn Grenzwerte zum Zeitpunkt der Zulassung nicht vorlagen und erst mit späteren Normen eingeführt wurden.

Die Frage wird immer lustiger: Wie will die Autoindustrie eigentlich aus dieser Nummer wieder herauskommen? Sie gibt einen prächtigen Buhmann selbst für Verkehrsminister ab. Eine Antwort gibt es nicht. Bisher jedenfalls.

Denn einerseits haben die Autohersteller ohne genauere technische Untersuchungen abzuwarten, schnell mal zugegeben, manipuliert zu haben und das Büßergewand angezogen, wie es Krisenkommunikationsberater, die den nächsten guten Auftrag wittern, empfehlen: Mea Culpa, mea maxima culpa!

Von dieser Argumentationslinie wieder wegzukommen, dürfte schwer fallen. Denn offen ist immer noch: Was ist in Deutschland gesetzeswidrig gewesen? Zum Zeitpunkt der Zulassung, so weisen Motorenbauer hin, erfüllten die Autos die vorgegebenen Grenzwerte. Wenn Grenzwerte später gesenkt oder gar neu definiert werden, dann könne man die Motoren später nicht nachträglich für illegal erklären. So viel Rechtssicherheit müsse sein.

Jetzt liegt das Kind im Brunnen und kann nicht mehr herausgeholt werden. Der Verkehrsminister hat zudem offenbar beim Kraftfahrtbundesamt kräftig Rauch reingelassen und das Amt zu einer politischen Behörde getrieben.

Ziemlich versagt haben die Kommunikationsabteilungen der meisten Autohersteller. Sie zeichneten mit Begeisterung ein grünes Bild mit knallbuntem Auto drin. Wir haben das schon häufiger hier skizziert: Die Autowerbewelt ist bunt und grün. Dein Auto ist sowas wie eine neue App. Nachteile wie Abgase gibt es nicht.
Das wundert nicht, sitzen doch in diesen aufgeblähten Abteilungen Kohorten grüner, linker und selbst vielfach eher mit Medien- statt Technikkompetenz ausgestatteter Menschen, die ein Bild nach außen transportieren, das mit der realen Autowelt nicht viel gemein hat.

Statt zu erklären, wie sich das mit Abgasen und Grenzwerten verhält und die geringen Größenordnungen deutlich machen, um die es geht, preisen sie e-Mobilität als die Zukunft an. Sie hätten erzählen können, welche technisch richtig komplexen Steuerungsfragen in der Steuerelektronik eines Motors gelöst werden, wann bei welchen Temperaturen, Druck, Leistungsanforderungen, Wetterverhältnissen, Fahrzuständen was geschaltet wird.

Das alles könnte Autofahrern gleichgültig sein. Doch sie sind es, die letztlich den Spaß bezahlen müssen. Die Chemiefabrik unter dem Wagenboden ist richtig teuer geworden, auch im Unterhalt, wenn mal wieder der Partikelfilter oder das komplexe Abgasrückführungsventil defekt ist und teuer ausgetauscht werden muß.

Mit Gebrüll und Hurra auf die Autoindustrie und damit auf etwa eine Million Beschäftigte, die noch für den Rest an Produktivität in Deutschland sorgen. Kräftig verdienen daran die diversen NGOs, die neue Industrie. Nur dass die keine Wertschöpfung betreibt. Aber dieser Begriff ist ohnehin ziemlich überholt.


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