Tichys Einblick
oder: Hic ius sepultum (Lat. Hier liegt das Recht begraben)

Draghi in der monetären Echokammer

Was der Herr aller Druckerpressen fordert, ist nicht weniger als die Unterwerfung unter eine sich als Technokratie selbst definierende Elite in einer selbsternannten monetären Räterepublik.

© Getty Images

Der Präsident der EZB ist ein vielreisender Mann. Nutzte er noch Anfang letzter Woche ein Zusammentreffen von Nobellaureaten am Bodensee, um mit seinen Kommentaren den Totengräber des Rechtsstaats zu geben, machte sein kleinlaut-schweigsamer Auftritt in Jackson Hole, dem pittoresken Rückzugsort des globalen monetären Zentralkomitees klar, wem die Stunde eigentlich geschlagen hat: Die Herren der Druckerpresse sind mit ihrem Latein am Ende. Sie wissen nicht wie es weitergehen soll. Morituri te salutant. Die Todgeweihten grüßen dich.

Es ist daher dies der Ort und die Zeit, dem Präsidenten der EZB, Mario Draghi, Dank auszusprechen. Dank dafür, dass er den Vortrag vor Nobelpreisträgern in Lindau am 23. August genutzt hat, uns allen wieder einmal in aller Klarheit deutlich zu machen, was er als Führer der Notenbank vom Rechtsstaat hält, wenn es darum geht, die aus ihm resultierenden Einschränkungen der eigenen Handlungsfähigkeit zu achten und zu respektieren: Nämlich gar nichts. Die Erleuchtung kommt vom Bodensee. Ex Lindau lux. Und auch Dank auszusprechen für das luzide Schweigen von Jackson Hole, das Loch von Jackson, wo man sich trifft, als wollte man dokumentieren, dass man in einem Loch sitzt, das man sich gegraben hat. Wo außer Spesen nichts gewesen ist und man die Ratlosigkeit mit Händen greifen konnte. Dante Alighieri hätte wohl kommentiert: „Lasset alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet!“ Oder für Herrn Draghi: Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!

DIE EZB UND IHRE UNTERNEHMENSANLEIHEN
Mario Draghi hat es mit Konzernen und mit der öffentlichen Hand
Seine Ablehnung des Rechtsstaates würde er natürlich nie in dieser Brutalität formulieren, dafür ist der Mann viel zu sehr italienischer Politiker und Eurokrat. Nein, so eine Botschaft wird subkutan eingerieben und scheinwissenschaftlich als angebliche Notwendigkeit verpackt. Gut, wenn man dann ein paar Nobelpreisträger und einen ewigen Aspiranten, Herrn Rogoff, zur Hand hat, die einem sekundieren, die Büchse spannen und sich so radikal gebärden, dass man als Hauptredner den Moderaten markieren kann. Das wurde von den anwesenden Pressevertretern so gut verstanden, dass die Welt titelte: „Draghi rechnet mit seinen Gegnern in Deutschland ab“.
Was also hat Draghi gesagt?

Unter der harmlos klingenden Vortragüberschrift „Die Wechselwirkung von Forschung und (Geld)-politik“ zollte er zunächst den tatsächlichen (Adam Smith, Ricardo) und vermeintlichen (Keynes) Titanen der Wirtschaftswissenschaft Tribut und schmeichelte seinen Zuhörern, indem er sie mit ihnen verglich und als Genies bezeichnete (Lehrgang der Eurokratie, Kapitel 1: „Wie werde ich ein Schleimer“).
Das kann ich verstehen, Eitelkeit ist auch meine Lieblingssünde.

Sodann, mäandernd um ein paar ideengeschichtliche Exkurse der Wirtschaftstheorie und ein paar allgemein bekannte Fakten über die Entwicklung der Finanzkrise steuert er auf das eigentliche Ziel seiner Ausführungen zu. Kernaussage: „Die Zeiten haben sich geändert, die Theorien haben sich geändert“. Da muss sich die Geldpolitik auch ändern und zwar bitteschön so, dass sie nichts und niemanden um Erlaubnis fragen muss, wenn sie die „ausgetretenen Pfade“ der vergangenen Regelbindung verlässt.

Regelbruch als neue Regel

Zitat: „Wenn sich die Welt verändert, so wie vor 10 Jahren, muss vor allem die Geldpolitik neu ausgerichtet werden“. Grundlage sind die neuen wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse, „die frühere Paradigmen ersetzen, weil sie ihren Erklärungswert verloren haben“. Dass auch seine neuen vermeintlichen Einsichten mit einem Verfalldatum gekennzeichnet sind, dass näher liegen könnte als er ahnt, will er natürlich nicht hören.

Was der Herr aller Druckerpressen also fordert, ist nicht weniger als die Unterwerfung unter eine sich als Technokratie definierende Elite, ihn und seinesgleichen, die sich ihre Legitimation aus dem Applaus umschmeichelter Nobelpreisträger zieht, sich ihre neuen Paradigmen letztlich mit Hilfe ihrer eigenen volkswirtschaftlichen Abteilung selbst aussucht und den Regelbruch zur neuen Norm erklärt.

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Mario Draghis Nullzins-Politik wirkt wie Crystal Meth
Sie kann dann ihre durch die Hintertüre eingeführte transalpine Transferunion wissenschaftlich weiterhin verbrämen und das macht sie so lange, bis der Opportunismus neuer Ereignisse oder auch nur neuer fiskalischer Bedürfnisse es ihr erlaubt oder es ihr aufzwingt, das vorübergehend als Politikabschnittsparadigma angenommene „wissenschaftliche“ Rahmenwerk über Bord zu werfen und sich dem nächsten Menü an der Theke monetärer Selbstbedienung bzw. ihrer geldpolitischen Akkommodation zuzuwenden. Warum fordert er nicht gleich die Diktatur der Technokraten, die ihm so offensichtlich vorschwebt?

Ok, sie haben mich erwischt, verehrter Leser, die Frage war rhetorisch.

Da ist es fast überflüssig im Detail aufzuarbeiten, was er sonst noch so an Behauptungen Mantra-artig wiederholt hat, die schon längst an der Klippe der Realität zerschellt sind. Das reichte von der Illusion, das die Banken in Europa heute besser kapitalisiert seien als vor 10 Jahren, obwohl dieses Kapital gar nicht mehr da wäre, wenn man die aufgestauten Risiken durch Zombieunternehmen in den Kreditbüchern der Banken korrekt erfasst hätte, über das eingestreute Selbstlob für einen viermal in Reihe nach allen objektiven Kriterien gescheiterten Stresstest bis zum gebetsmühlenartigen Gemurmel, dass die durchbürokratisierte Regulierungswut, die die Banken in Kosten und Erstarrung erstickt und für die die EZB als Mutter aller europäischen Aufsichtsbehörden die Verantwortung trägt, das System sicherer gemacht habe.

Diktatur der Technokraten

Da ist es ja fast schon tröstlich bis beschwichtigend zu hören wie der Herr Präsident Lippenbekenntnisse zur Erkenntnistheorie abgibt und zugibt „dass unser Wissen immer noch Lücken hat“. Das macht mich fertig, wenn ich bedenke, dass der Draghi doch nicht allwissend ist. Der hat wohl nicht genug Umgang mit Kim Jong Un, denn sonst wüsste er, dass man das als Halbgott nicht zugeben darf.

Da kann der Nobelpreisträger Friedrich von Hayek ja posthum noch froh sein, dass er sich nicht von ihm den Begriff von der „Anmaßung des Wissens“ mal schnell ausgeborgt hat, um seinem ganzen Ideengebäude einen Heldennotausgang zu verschaffen, falls die Sache schiefgeht. Das wird sie nämlich in absehbarer Zeit tun: Schief gehen. Und das weiß der Mann auch. Deshalb sein beredtes Schweigen im Jackson Loch, wo es konkret darum ging, wie es weitergeht.

Juncker agiert wie immer
Europäische Verteilungskämpfe nach der Bundestagswahl?
Die in Juncker-Manier geherzten, gedrückten und abgebusselten Nobelpreisträger oder wenigstens einige von ihnen kamen denn auch in der anschließenden Diskussion nicht umhin, dem Herrn der zwei Frankfurter Türme anständig Tribut und Huldigung zu zollen. Ein amerikanischer Teilnehmer, Prof. Christopher Sims, der das Privileg genießt, beim absehbaren großen Knall für die Folgen von Herrn Draghi‘s Geldplanwirtschaft nicht aufkommen zu müssen, fasste sein Einsichten aus der Rede gegenüber der Presse wie folgt zusammen: Die EZB hat die eigenen Regeln massiv ausgeweitet, aber anders hätte sie die Krise nicht meistern können. Deutschland mit seiner „Regelversessenheit“ liege falsch. Er rechne nicht damit, dass Europa neue Regeln hinbekomme, weil der Streit darüber, wer die Kosten bezahle, zu groß sei. Also müsse die EZB die Regeln weiter kreativ ausweiten.

Mit anderen Worten: Die EZB sollte nicht der Herrschaft des Rechts unterliegen. Sie macht sich ihre Regeln selbst. Hoffentlich haben die Richter am Bundesverfassungsgericht das gehört und machen sich endlich einen Reim auf diese Philosophie der Gesetzlosigkeit.

Gesetzlosigkeit als Norm

In welche Richtung die technokratische Herrschaft der als Nobelpreis-geadelten und Nobelpreis-aspiranten der Kritik gewöhnlicher Sterblicher entzogene neue Elite unserer monetären Räterepublik gehen soll, hat in entlarvender Selbstbezichtigung der anwesende Kenneth „wann-krieg-ich-endlich-auch-den-Nobelpreis“ Rogoff zu Protokoll gegeben. Wer hat den eigentlich eingeladen? Ich dachte, es wäre ein Treffen derer, die schon die Medaille im Schrank endgelagert haben. Na, auch egal. Er fordert jedenfalls ein neues Geldsystem, dessen Folterinstrumente der Enteignung nicht am Nullzins oder knapp darunter halt machen dürfen. Höhere, viel höhere Negativzinsen müssen her und weil das natürlich die Gegenwehr der Bürger herausfordern würde, sollte das Bargeld abgeschafft werden. Nur so gewinnt man die totale Kontrolle und kann die hart arbeitenden und sparenden Bürger zu Laborratten der selbsterdachten geldpolitischen Experimente machen.

Herr Draghi wollte seinem Büchsenspanner in Lindau doch noch nicht bis zu diesem Punkt folgen, weil er natürlich klug genug ist, zu wissen, dass sein politisches Kapital für diese Volte nicht ausreicht. Die Medizin der Bargeldabschaffung verabreicht er tropfenweise, indem er die Geldscheine von oben abgezählt der Reihe nach aus dem Verkehr zieht. So macht man das, Rogoff!

Aber eine Hintertür für alles, was das opportunistische Gebot einer dem Recht entwachsenen Geldpolitik erforderlich machen könnte, um mehr Geld über die Alpen zu schaufeln, hat er sich natürlich offengelassen mit einem Zitat seines Säulenheiligen Keynes: „Wenn sich die Fakten ändern, dann ändere ich mein Denken. Und Sie?“ Mann, ist der lernfähig.

Dokumentation: Die Hintergründe der neuen Klage gegen die EZB
EZB: Dem Geld-Diktator entgegentreten
Knapp eine Woche später ist von diesem überbordenden Selbstbewusstsein nicht mehr viel zu spüren. Frau Jellen, die mal versuchsweise die Zinsen um 0,25% erhöht hat, darf jetzt zusehen, wie die aufgestaute Pleitenwelle in den USA nachgeholt wird. Der winzige Zinsschritt war schon zu viel für unzählige Firmen in all den Branchen, wo der überfällige Strukturwandel seit fast 10 Jahren auf morgen verschoben wird. Im Einzelhandel kippen sie schon wie die Fliegen. Was passiert dann erst bei einer Zinswende, die diesen Namen auch verdient? Was passiert mit den Staatsfinanzen der südlichen Euroländer, was mit den Zombiefirmen auf Europas Bankbilanzen?

Man legt im Jackson Hole den Kopf in den Nacken und schaut gemeinsam gebannt nach oben, um die kreisrunde Öffnung des Loches zu sehen, das man sich gegraben hat. Die Erde an seinen Rändern beginnt schon zu bröckeln.

Wenn sie erst mal richtig ins Rutschen kommt, können wir anfangen, Europa neu zu bauen. Neu denken müssen wir es jetzt schon.

MEGA. Make Europe Great Again.