Tichys Einblick
extreme Teuerung

Inflation: Autos werden zum mächtigen Preistreiber

Die Preise für Neu- und Gebrauchtwagen steigen extrem steil an. Chipmangel, Produktionsausfälle und hohe Nachfrage heizen das Preisklima in der Autoindustrie an.

IMAGO / Ralph Peters

Allen Unkenrufen zum Trotz: Die Marktwirtschaft lebt! Ist das Angebot knapp und die Nachfrage hoch, steigen die Preise. Das ist seit Jahr und Tag am deutschen Immobilienmarkt zu erleben, und jetzt eben auch in der Autoindustrie. Neu- und Gebrauchtwagenpreise sind auf breiter Front im Steigflug, Rabatte umgekehrt inzwischen im Sinkflug.

Quelle: statistisches Bundesamt, Bruno Kessler

Maßgeblich dafür sind drei Faktoren:

  • Chipmangel und Verteuerung von Rohstoffen und Zulieferteilen jeglicher Art
  • Leere Händlerlager aufgrund Produktionsausfälle und Lieferengpässen bei den Herstellern
  • Hohe aufgestaute Nachfrage nach allem, was neu oder gebraucht vier Räder hat, am liebsten mit Verbrenner.

Bereits im Frühjahr 2021 ging die coronabedingte Preisabstinenz der deutschen Autohersteller zu Ende. Den Anfang machte Daimler und wie schon aus den 70igern und 80iger Jahren bekannt, folgten kurz darauf die Branchenkollegen nach: 

  • Daimler startete als erster das automobile Preiskarussell. Für die Öffentlichkeit statistisch in Prozentzahlen nicht nachvollziehbar, erhöhte Mercedes-Benz bereits kurz nach der Jahreswende 2020/2021 die Grundpreise von zahlreichen Baumustern mit unterschiedlichen Größenordnungen und zu unterschiedlichen Zeiträumen, und das auch noch nach Modellreihen selektiv. Zum 19. Januar 2021 wurden die Preise für die E-Klasse Limousinen (u.a.), bzw. 01. Februar 2021 die Preise für die A- und B-Klasse (u.a.) angehoben; und zwar nahezu jeder Motorisierung um knapp 600 bis 1.200 Euro. 

Von den Preiserhöhungen zunächst ausgeschlossen blieben C-Klasse Modelle sowie die neue S-Klasse.  Hier sind Preisanhebungen zum späteren Zeitpunkt im Jahr 2021 zu erwarten.

  • Auf Mercedes  folgte der VW- Konzern, der ab Anfang März die Pkw – Preise um durchschnittlich 1,5 Prozent anhob; Volkswagen Nutzfahrzeuge legte Anfang Juli in der gleichen Größenordnung nach
  • Schließlich folgte BMW, die Ende des ersten Quartals Preiserhöhungen um durchschnittlich 1,5 Prozent bekannt gaben.
  • Die nächste Preisrunde läutete VW Ende Juli ein, seltsamerweise parallel zur Vorlage von Rekordzahlen für das erste Halbjahr bei Absatz und Ergebnis und hob die Prognose für die operative Rendite an. Wie die Automobilwoche meldete erhöht der VW-Konzern die Preise für seine Modelle ab 1. September deutlich. Vor allem bei VW Pkw legen die Preise kräftig zu.

Bei der Kernmarke VW Pkw legen die Preise um durchschnittlich 1,8 Prozent zu, mit durchschnittlich 1,5 Prozent ist der Zuschlag bei Seat und Cupra etwas geringer, dabei sind Hybridmodelle allerdings überproportional von der Preiserhöhung betroffen. Auch bei anderen Konzernmarken wie Audi sind Preiserhöhungen geplant.

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Waren es in früheren Zeiten Lohnerhöhungen, so stehen 2021 an erster Stelle der Hersteller-Argumente für Preiserhöhungen Kostensteigerungen auf der Vormaterialseite sowie insbesondere der weltweit grassierende Chipmangel. So kündigte auch Infineon-Chef Reinhard Ploss höhere Halbleiter-Preise an: „Wir werden die Preise erhöhen oder haben sie schon erhöht.“ Mit ein Grund für den Chipmangel seien die niedrigen Preise. Dazu Ploss: „Bei manchen Bauelementen hat sich die Industrie daran gewöhnt, dass sie sie sehr billig kriegt. Wenn die Chips zu sehr niedrigen Preisen gehandelt werden, dann ist der Anreiz, mehr Kapazitäten zu schaffen, sehr gering“.

Was längerfristig richtig ist, kann kurzfristig keine höheren Kapazitäten aus dem Hut zaubern, wohl aber höhere Gewinnmargen. Zum einen soll in China das Werk eines global bedeutenden Haupt-Speicher-Produzenten Ende 2020 dem Vernehmen nach abgebrannt sein – der Wiederaufbau dauert. Zum anderen haben aktuell zum Beispiel in Malaysia Corona-Quarantäneauflagen der Regierung die Belegschaften in den Chip-Fabriken fast zur Gänze eliminiert.

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Mit der Folge, dass derzeit ohne Ausnahme alle Autohersteller stark von der Chipkrise betroffen sind und unter Produktionsausfällen leiden. Bei Audi in Ingolstadt und Neckarsulm müssen rund 10.000 Beschäftigte in Kurzarbeit. Auch die Produktion im VW-Stammwerk in Wolfsburg sowie in Emden muss teilweise komplett stillgelegt werden, in anderen Werken wird sie teilweise stark eingeschränkt. Ebenso bei BMW und Porsche. Der Autobauer Ford musste seine Produktion in Köln und Saarlouis ebenfalls mehrmals runterfahren. Daimler musste ein weiteres Mal Tausende Mitarbeiter im Bremer Mercedes-Werk und in Sindelfingen in die Kurzarbeit schicken. Toyota soll nach ersten Meldungen die Produktion im September aus Chipmangel um 40 Prozent herunterfahren, ebenso GM, Volvo etc.

Während der Chipmangel bei den Autoherstellern zu stillgelegten Fabriken und zu  geräumten Höfen bei den Autohändlern geführte, haben im Gleichschritt die 400 Milliarden Lockdown- Zwangsersparnis bei den deutschen Verbrauchern sowie niedrige Zinsen die Kauflaune erhöht. Geld war genügend da, damit konnte der Nachholbedarf – wie von Experten erwartet –  voll wirksam werden. Entgegen dem Trend haben laut Händlerberichten Barzahlungen deutlich zugenommen. 

Preisanhebungen auch, sowohl bei Neu- wie bei Gebrauchtwagen. Experten schätzen die Spielräume für zusätzliche Preisanhebungen durch die Hersteller sogar auf bis zu 10 Prozent ein. 

Noch deutlicher zeichnet sich die Entwicklung bei Gebrauchtwagen ab: Laut Automobilwoche erreichten im Juli die durchschnittlichen Preise bei den beiden großen Onlinebörsen neue Höchststände.  Nach Mobile.de  kostete ein Gebrauchter im Juli 2021 10,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei AutoScout24 stiegen die Preise noch stärker und lagen im Juli mit durchschnittlich  22.941 Euro um fast 16 Prozent höher als vor einem Jahr. 

Mit einer baldigen Entspannung an der Preisfront rechnet bei den Markt-Insidern keiner. Allgemein wird davon ausgegangen, dass sich der Ausnahmezustand bei den Halbleitern frühestens im ersten Halbjahr 2022 wieder normalisieren könnte. – Aber sicher ist das nicht.

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Daimler-Chef Ola Källenius zum Beispiel wagte keine Vorhersage darüber, wie lange die Halbleiter-Krise das Geschäft der Autobauer noch beeinträchtigt. So erwartet  Ola Källenius  wegen des anhaltenden Chipmangels bis Ende September deutlich geringere Verkäufe bei Mercedes. In den vergangenen Wochen und Monaten waren immer wieder Werke heruntergefahren worden, weil Teile für die Montage fehlten. Betroffen war auch die Factory 56 in Sindelfingen, in der die S-Klasse und der elektrische EQS gefertigt werden. Inzwischen sind Lieferzeiten bis zu einem Jahr aufgelaufen. 

„Längerfristige Prognosen sind wirklich sehr schwierig. Wenn eine Behörde wie in Malaysia einen Lockdown in manchen Werken anordnet, dann fehlen diese Teile von heute auf morgen. Das kann kein Lieferant vorhersehen und wir natürlich auch nicht. Wichtig ist, dass die Nachfrage nach den Fahrzeugen da ist. Irgendwann wird auch das Problem der Halbleiter gelöst sein.“ (Källenius im Interview mit der Automobilwoche)

Aber die Autoindustrie selbst sieht den Mangel gelassen, solange Preiserhöhungen nebst Kurzarbeitergeld zumindest teilweise für Produktions- und Absatzausfälle entschädigen. 

Dazu zum Schluss nochmal Källenius: „Mit den Werkschließungen bei Halbleiterlieferanten in Malaysia und anderswo ist die Herausforderung nun noch größer geworden, sodass unser Absatz im dritten Quartal voraussichtlich spürbar unter dem zweiten Quartal liegen wird“ Der gebremste Absatz soll sich jedoch  nicht in gleichem Maße auf die wirtschaftliche Situation des Konzerns auswirken. „Ich bin froh, dass wir unser Unternehmen in dieser Hinsicht schon deutlich flexibler und wetterfester gemacht haben. Hier agieren wir aus einer anderen Position als noch vor zwei oder drei Jahren“. 

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