Tichys Einblick
Der Marktausblick

Härtere Gangart der Notenbanken

Dass die Hoffnung auf ein Abflachen oder ein Zurückgehen des Leitzinsniveaus weiter in die Zukunft geschoben wurde, wirkt wie Gift, da Anleger sich auf das erwartete Zinsniveau beziehen, wenn sie den fairen Preis von Aktien ermitteln. Die wohl noch länger harte Gangart der Notenbanken belastete dann auch am Freitag den US-Aktienmarkt.

© Getty Images

Der – neue – reichste Mensch der Welt twittert nicht, und er ist auch sonst nicht dafür bekannt, sich in den Vordergrund zu drängen. Bernard Arnault, der französische Tycoon hinter dem Luxusgüterkonzern LVMH, hat am vergangenen Dienstag Twitter-Eigentümer und Tesla-Hauptaktionär Elon Musk im Bloomberg-Milliardärsindex überholt und steht damit zum ersten Mal – und als erster Europäer – an der Spitze der Liste der reichsten Menschen der Welt. Arnault kommt gemäß Bloomberg auf ein Vermögen von gut 171 Milliarden Dollar, Musk auf 164 Milliarden Dollar. Der Wechsel hat hauptsächlich mit dem hohen Vermögensschwund von 107 Milliarden Dollar seit Jahresbeginn bei Musk zu tun.

„Most hated Rally“, an diese an der Wall Street nach der Lehmann-Krise im Sommer 2009 geprägte Sentenz erinnerte jetzt die Schweizer Finanz-Website „Cash“. Damals stiegen die Börsenkurse – und niemand wollte dies lange Zeit so richtig wahrnehmen, geschweige denn wahrhaben. Und weil sie entweder gar nicht oder falsch investiert waren, begannen die Leute die Rally zu hassen. So mögen viele Investoren auch dieser Tage denken. Denn seit rund zweieinhalb Monaten haben die Märkte in diesem verflixten Aktienjahr deutlich angezogen. Gleichzeitig lassen die Losgrößen im Börsenhandel darauf schließen, dass Privatanleger kaum Aktien kauften. Das Abseitsstehen der Anleger ist aufgrund der teils krassen Verluste seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine durchaus nachvollziehbar. Nur mutige Investoren mit Langzeit-Perspektive ergriffen die Chance und haben zugekauft.

Sie wurden durchaus belohnt. Der Dow-Jones-Index stieg vom 1. Oktober bis zum 30. November um über 20 Prozent. Auch die meisten europäischen Indizes legten über zehn Prozent zu. Erst seit Anfang Dezember harzt es wieder ein wenig. Das hat viel damit zu tun, dass sich die Hoffnung auf einen angesichts der drohenden Rezession weniger restriktiven Kurs der Zentralbanken mehr und mehr verflüchtigen. Anleger, die sich an den Börsen auf einen versöhnlichen Jahresabschluss gefreut hatten, wurden gerade in den jüngsten Tagen arg enttäuscht.

Innerhalb weniger Stunden drehte sich die Stimmung an den Märkten. Die von den Zentralbanken angekündigten Zinsschritte bewegten sich in ihrem Umfang zwar im Rahmen des Erwarteten. Doch sowohl die amerikanische als auch die Europäische Zentralbank (Fed, EZB) stellten nach den jeweiligen Erhöhungen um 0,5 Prozentpunkte kein Ende der Zinserhöhungen in Aussicht. Angesichts der Inflation, die sich „auf viel zu hohem Niveau“ bewege, müsse alles unternommen werden, um sie wieder herunter ins Zielband von zwei Prozent zu bringen, äußerte sich beispielsweise EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Die Inflationsrate betrug in der Euro-Zone im November zehn Prozent, was gegenüber dem Vormonatswert (10,6 Prozent) nur ein geringer Rückgang war. Mit der Ankündigung, ab März die EZB-Bilanz durch den Abbau der riesigen Anleihenbestände verkürzen zu wollen, übte Lagarde zusätzlichen Druck auf die Märkte aus. Dass die Hoffnung auf ein Abflachen oder ein Zurückgehen des Leitzinsniveaus weiter in die Zukunft geschoben wurde, wirkt nämlich wie Gift, da Anleger sich auf das erwartete Zinsniveau beziehen, wenn sie den fairen Preis von Aktien ermitteln.

Die wohl noch länger harte Gangart der Notenbanken belastete dann auch am Freitag den US-Aktienmarkt. Der US-Leitindex Dow Jones Industrial fiel rund dreieinhalb Stunden nach dem Handelsauftakt um 1,6 Prozent auf 32.660 Punkte. Damit notierte er erstmals seit gut fünf Wochen wieder unter der Marke von 33.000 Punkten. Auch wenn er sich zum Schluss ein wenig erholte, lag er mit 32.837 Punkten auch am Ende der zweiten Verlustwoche in Folge unter dieser Marke. Der marktbreite S&P 500 sank um 1,2 Prozent auf 3.841 Punkte, der technologielastige Nasdaq 100 verlor 1,1 Prozent auf 11.209 Zähler.

Die Aktien von Maxar Technologies konnten mit einem Kurssprung auf 51,47 US-Dollar ihren Vortagswert mehr als verdoppeln. Der Finanzinvestor Advent kauft den Satellitenhersteller und -betreiber für 53 Dollar je Aktie beziehungsweise vier Milliarden Dollar. Beim Softwareunternehmen Adobe freuten sich die Anteilseigner nach Zahlen über ein Plus von 3,6 Prozent und den Spitzenplatz im Nasdaq 100. Der Gewinn im abgelaufenen Quartal übertraf trotz eines Rückgangs die Erwartungen. Zudem berichtete Adobe einen rund zehnprozentigen Umsatzanstieg. Mehrere Analysten hoben ihre Kursziele für die Aktie an. Dahinter verteuerten sich auch die Aktien der Facebook-Mutter Meta um vier Prozent, nachdem die US-Bank JPMorgan sie hochgestuft hatte und nun mit „Übergewichten“ empfiehlt.

Dagegen zollten die Papiere des Impfstoffherstellers Moderna ihrer jüngsten Rally Tribut: Nach den moderaten Vortagsverlusten ging es um knapp sieben Prozent nach unten. Am Dienstag und Mittwoch waren sie dank positiver Studienergebnisse zu einer Kombi-Therapie insgesamt um bis zu fast ein Drittel nach oben gesprungen. Tesla-Aktien sackten um bis zu fast fünf Prozent auf 150,04 Dollar auf ein weiteres Tief seit November 2020 ab. Zuletzt konnten sie das Minus zumindest etwas begrenzen, lagen aber immer noch vier Prozent unter dem Vortagskurs. Die zuvor gehypten Papiere des Elektroautobauers leiden schon eine Weile unter Sorgen über die Nachfrage und die Profitabilität. Hinzu kommt, dass Tesla-Chef Elon Musk aktuell durch seine neue Rolle als Eigentümer und Chef des Kursnachrichtendienstes Twitter abgelenkt scheint. Musk hatte zudem zwischen dem 12. und 14. Dezember fast 22 Millionen Tesla-Aktien für insgesamt knapp 3,6 Milliarden Dollar verkauft. Es war bereits das vierte Mal in diesem Jahr, dass sich Musk von Tesla-Anteilen im Milliardenvolumen trennen musste, um den Twitter-Kauf zu finanzieren. Mit dem Minus vom Freitag sackte der Börsenwert Teslas in diesem Jahr bisher um fast 60 Prozent ab.

Belastet von den wieder aufgeflammten Zinssorgen hatte zuvor schon der deutsche Aktienmarkt seine kräftigen Vortagesverluste ausgeweitet. „Risiko raus“, sei die Devise am Schluss der turbulenten Handelswoche gewesen, kommentierte Konstantin Oldenburger, Marktanalyst bei CMC Markets, und verwies auf den Verlust im Dax von rund 600 Punkten in den abgelaufenen drei Handelstagen. Letztlich beendete das deutsche Börsenbarometer den Handel am Freitag mit einem Minus von 0,7 Prozent auf 13.893 Punkte. Das Wochenminus beläuft sich auf 3,3 Prozent. Der MDax ging mit einem Abschlag von 1,3 Prozent auf 24.963 Zähler ins Wochenende.

Unter den Einzelwerten gewannen die Aktien der Deutschen Bank zwei Prozent und die der Commerzbank sogar 5,8 Prozent. Banken können in ihrem Alltagsgeschäft mit Anleihen, Konten und Krediten von steigenden Zinsen profitieren. Entsprechend legte die gesamte Branche zu und war in Europa die einzige mit Gewinnen. Dagegen wurden umgekehrt Immobilienwerte abgestoßen und waren europaweit Schlusslicht. Tag Immobilien fielen um 6,4 Prozent. Vonovia sackten im Dax sogar um 8,2 Prozent ab.

Im SDAX bauten die Papiere von Südzucker ihre Vortagesgewinne aus und stiegen um neun Prozent. Der Zuckerkonzern geht nach dem guten Lauf in diesem Geschäftsjahr auch für das kommende Jahr von weiter anziehenden Gewinnen aus. Die Papiere von Morphosys brachen am SDax-Ende dagegen um 11,4 Prozent ein und litten unter einer Verkaufsempfehlung der US-Bank Goldman Sachs.

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