Tichys Einblick
Medien, Ökonomen und Hedgefonds

Zahlreiche Experten sehen Deutschland vor größter Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten

Eine Reihe von in- und ausländischen Fachleuten sehen Deutschland vor der größten Rezession seit Jahrzehnten. Auf den Wirtschaftsminister kann das Land nicht setzen. Er unterstützt lieber Prestigeprojekte mit protektionistischen Methoden. Von Samuel Faber

IMAGO

Der Ton von Europas renommiertestem Wirtschaftsmedium ist unmissverständlich: Die deutsche Wirtschaft gleicht einem „Auto-Unfall in Zeitlupe“, so die Financial Times. „Im Jahr 2023 schrumpfte sie um 0,3 Prozent und war damit die am schlechtesten abschneidende große Volkswirtschaft der Welt. Hinzu kommen politische Rückschläge, landesweite Streiks und ein starker Rückgang der Popularität der Regierungskoalition.“

So seien „Haushalte und Unternehmen von den hohen Energiekosten schwer getroffen worden und haben wenig Vertrauen. Die Industrieproduktion ist rückläufig. Die Autoindustrie hat angesichts des weltweiten Trends zu Elektrofahrzeugen Mühe, wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Gleichzeitig herrsche Fachkräftemangel, die Wirtschaft sei von China abhängig. Dazu kämen „Streitereien und politische Pannen“.

Wertschöpfung sinkt in Deutschland

Dieses Urteil deckt sich auch mit den aktuellen Zahlen des Ifo-Geschäftsklimaindex. So trübte sich die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft zu Jahresbeginn ein. Das Ifo-Geschäftsklima sank im Januar auf 85,2 Zähler von 86,3 Punkten im Vormonat, wie das Münchner Institut in seiner Umfrage unter rund 9.000 Führungskräften mitteilte. Ökonomen hatten dagegen mit einem Anstieg auf 86,7 Punkte gerechnet. „Die deutsche Wirtschaft steckt in der Rezession fest“, stellte Ifo-Präsident Clemens Fuest klar.

Auch die Stimmung der Verbraucher in Deutschland hat sich im neuen Jahr so stark eingetrübt wie zuletzt im März 2023. Das Barometer für das Konsumklima der GfK im Februar sank überraschend um 4,3 auf minus 29,7 Punkte, teilte das Nürnberger Institut für Marktentscheidungen (NIM) mit. „Krisen und Kriege sowie eine anhaltend hohe Inflation verunsichern die Verbraucher und verhindern damit eine Verbesserung der Konsumstimmung“, heißt es im Bericht.

Ein wesentlicher Grund für die Eintrübung von Geschäftsklimaindex und Verbraucherbarometer ist die geringe Planungssicherheit. Unternehmen sehen sich einer zunehmenden Anzahl von Regulierungen aus verschiedenen Sektoren, von der Logistikbranche bis zur Agrarökonomie, gegenüber. Unternehmen, die abwandern können, wie jüngstes Beispiel Miele, suchen ihr Glück im Ausland. Andere Unternehmen, wie der Automobilzulieferer ZF, bauen in Deutschland Arbeitsplätze ab, ohne dass sie im Ausland aufgebaut würden, was zur Folge hat, dass Wertschöpfung abgebaut wird.

Protektionismus aus dem Hause Habeck

Unter geringer Planungssicherheit leiden auch die Verbraucher. „Die Sorgen um weiter hohe Preise bei Lebensmitteln und Energie verringern die Planungssicherheit, die besonders für größere Anschaffungen notwendig ist“, erklärten die Marktforscher von GfK. „Und wenn für Güter des täglichen Bedarfs mehr Geld ausgegeben werden muss, fehlen bei vielen die finanziellen Mittel für andere Käufe, wie etwa für Einrichtungsgegenstände oder elektronische Geräte.“

Alle Marktteilnehmer spüren und reagieren auf die Wirtschaftskrise. Das sieht auch der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes so. „Die Rezession ist hartnäckig, es gibt noch viel Unsicherheit bei Firmen und Verbrauchern“, sagte er gegenüber der Tagesschau. Robert Habeck widmet sich derweil lieber Klientelpolitik anstelle der Krise. Nachdem der Solarhersteller Meyer Burger angekündigt hatte, ein Werk schließen zu wollen, bekommt das angeschlagene Unternehmen Unterstützung vom Wirtschaftsminister. „Man sollte mindestens einen Teil des Fertigungswissens in Deutschland halten“, erklärte Robert Habeck (Grüne) auf dem Energiegipfel der Wirtschaftszeitung Handelsblatt in Berlin.

„Das wäre für mich ein Grund, in den Markt einzugreifen.“ Denn wenn es nicht gelänge, die zehn Prozent der Solarzellen, die derzeit nicht aus China kommen, zu behalten, falle man bei der technischen Entwicklung selbst zurück. Denkbar wäre eine Regelung, dass Bauprojekte Quoten-Vorgaben erhalten, nach denen sie die eingesetzte Technik bei einheimischen Produzenten erwerben müssen. Nationaler Protektionismus also.

Hedgefonds wettet gegen Deutschland

Diese Art von staatlichen Eingriffen hat eine Reihe von Nachteilen. So kann der beabsichtigte, verringerte Wettbewerb, der darauf abzielt, die heimische Wirtschaft zu schützen, genau das Gegenteil bewirken. Durch den Ausschluss von Mitbewerbern vom Markt können ineffiziente Produktionsstrukturen entstehen. Aufgrund dieses Effizienzverlustes müssen langfristig die Preise erhöht werden, während die Auswahl für die Verbraucher eingeschränkt wird und auf Dauer Arbeitsplätze abgebaut werden. So führt die Idee, die Wirtschaft zu schützen, paradoxerweise dazu, dass die Wirtschaft beschädigt wird.

Ein Indikator dafür, inwiefern eine Wirtschaft in der Krise steckt, ist, wer gegen eine Ökonomie wettet, wie der Hedgefonds Qube Research & Technologies. Die Briten setzen mehr als eine Milliarde Euro auf fallende Kurse deutscher Aktien und versuchen so, von der wirtschaftlichen Misere des Landes zu profitieren. Das berichtet Bloomberg News. Qube hat in den letzten Wochen seine Wetten gegen deutsche Blue Chips von Volkswagen bis Rheinmetall aufgestockt und unter anderem eine 121 Millionen Euro schwere Short-Position in Deutsche Bank. Eine Short-Position bezeichnet den Verkauf von Vermögenswerten, die der Verkäufer nicht besitzt, in der Erwartung, dass der Preis dieser Vermögenswerte fällt, um sie später zu einem niedrigeren Preis zurückzukaufen.

Beratungsresistente Regierung

Britische Ökonomen, der Geschäftsklimaindex, das Verbraucherbarometer, Financial Times und ein Hedgefonds – viele Experten sehen die deutsche Wirtschaft vor der größten Krise seit Jahrzehnten. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, äußerte sich gegenüber der Tagesschau: „Der deutliche Rückgang des ifo-Geschäftsklimas markiert einen schlechten Start ins neue Jahr.“ Der zweite Rückgang in Folge beim Ifo-Geschäftsklima enttäusche die Hoffnung all derer, die nach der Stimmungsaufhellung im Herbst auf ein Aufschwungsignal gesetzt hatten. Der Trend weise immer noch nach unten. „In der Konjunktur ist zur Zeit der Wurm drin“, resümiert auch Ökonom Jens-Oliver Niklasch von der LBBW.

Im Wirtschaftsministerium scheint dies alles nicht anzukommen. Hier sind Prestigeprojekte wichtiger. Kaum eine Regierung gab sich in der Vergangenheit so beratungsresistent, was externe ökonomische Fachleute angeht. Ein Fehler, den das Land bereits jetzt schon teuer bezahlt.

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