Tichys Einblick
Der Marktausblick

Corona-Panik, Krisen-Profiteure, Helikoptergeld, der lange Blick

Das waren turbulente Tage. Nachdem die Akteure an den Aktienbörsen seit Mitte Januar die Schlagzeilen rund um die Coronaviren zunächst ignoriert hatten, kam es in den vergangenen Tagen zu einem fast panikartigen Ausverkauf. Verglichen mit seinem noch Mitte Februar markierten Rekordhoch von knapp unter 13.800 Punkten rutschte der deutsche Leitindex DAX in der Spitze um rund 15 Prozent ab, gut zehn Prozent davon allein in den vergangenen fünf Tagen. Das ist der größte Wochenverlust seit vier Jahren.

Getty Images

Werden die Kurse weiterfallen? DZ-Bank-Stratege Michael Bissinger beschreibt das dunkelste Krisenszenario folgendermaßen: „Lieferketten reißen, der Welthandel bricht ein und die Welt gleitet in eine Rezession ab.“ Der Dax könne dann ähnlich wie in den Rezessionsjahren 2003, 2009 und 2011 um rund 30 Prozent fallen. Damit würde er unter die psychologisch wichtige Marke von 10.000 Punkten rutschen. Die Strategen von Goldman Sachs halten das Rezessions-Szenario für weniger wahrscheinlich. Sie sehen aber ein höheres Risiko für eine kurzfristige Korrektur an den Aktienmärkten. Mit einer generellen Kehrtwende rechnen sie nicht, da die Firmengewinne nicht wesentlich einbrechen dürften.

Viele Beobachter versuchen Parallelen zur Marktreaktion auf das Schwere Akute Atemwegssyndrom (Sars) zu ziehen, das ebenfalls in China seinen Ursprung nahm und an dem 2002 und 2003 weltweit fast 800 Menschen starben. Damals erholten sich die Kurse binnen relativ kurzer Zeit: Rund sechs Monate nach dem Auftreten von Sars lag der S&P 500-Index bereits wieder rund 15 Prozent im Plus. „Die Schwere des Virus wird letztendlich die Reaktion des Marktes diktieren, und nur, weil die Indizes in der Vergangenheit Ausbrüche ignorieren konnten, bedeutet das nicht, dass dies auch dieses Mal der Fall sein wird“, sagt Portfolio-Manager Didier Anthamatten vom Schweizer Vermögensverwalter Unigestion.

Ein großer Unterschied ist, dass die chinesische Wirtschaft nun sechsmal größer sei als damals, rechnen die Strategen von Goldman Sachs vor. Zudem sei das Land viel stärker in die globalen Lieferketten eingebunden. Der Schaden durch Corona für die Weltwirtschaft könne intensiver, aber von kurzer Dauer sein, sagen die Ökonomen von IHS Markit voraus. „Das Coronavirus ist ansteckender als Sars, aber mit einer geringeren Sterblichkeitsrate.“ Zudem habe China viel schneller und umfassender reagiert, um die Krankheit einzudämmen.

Sollte der Virus jedoch international stärker um sich greifen, werden die Karten nach Meinung von Frank Häusler, Marktstratege bei Vontobel, neu gemischt. Mit einem Absturz von rund 50 Prozent der Aktienkurse wie in den den Jahren 2008 und 2009 rechnen die meisten Experten aber nicht. „Die Krise damals hatte ihren Ursprung in einer Finanzkrise, die sich sukzessive auf die Realwirtschaft ausgeweitet und diese abgewürgt hat“, sagt DZ-Bank-Experte Bissinger. Dagegen spricht auch, dass mit dem Abklingen der Krankheit im zweiten Halbjahr die Anleger wieder zuversichtlicher werden sollten. „Somit könnte eine starke Gegenbewegung zu beobachten sein.“

Der Dow Jones Industrial, der zeitweise deutlich unter 25 000 Punkte gefallen war, schloss am Freitag mit einem moderaten Minus von 1,4 Prozent auf 25.409 Punkte. Dennoch ging für das wichtige Börsenbarometer mit einem Wochenverlust von 12,4 Prozent eine der schlimmsten Handelswochen seit Jahren zu Ende. Auf Vierwochensicht sieht es kaum besser aus: Mit einem Minus von zehn Prozent hat der Dow den verlustreichsten Monat seit elf Jahren hinter sich.

Der S&P 500 verlor am Freitag noch einmal 0,8 Prozent auf 2.954 Punkte, nachdem es im Tagesverlauf auch für den marktbreiten Index zeitweise um mehr als drei Prozent abwärts gegangen war. Der Nasdaq 100 schaffte am Tagesende sogar ein Plus von 0,3 Prozent auf 8.462 Zähler.

Die US-Notenbank (Fed) will auf mögliche Risiken der Virus-Epidemie – falls nötig – mit geeigneten Maßnahmen reagieren. Die amerikanische Wirtschaft sei fundamental weiterhin stark, sagte Fed-Präsident Jerome Powell. Dennoch stelle das neuartige Coronavirus ein sich entwickelndes Risiko für die wirtschaftliche Aktivität in den USA dar. „Wir werden unsere Werkzeuge nutzen und angemessen handeln, um die Wirtschaft zu unterstützen“, versprach Powell.

Wer schon länger an der Börse aktiv ist, erkennt im Geschehen der vergangenen Tage das alte Abverkaufsmuster: Nach einer ersten Welle von zwei bis drei Tagen folgt eine Zwischenerholung, so geschehen vergangenen Mittwoch. Dann die zweite Welle, die von Donnerstag an über die Handelscomputer rollte. Nicht auszuschließen, dass es nach einer Beruhigung einen weiteren Schub gibt.

Was man nicht übersehen darf, jedem Panikverkäufer steht jemand gegenüber, der zu – aus seiner Sicht – Schnäppchenpreisen zugreift. Auch die Schnäppchenjäger haben ihre Gründe: Letztlich handelt es sich bei der Corona-Epidemie nur um eine grippeähnlich verlaufende Viruserkrankung, wie sie schon vielfach vorgekommen ist. Durch die Globalisierung wird der wirtschaftliche Effekt zwar verstärkt, insbesondere, da China der Ausgangspunkt war. Dort ebben die Folgen indes bereits ab. Lieferketten und Konsum sollten langsam wieder in Schwung kommen. Ist das der Fall, dann dürften nach der Panikwelle auch institutionelle Anleger sukzessive wieder einsteigen. Der typische Verlauf im Chartbild der großen US-Indizes wie des S & P 500, des Nasdaq und auch des DAX ist im Basisszenario ein V-förmiger. Dauert die Epidemie länger, könnte es auch ein U-förmiger werden.

Natürlich gibt es in solchen Krisen auch unmittelbare Profiteure, und so erleben wir in diesen Tagen zum Teil spektakuläre Kurssteigerungen. Immer wieder werden dabei Pharma-Unternehmen genannt, die wie Gilead vermeintlich kurz davor stehen, ein Medikament oder einen Impfstoff anzubieten. Das aber ist bisher reine Spekulation, noch gibt es kein Unternehmen, das über einen entsprechenden Wirkstoff in einem weit fortgeschrittenen Stadium verfügt.

Aber es gibt weitere einige interessante Werte – hier fünf Aktien im Schnellcheck:
Lakeland Industries: Das US-Unternehmen produziert und vertreibt Einweg- sowie Mehrweg-Schutzbekleidung, die unter anderem im Gesundheitswesen eingesetzt wird und vor Infektionen schützt

Draegerwerk: Das Lübecker Sicherheits- und Medizintechnik-Unternehmen hat unter anderem einen Geschäftsbereich Atemschutz mit entsprechenden Schutzmasken.

Eurofins: Die Eurofins Scientific SE mit Sitz in Luxemburg fokussiert sich auf den Bereich Analysen. Die Gruppe bietet weltweit bioanalytische Dienstleistungen für Labore an.

Alibaba: Wenn immer rnehr Chinesen sich nicht mehr auf die Straße trauen, wird das Shoppen im Internet zunehmen. Das unterstützt Chinas größten Online-Händler

Ecolab: Nicht nur in Krankenhäusern wird das hygienische Reinigen bei einer Pandemie wichtiger. Das US-Unternehmen ist ein weltweit führender Anbieter von Produkten und Dienstleistungen im Bereich der industriellen Reinigung und Hygiene.

Umgerechnet rund 1300 US-­Dollar soll jeder Einwohner von Hongkong in bar erhalten. Damit will die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungszone eine wegen der Corona-Epidemie drohende Wirtschaftskrise verhindern. „Es entspricht garantiert den Erwartungen unserer Bevölkerung, dass wir unsere Finanzreserven sinnvoll nutzen, um Unternehmen zu unterstützen und die Not der Menschen zu lindern“, sagt Finanzminister Paul Chan. Das Geld fällt quasi vom Himmel — beinahe wie das biblische Manna, das dem Volk Israel als Nahrung auf dem Weg durch die Wüste diente. In den vergangenen Tagen war zu hören, dies sei das erste Mal, dass Helikoptergeld zum Einsatz komme. Auch wenn es eine Frage der Definition ist, scheint dies nicht ganz richtig. So gab es in Japan bereits 1999 Konsumgutscheine für die Bürger. Deren Effekt auf die Konjunktur war gering. Der Faszination, die Helikoptergeld ausübt, waren die Erfahrungen nicht abträglich. Auch in der Diskussion über die Mittel, die der EZB nach Anleihekäufen, Leitzins von null Prozent und negativem Einlagensatz bleiben, um Inflation und Wachstum anzukurbeln, fällt immer wieder das Stichwort Helikoptergeld. Das Vorgehen in Hongkong dürfte in Frankfurt also mit Interesse verfolgt werden.

Allerdings ist anzunehmen, dass dieser Griff in die nachfrageökonomische Trickkiste keinen Effekt haben wird. Wenn Menschen Angst haben, geben Sie nichts aus, sondern legen soviel wie möglich auf die hohe Kante. Schenkt man Ihnen nun unerwartet Geld, werden sie auch dieses nicht ausgeben, sondern den Sparsäckel zusätzlich befüllen. Es ist wird sich deshalb noch nicht einmal die vom Erfinder des Begriffs Helikoptergeld, dem Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman, befürchtete Inflation einstellen. Es ist im übrigen der gleiche Grund, weshalb die Nullzinspolitik nicht funktioniert. Auch da lässt sich beobachten, dass die privaten Haushalte entgegen den Erwartungen der Zentralbanken nicht mehr ausgeben, sonder tendenziell mehr sparen.

Ein Blick auf die mit Aktien erzielten langfristigen Renditen mag dieser Tage beruhigend wirken. Da passt es, dass die Credit Suisse am Dienstag das „Global Investment Returns Yearbook 2020“ veröffentlicht hat. Die ­Investition in globale Aktien brachte demnach in den vergangenen 120 Jahren eine reale, also inflationsbereinigte, Rendite von 5,2 Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Mit Anleihen gab es von 1900 bis 2019 eine reale Rendite von zwei Prozent jährlich. Die erwartete künftige reale Rendite eines weltweiten Aktieninvestments wird auf 3,5 Prozent pro Jahr beziffert. Das können Anleger wie ein Mantra vor sich hersagen, wenn es an den Börsen wieder besonders turbulent zugeht.

Für Fondsmanager war 2019 ein relativ erfolgreiches Jahr. Nach einer Studie des Analysehauses Scope für acht wichtige Fondskategorien schafften es deutlich mehr Manager, mit der Rendite ihres Portfolios den jeweiligen Vergleichsindex zu schlagen. Von den 1951 betrachteten Aktienfonds übertrafen 661 den Index. Die sogenannte Outperformance-Ratio lag damit bei 34 Prozent, 2018 waren es nur 24 Prozent. Am deutlichsten konnten sich die Manager der Gruppe „Aktien Deutschland“ verbessern: 2018 schlugen 24,6 Prozent den MSCI Germany, 2019 waren es 64,3 Prozent. Daneben hat nur die Gruppe „Aktien Emerging Markets“ mit 50,8 Prozent eine Ratio über der 50-Prozent-­Marke. Die niedrigsten Werte gibt es in den Kategorien „Aktien Welt“ mit 24,9 und „Aktien Nordamerika“ mit 30,8 Prozent. Beide Gruppen haben einen Fokus auf dem US-Markt, der als sehr effizient gilt. „Effiziente Aktienmärkte erschweren es aktiven Fondsmanagern, Outperformance zu generieren“, sagt Scope-­Analystin Manqing Sun. Aktive Manager sind im Vorteil, wenn sie einen Informationsvorsprung ausspielen können — beispielsweise in Small- und Mid-Cap-geprägten Märkten oder den Emerging Markets.


Weitere Meldungen und Kommentare zu Wirtschaft und Börse lesen Sie auf unserer Partner-Site

www.boerse-online.de

Anzeige