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Nur der Apfel ist faul

Same Old Stories: Brexit, Handel, Griechenland – aber die Märkte steigen

Stell Dir vor, es ist Brexit und Handelskrieg, und die Kurse steigen: Börsianer sind Meister im Wegstecken von Horrormeldungen.

Bryan R. Smith/AFP/Getty Images

Die Londoner Brexit-Abstimmung werde 2019 eine erste harte Hürde für Börsianer, hieß es vor der Jahreswende. Es geschah, was an der Börse geschieht, wenn sich eine erwartete Entwicklung einstellt: fast nichts. Das Drama ist erst mal bis zum 29. März verschoben, wobei auch diese Deadline verlegt werden könnte.

Derweil rückt ein anderer Termin in den Fokus der Investoren: der 1. März. Bis zu diesem Datum haben sich die in Zollfragen zerstrittenen Handelsmächte USA und China Zeit gegeben, um zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. Bis dahin orientieren sich die Märkte zuvorderst an fundamentalen Daten. Neben der Konjunkturentwicklung steht die Berichtssaison in den USA im Blickpunkt, die US-Großbanken legten ihre Zahlen soeben vor. Die Tendenz: durchwachsen. Die Handelsergebnisse fallen durchweg schwächer aus, das Geschäft mit Übernahmen läuft aber. Bei Goldman Sachs war der Saldo positiv, Morgan Stanley verfehlte die Gewinnerwartungen. Die ganz großen Enttäuschungen blieben jedoch bislang aus. An der Wall Street ging es so zwar mit weniger Schwung nach oben, ein harter Rücksetzer aber blieb aus. Und der volatilere DAX hat wieder die 11.200er-Marke überschritten. Auf Wochensicht bedeutet das für das deutsche Börsenbarometer einen Gewinn von rund drei Prozent. Seit seinem Ende Dezember markierten Zweijahrestief hat sich der Dax damit inzwischen um knapp acht Prozent verbessert.

Am deutschen Aktienmarkt waren dabei die Papiere von Hellofresh mit einem Kurssprung von 21,5 Prozent der Star. Der Kochboxen-Versender wuchs 2018 schneller als gedacht und der operative Verlust verringerte sich deutlicher als Experten erwartet hatten.
Angetrieben von den Kursgewinnen der Hellofresh-Aktien legten auch die Papiere der Beteiligungsgesellschaft Rocket Internet um 3,6 Prozent zu. Der Start-up-Entwickler hatte Hellofresh im November 2017 an die Börse gebracht und hält noch einen Anteil an dem Unternehmen von knapp unter 30 Prozent.

Die Papiere des Zahlungsabwicklers Wirecard setzten an der Dax-Spitze mit plus 4,8 Prozent ihre Erholung fort. Auto- und Chemiewerte profitierten von der Hoffnung auf eine Lösung des Handelsstreits. Continental gewannen 4,5 Prozent. BMW, Daimler und Volkswagen zogen ebenfalls kräftig an. BASF legten um etwas mehr als vier Prozent zu und Wacker Chemie stiegen nach Umsatzzahlen im MDax um fast 5 Prozent. Die wieder gestiegene Risikoneigung am Markt treibe die Zykliker an, sagten Börsianer.

Die anhaltenden Hoffnungen auf Fortschritte in den US-chinesischen Handelsgesprächen hielten am Freitag auch die Wall Street auf Erholungskurs. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf informierte Kreise berichtete, hat die Führung in Peking einen Ausgleich in der Handelsbilanz zwischen der USA und China angeboten. Dieser solle durch jährlich steigende Importe von US-Waren erreicht werden. Der Dow Jones Industrial stieg um 1,4 Prozent auf 24.706 Punkte. Auf Wochensicht ergibt dies ein Plus von drei Prozent. Es ist für das Börsenbarometer die vierte Gewinnwoche in Folge. Der marktbreite S&P 500 gewann am Freitag 1,3 Prozent auf 2.671 Punkte. Für den technologielastigen Nasdaq 100 ging es um ein knappes Prozent auf 6.785 Zähler nach oben.
Bereits am Donnerstag hatte ein Bericht des „Wall Street Journal“ bei Anlegern für Risikofreude gesorgt. Dort hieß es, die USA zögen eine Senkung der Strafzölle auf chinesische Waren in Erwägung. Obwohl der Bericht schnell durch das US-Finanzministerium dementiert wurde, hielten sich an der Börse Hoffnungen auf ein Ende des Handelsstreits zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Werbung Skeptisch äußerten sich derweil die Marktbeobachter von Index-Radar: „Der Dow ist schon seit einiger Zeit wieder reif für eine kleine Korrektur – zeigt aber bisher keine Anzeichen von Ermüdung.“ Inzwischen müssten Anleger jedoch jeden Tag mit dem Start einer Konsolidierung rechnen, auch wenn im aktuellen Aufwärtstrendkanal noch Luft bleibe. An der Dow-Spitze kletterten die Aktien des Baumarktkonzerns Home Depot um 2,7 Prozent. Dahinter stiegen die Anteilscheine des Krankenversicherers UnitedHealth um gut zwei Prozent. Dank ausgabefreudiger Kreditkartenkunden hatte American Express zum Jahresende zwar gute Geschäfte gemacht. An der Wall Street war aber mit noch stärkeren Zahlen gerechnet worden. Die Anteilscheine machten in dem starken Umfeld anfängliche Verluste wett und schlossen ein Prozent höher.

Negative Nachrichten kamen derweil aus der Technologiebranche. Dass Tesla aus Kostengründen sieben Prozent seiner Vollzeitstellen abbauen will und auf ein schwächeres Schlussquartal 2018 einstimmte, kam am Markt nicht gut an: Die Aktien des Elektroautobauers sackten um fast 13 Prozent ab.
Beim Online-Videodienst Netflix sorgten durchwachsene Quartalszahlen für ein Kursminus von rund vier Prozent. Während der rückläufige Gewinn die Analystenerwartungen übertroffen hatte, waren die Erlöse trotz eines kräftigen Anstiegs dahinter zurückgeblieben.

Die aktuelle Brexit-Unsicherheit ist nur einer von vielen Belastungsfaktoren, die das Meinungsklima der Finanzanalysten in den weltweiten Wirtschaftsmedien wie „Wall Street Journal“ und „Financial Times“ zuletzt prägten. In den vergangenen Wochen ging es vor allem um die Frage, ob es sich bei den Kursrückgängen an den Börsen um eine vorübergehende Korrektur — und damit Kaufgelegenheit — handelt oder um die Einstellung auf einen Konjunkturrückgang. „Teilweise zeigen sich im Analystensentiment in den weltweiten Finanzmedien bereits Muster, die aus früheren Konjunkturabschwüngen bekannt sind“, so Matthias Vollbracht, Leiter Unternehmensresearch bei Media Tenor International in Zürich. Konjunkturabhängige Sektoren wie die Chemiebranche verzeichneten zuletzt ein deutlich negatives Sentiment, ebenso zyklischer Konsum (Reisen). Positiver fielen die Analysteneinschätzungen zu Aktien aus dem Nahrungsbereich aus, ebenso zu Medientiteln, Telekommunikationswerten und Aktien aus dem Gesundheitssektor. „Ungewöhnlich ist dagegen das zuletzt deutlich kritischere Sentiment gegenüber Technologiewerten. Hier schlagen wohl die Sorgen um die Absatzperspektiven von Apple zu Buche“, so Vollbracht. Insgesamt wurden knapp 49.000 Aussagen über das vergangene Jahr ausgewertet.

Griechenland durchlebt wieder einmal eine Regierungskrise. Dabei überstand Ministerpräsident Alexis Tsipras vergangenen Mittwoch knapp die Vertrauensfrage. Vorausgegangen war der Rückzug von Mitgliedern des Koalitionspartners. Grund: Das Nachbarland Mazedonien soll den Namen „Republik Nordmazedonien“ erhalten und damit der EU und der NATO beitreten können. Kommende Woche muss Tsipras den Mazedonien-Vertrag noch durchs Parlament bringen. So oder so dürfte ihm das Regieren nun schwerer fallen, eine neue Finanzkrise befürchten Investoren aber dennoch nicht. Die Kurse der griechischen Staatsanleihen bewegten sich kaum.​

Die erfolgsverwöhnte ETF-Branche dürfte mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf das vergangene Jahr zurückblicken. Denn 2018 konnten die Anbieter von Indexfonds weltweit zwar Nettomittelzuflüsse von über 514,8 Milliarden US-Dollar vermelden. Das waren aber immer noch rund 140 Milliarden Dollar weniger als im Vorjahr. Zudem stagnierte laut ETF-Anbieter Blackrock nach Jahren des rasanten Wachstums auch das Gesamtvolumen bei 4,8 Billionen US-Dollar. Rekordzuflüsse gab es mit 64,2 Milliarden Dollar immerhin in ETFs auf Staatsanleihen aus den USA und anderen Ländern. Die höheren Zinsen, ein stärkerer Dollar und volatilere Aktienmärkte dürften hier eine Rolle gespielt haben. Weitere Rekordzuflüsse verbuchten Produkte auf Schwellenländeraktien mit 66,4 Milliarden Dollar, auf japanische Dividendenpapiere mit 67,1 Milliarden Dollar sowie Multi-Faktor-Aktienprodukte aus dem Smart-Beta-Segment mit 14 Milliarden Dollar. Großer Verlierer waren ETFs auf europäische Aktien und Hochzinsanleihen.Hier flossen im Gesamtjahr Mittel in Höhe von 30 Milliarden Dollar ab.


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