Tichys Einblick
Untersuchung eines Kölner Forschungsinstituts

Die wahre Inflation liegt viel höher

Bundesbank-Chef Jens Weidmann rechnet mit einer Inflation von über 3 Prozent zum Jahresende. Indes steigen die Vermögenspreise noch kräftiger und die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Das liege auch an der Geldpolitik der Zentralbanken, sagen kritische Ökonomen. Von Elias Huber

IMAGO / Steinach

In der vergangenen Woche erklärte Jens Weidmann in einem Interview, die Verbraucherpreise dürften zum Jahresende auf über 3 Prozent steigen. Wörtlich sagte der Bundesbank-Präsident: “Aus heutiger Sicht dürfte die Inflationsrate gemäß dem Harmonisierten Verbraucherpreisindex in Deutschland zum Jahresende hin über drei Prozent liegen.” Klar sei, dass die Inflationsrate auf Dauer nicht so gering bleibe wie im vergangenen Jahr, fuhr er fort. Trotzdem werde eine Rate von 3 Prozent “nur vorübergehend” bestehen.

Weidmann liegt wohl richtig, wenn er steigende Preise ankündigt. Indes dürfte die wahre Inflation deutlich höher liegen – denn die Vermögenspreise steigen kräftiger als die Verbraucherpreise. Das zeigt auch eine Untersuchung des Flossbach von Storch Research Institute, die am Montag erschienen ist. Die Kölner Konjunkturforscher schätzen in dem Papier, dass die Vermögenspreise in Deutschland um satte 6,3 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen sind. Dagegen seien die Verbraucherpreise im gleichen Zeitraum um 0,4 Prozent gewachsen, berichten sie.

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Besonders kräftig legten demzufolge die Sachgüter mit einem Plus von 7,7 Prozent zu. Auf diese Kategorie entfalle 79 Prozent des Vermögens der deutschen Haushalte, schreibt der Studienautor Philipp Immenkötter. Einen Großteil davon machen die Immobilien aus, die für 63 Prozent des Gesamtvermögens stehen und deren Preis um 7 Prozent gestiegen ist. Auch das Betriebsvermögen, das für knapp 12 Prozent aller Vermögen steht, erhöhte sich um satte 14,3 Prozent im Preis. Dagegen fielen die Preise von Aktien (-0,7 Prozent) und Rohstoffen (-6,3 Prozent), nur Gold legte um 14,4 Prozent zu. Die Finanzvermögen, zum Beispiel Spar- und Sichteinlagen oder Rentenvermögen, stagnierten mit einem leichten Plus von 0,4 Prozent.

Autor Immenkötter nennt als Ursache für die steigenden Vermögenspreise die Geldpolitik der EZB. Die habe in den vergangenen Jahren die Geldmenge ausgeweitet und die Zinsen gesenkt. Zudem habe die Fiskalpolitik der Bundesregierung im Jahr 2020 die Nachfrage nach Vermögensgütern nach oben getrieben – etwa die Überbrückungshilfen und die Konjunkturpakete.
Somit dürfte die wahre Inflation deutlich über den offiziellen Zahlen liegen. Auch Philipp Bagus erklärt gegenüber Tichys Einblick, dass die Verbraucher den offiziellen Inflationszahlen nicht trauen können. “Die Zusammensetzung der Warenkörbe, die der Berechnung zu Grunde liegen, werden manipuliert und verändert und sind auch willkürlich”, sagt der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid. Weidmanns Schätzung von 3 Prozent nennt Bagus “bezeichnend”, denn der Bundesbank-Präsident müsste eigentlich sofort Gegenmaßnahmen ansteuern, um das EZB-Inflationsziel von unter 2 Prozent zu erreichen.

Gleichzeitig zeigt die Untersuchung des Kölner Instituts, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht. Demnach wachsen vor allem die Vermögen von Unternehmern und Immobilienbesitzern. “Je höher der Anteil des Betriebsvermögens und Immobilienvermögens des jeweiligen Haushalts ist, desto größer fällt die Vermögenspreisinflation aus”, schreibt Immenkötter. Vor allem Wohlhabende besitzen Unternehmen und Immobilien, wodurch sie von den steigenden Preisen profitieren – laut der Untersuchung besitzen die reichsten Haushalte durchschnittlich 20 Prozent Firmenvermögen und 62 Prozent Immobilienvermögen. Hier sei mit 7,2 Prozent die höchste Preissteigerung zu finden, schreibt Immenkötter. Dagegen falle bei Haushalten der unteren Mittelschicht, die selten über eigene Immobilien oder Unternehmen verfügten, das Plus mit 1,8 Prozent am geringsten aus.

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Vor allem die Vermögenden profitieren also von der ultralaxen Geldpolitik der EZB. Gunther Schnabl, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Leipzig, untersuchte den Zusammenhang zwischen Geldpolitik und materieller Ungleichheit in einem Fachaufsatz aus dem Jahr 2019. Er berichtet für den Zeitraum zwischen 1980 und 2008 über die Staaten Deutschland, Japan und die USA: “In allen drei Ländern hatten die oberen 10 Prozent der Einkommensverteilung die größten Zugewinne in den realen Einkommen.” Die Reallöhne der breiten Masse stagnierten hingegen. Ihren Ausgang nahm diese Entwicklung mit der lockeren Geldpolitik der Zentralbanken seit den 1980er-Jahren – also nach der Aufkündigung des Bretton-Woods-Abkommens im Jahr 1973. Zuvor war der US-Dollar noch an Gold gekoppelt gewesen.

Laut Schnabl finden gleich mehrere Umverteilungen im Zentralbanken-System statt: Von kleinen und mittleren zu großen Unternehmen, von jungen zu alten Menschen, von der Industrie zur Finanzbranche und von den Empfängern mittlerer Einkommen zu den Beziehern hoher Einkommen. Grund sei unter anderem der sogenannte Cantillon-Effekt, benannt nach dem irischen Ökonomen aus dem 18. Jahrhundert. Danach können diejenigen, welche neugeschöpftes Geld der Zentralbanken zuerst erhalten, am Markt zu niedrigen Preisen kaufen. Diejenigen, bei denen das frische Geld spät ankommt, müssen gestiegene Preisen akzeptieren und verlieren an Kaufkraft. Konzerne, Banken oder Staaten sind unter den Erstempfängern und somit Profiteure des Systems. Die Folge ist unter anderem “eine Aushöhlung der Mittelschicht”, wie Schnabl und der Co-Autor Pablo Duarte in dem Fachartikel “Monetary policy, inequality, and political instability” schreiben.

Um das zu verhindern, fordern die Ökonomen der sogenannten Österreichischen Schule eine radikale Reform des Finanzwesens. Es brauche “ein vollgedecktes Warengeldsystem, wie ein 100-prozentiger Goldstandard”, sagt Philipp Bagus. Nur dann drohten keine Verarmung durch Preisinflation und wiederkehrende Krisen, welche die gesamte Volkswirtschaft in den Abgrund ziehen, erklärt er.

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