Tichys Einblick
Falsche Strategie

Mit der Elektromobilität gescheitert: VW-Chef Herbert Diess ist entmachtet

VW-Chef Herbert Diess ist in der Konzern-und Produktstrategie der Kernmarke lange und konzerngefährdend in die falsche Richtung gelaufen: Elektromobilität um jeden Preis. Jetzt ist er deswegen entmachtet worden. Doch das hat quälend lange gedauert.

Herbert Diess, Vorstandschef des VW-Konzerns

imago images / Jan Huebner

Übervater Ferdinand Piëch fehlt seit seinem Tod in Wolfsburg an allen Ecken und Enden. Die plötzliche Entmachtung von CEO Herbert Diess und die Art und Weise, wie das geschieht, machen das an zwei Beispielen deutlich:

  • Zum einen hätte Piëch es gar nicht so weit kommen lassen, dass sein landsmannschaftlicher Zögling Diess in der Konzern-und Produktstrategie der Brot und Butter Marke Volkswagen so lange und konzerngefährdend in die falsche Richtung läuft.
  • Zum anderen wäre die Entmachtung von Diess unter Piëch nicht quälend schleichend und auf Raten sondern öffentlich und verletzender erfolgt.

Bereits seit langem wurde von einem Machtkampf hinter den Kulissen zwischen dem mächtigen Betriebsratschef Bernd Osterloh und Herbert Diess gesprochen. Streitpunkt war die einseitige Ausrichtung des Konzerns unter Diess auf Elektromobilität. Mit der fatalen Konsequenz, dass zwei komplette Werke in Emden und Zwickau, die bisher sehr erfolgreich Verbrennerautos produziert haben, mit Milliardenaufwand völlig auf die Produktion von Elektroautos umgerüstet wurden. Ein für die gesamte Weltautomobilindustrie singulärer Vorgang! 

Mit jeweils rd. 8000 Beschäftigten haben das VW-Werk Emden als größter industrieller Produktionsstandort nördlich des Ruhrgebietes für den Arbeitsmarkt in Ostfriesland, wie das VW-Werk in Zwickau für die Region Südsachsen eine überragende, für die Beschäftigten existenzielle Bedeutung.

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Kein andere Auto-Hersteller auf der Welt hat einen solchen risikoreichen und vor allem einseitigen Schwenk in der Antriebstechnik weg vom Verbrenner („Und läuft, und läuft, und läuft…“) eingeschlagen wie VW unter Konzernchef Diess. Sehr zum Unmut des Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh, dem diese – sogar zeitlich auf das Jahr 2026 datierte – totale Transformation des Markenkerns Volkswagen weg vom bewährten Verbrenner und hin zur Elektromobiliät auf Batterie-Basis stets nicht ganz geheuer war. Und der immer und immer wieder öffentlich auf die Vorzüge „sauberer“ Verbrennertechnik und die Möglichkeit von synthetischen Kraftsoffen (e-Fuels, Wasserstoff) hinwies.

Für Branchenexperten kam die Diess-Strategie Harakiri gleich. Unter Risikoabwägungen wäre sie nur unter drei Voraussetzungen für die Familien-Eigentümer und den mächtigen Betriebsrat vertretbar gewesen:

  1. Die Elektromobiliät hätte sich tatsächlich als Antriebstechnik der Zukunft erwiesen und die Kunden wären vor den Händler-Showrooms Schlange gestanden, ähnlich wie das beim Tesla Model 3 kolportiert wurde. 
  2. Volkswagen wäre wettbewerbsfähig gewesen und hätte mit dem id.3 als erstes eigens entwickeltes Elektro-Volkswagenmodell wie angekündigt an die Kunden ausliefern und Tesla Paroli bieten können – und wäre die Kundschaft noch so klein gewesen.
  3. Der neue Verbrenner Golf VIII als Volumenmodell hätte im Zweifel Absatz- und Ertragsrisiken und vor allem Beschäftigungsrisiken beim id.3 kompensieren können, sollte der Hochlauf der E-Mobilität in Deutschland und weltweit sich weiter hinauszögern.

Unter Diess als Markenverantwortlichem ging keine dieser Rechnungen auf. Waren es beim Golf VIII technische Qualitätsmängel, die die Auslieferung verhinderten, so waren es beim Elektroauto id.3 Systemmängel in der Elektronik, die der vollmundig verkündeten Aufholjagd zum Klassenprimus Tesla und rechtzeitigen Kundenauslieferung entgegenstanden. Stattdessen liefen die VW-Läger in Zwickau mit unfertigen id.3 Autos voll. Damit geriet die Existenz-Grundlage des VW Konzerns wie die seiner Belegschaften in Schieflage. Die Alarmglocken läuteten, der mächtige Betriebsrat zog die Notbremse.

Diess wurde am Montagabend (08.06) die Leitung der wichtigsten Konzernmarke Volkswagen mit dem größten Absatz- und Ertragsvolumen im Volkswagen Imperium entzogen, er wurde „kaltgestellt“ (Ulrich Reitz, n-tv). Er soll laut Aufsichtsrat „mehr Freiraum für seine Aufgaben als Konzernchef erhalten“. Immerhin bleibt Diess im Amt des Vorstandsvorsitzenden, für einen 10-millionen Automobil Weltkonzern ein anspruchsvolle Aufgabe. Damit dürften auch die Termine für mediale Auftritte leichter koordinierbar sein. 

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Nachfolger als Chef der Marke VW zum 1. Juli wird sein Co-Markenvorstand Ralf Brandstätter. Die Bewertung dieser Personalrochade in der Szene ist eindeutig: Diess ist der Verlierer im Machtkampf, Osterloh und der Betriebsrat sind die Sieger. Und es ist ein Abschied auf Raten, eine Demontage wie sie für Außenstehende seit der schmählichen Ablösung von Bernd Pischetsrieder durch Piëch (2006) nicht neu ist.

Ralf Brandstätter, der bislang als Co-Chef das operative Geschäft der Marke Volkswagen leitete, ist ein „Hausgewächs“. Er startete in Wolfsburg, wie selemals VW-Chef Toni Schmücker, mit einer Lehre zum Betriebsschlosser und hat sich hochgearbeitet. Er gilt als gewerkschaftsnah, natürlich. Seine technische Qualifikation ebenso wie seine Nähe zu Osterloh dürften eine gute Basis sein, um die aktuellen Produktions- und Qualitätsprobleme beim Golf 8 in den Griff zu bekommen. Auch den strategischen Kehrtschwenk weg von der fatalen Elektrostrategie seines Vorgängers, hin in Richtung mehr Verbrenner, mehr Technologieoffenheit, und vor allem mehr e-Fuels und alternative Antriebe, mit Herzblut und Verstand voran zu treiben, sollte ihm gemeinsam mit Osterloh leichtfallen.

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