Tichys Einblick
Branchenverbände warnen

Lieferengpässe bescheren Preiserhöhungen – die Politik glänzt mit Tatenlosigkeit 

Inmitten höchster Inflationsraten warnen Branchenverbände und das Ifo-Institut vor Lieferengpässen, die zu höheren Preisen führen, da alternative Frachtrouten bis zu sechsmal teurer sind als der übliche Weg. Am Ende zahlen die Bürger die Zeche, während der Staat von höheren Preisen profitiert. 

IMAGO / Lobeca

Viele Verbraucher haben es längst bemerkt. Ob Ersatzteile, zum Beispiel für die Küche oder für Autos, ob elektronische Geräte oder bestimmte Werkzeuge. In Deutschland können viele Produkte derzeit kaum geliefert werden. Diesen subjektiven Eindruck vieler Kunden bestätigte nun das Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) an der Universität München. 

Laut einer aktuellen Erhebung des Instituts wird die angespannte Lage weiter anhalten: „Die Lieferprobleme sind zu einem Dauerproblem für den Einzelhandel geworden“, sagt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. „Auch in diesem Jahr wird es zu Weihnachten wieder Lücken in den Regalen geben.“ Im Schnitt erwarten die deutschen Einzelhändler, dass die Lieferengpässe noch 11,5 Monate anhalten werden.

Versechsfachung der Frachtpreise

Peter Wüst, Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten (BHB) sieht seine Branche vor großer Herausforderungen. „Von Verknappungen durch erschwerte Liefer- und Produktionsbedingungen für die Bau- und Gartenfachmärkte ist eine ganze Reihe von Produkten betroffen,“ so erklärte Wüst auf Anfrage von Tichys Einblick. Insbesondere seien Metalle wie Kupfer und Stahl, aber auch Bauholz, generell Baustoffe  und zahlreiche Kunststoffe, die aufgrund von Förder- bzw. Produktionseinschränkungen weltweit betroffen.

Hinzu kommen weiterhin erhebliche Logistik-Probleme. Einschränkungen aufgrund der Lockdown-Politik diverser Länder und schließlich die Einschränkungen durch den Ukraine-Krieg haben Produktionsbetriebe in Asien und Osteuropa de facto lahmgelegt. Die ausbleibenden Frachttransfers haben die Lieferketten durchbrochen, so dass sich in Asien Kapazitäten anhäuften, die dann in Europa fehlten. Kompensieren konnten das die Unternehmen lediglich durch aufwändige und dadurch teurere Umleitung der Warenströme auf andere Frachtkanäle.

„Zudem haben sich auch die konventionellen Seefracht- Raten dramatisch verteuert zum Teil bis zum Faktor sechs“, so Wüst. „Auch der zuletzt akut sichtbare Mangel an Lkw-Fahrern und an Schiffspersonal mache sich ebenfalls weltweit bemerkbar und wird auf unabsehbare Zeit Probleme verursachen, ergänzte der BHB-Chef. Dies alles hat Auswirkungen auf den Handel. Die Preise von Baumetallen, Kunststoffen und Holz jeder Art explodierten in den letzten Monaten; teilweise auf das Fünffache.

Fahrräder sind Rekordhalter bei Lieferverzögerungen

Auch der Pressesprecher des Handelsverband Deutschland (HDE) Stefan Hertel warnt vor den großen Herausforderungen seiner Branche: „Neben einer eingetrübten Konsumlaune, steigenden Energiekosten und unkalkulierbaren Risiken aufgrund des russischen Krieges in der Ukraine sind erhebliche Lieferprobleme derzeit das Hauptproblem vieler Handelsunternehmen.“ Laut einer Umfrage seitens des Verbandes berichten davon derzeit über 90 Prozent der Betriebe.

„In 46 Prozent der Fälle handelt es sich dabei um erhebliche Lieferschwierigkeiten mit längeren Lieferverzögerungen. Knapp werden kann es aber immer, wenn man auf der Suche nach einer ganz bestimmten Ausführung eines Produktes ist oder in einzelnen Branchen wie dem Fahrradhandel,“, so Hertel. Laut der Umfrage des Ifo-Instituts erwarten Einzelhändler beim Segment „Fahrräder“ Lieferengpässe von 18 Monaten. Dieser Wert ist der höchste dieser Erhebung. 

Inwieweit regionale Ereignisse wie die Bauernproteste in den Niederlanden zu Verzögerungen führen, ist derzeit unklar. Aus Protest gegen geplante Umweltauflagen blockieren Bauern in den Niederlanden vor allem Verteilungszentren von Supermärkten blockiert. Auch einige Häfen wurden von Fischern blockiert, die die Landwirte unterstützen.

Weitere Preissteigerungen erwartet 

Mindestens ein Verlierer, neben dem Verbraucher selbst, steht bereits fest: Die deutsche Autoindustrie, die allen Widrigkeiten zum Trotz immer noch als Rückgrat des Wohlstandes  hierzulande gilt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) rund 1,24 Millionen Neufahrzeuge zugelassen. Das waren elf Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Auch der Markt für Elektroautos hält nicht das, was die Politik versprochen hat. Im Gegenteil: Im Vergleich zu Juni 2021 ging die Zulassungen um 3,5 Prozent zurück. 

Aufgrund der benannten Problemen „werden noch einige Zeit deutlich spürbare Auswirkungen  Bau- und Gartenfachmärkten zu befürchten sein“, so BHB-Chef Wüst. „Viele Lieferanten kündigen flächendeckend ihre Verträge mit den Handelspartnern. Preiserhöhungen werden seit Monaten verhandelt und umgesetzt.“ Wie hoch die Preissteigerungen ausfallen werden, sei derzeit noch unklar. 

Politik glänzt mit Tatenlosigkeit 

Klar ist, Engpässe verursachen höhere Preise, die letzten Endes der Kunde auffangen muss. Unternehmen können dies nur teilweise kompensieren. Hier ist auch die Politik gefragt, zum Beispiel Verkehrsminister Volker Wissing: „Um Lieferengpässe zu mindern, die (…) durch Lieferengpässe entstehen, wären zum Beispiel großzügigere Ausnahmen des Sonntagsfahrverbots von LKW hilfreich.“ erklärte der Pressesprecher des Handelsverbands Baden-Württenberg, Michael Heinle gegenüber Tichys Einblick. 

Bislang scheut jedoch die Politik den großen Wurf. Die Mehrwertsteuer, von der der Staat aufgrund der Inflation profitiert, bleibt unverändert hoch, während die Engpässe die Preise weiter hochtreiben. Während Ifo-Institut und Branchenverbände vor monatelanger Lieferschwierigkeiten warnen, fühlen sich Finanzminister, Verkehrsminister, aber auch Wirtschaftsminister und Landwirtschaftsminister nicht zuständig.


Julian Markus Plutz

Anzeige