Tichys Einblick
Global Wealth Report

Die Vermögen wachsen unverhältnismäßig – wehe dem, der keins hat

Es gibt nichts zu beschönigen: Die Vermögen wachsen in Deutschland und im Rest der Welt viel stärker als die Wirtschaftsleistung. Dafür sorgt vor allem die Zentralbankpolitik des billigen Geldes, die die Vermögenspreise inflationiert.

imago images / Jens Schicke

Der „Global Wealth Report“ der Allianz-Versicherung, der jetzt wie jedes Jahr öffentlich wurde, betrachtet nicht eigentlich den Wohlstand, sondern eigentlich nur die Vermögensentwicklung. Das Wort „Wealth“ bezeichnet im Englischen beides, Wohlstand und Vermögen. Im Deutschen gibt es da einen Unterschied. Hierzulande denkt man bei Wohlstand eher an das laufende Einkommen. Was vielleicht auch daran liegt, dass der Wohlstand der Deutschen längst nicht so sehr auf hohen Privatvermögen beruht wie in den USA und auch vielen anderen Ländern Europas.

Die Vermögenspreise steigen unverhältnismäßig, also stärker als das Bruttoinlandsprodukt, wie der Global Wealth Report erneut feststellt: „Weltweit stieg das Brutto-Geldvermögen im Jahr 2019 um 9,7 % und verzeichnete damit das stärkste Wachstum seit 2005. Angesichts der Tatsache, dass das Jahr 2019 von sozialen Unruhen, eskalierenden Handelskonflikten und einer industriellen Rezession geprägt war, ist diese Leistung mehr als erstaunlich.“

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Für alle, die nennenswerte Vermögen besitzen, also eine gute Nachricht. Natürlich auch für die, die nicht Millionenwerte, sondern ein bescheidenes Wertpapierdepot besitzen. Auch das Median-Geldvermögen, also das Geldvermögen in der Mittelschicht, hat entsprechend stark zugenommen. Doch für den Wohlstand aller derjenigen, die kein nennenswertes Vermögen besitzen, und vor allem für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft ist es keine gute Entwicklung. Zumindest dann nicht, wenn man, wie es ordoliberaler, Erhardtscher Auffassung entspricht, eine breite Verteilung des Produktivvermögens in der Bevölkerung für wünschenswert hält. Denn dafür wäre es notwendig, dass die sogenannten kleinen Leute, die von ihrer Arbeit leben, einen wachsenden Anteil an diesem Vermögen erwerben und dadurch der Anteil der wenigen Superreichen am Gesamtvermögen der Volkswirtschaft zu ihren Gunsten abnimmt. Aber wenn nun die Preise für dieses Vermögen sehr viel stärker wachsen als die Einkommen aus Erwerbsarbeit, wird es immer schwerer, sich ein Vermögen zu erarbeiten, also aus den (nur wenig wachsenden oder gar inflationsbereinigt stagnierenden) Arbeitseinkommen einen Anteil am Immobilien- oder Produktivvermögen zu erwerben.

Das Ergebnis ist das, was unter liberalen Wirtschaftsbeobachtern gerne geleugnet oder zumindest verharmlost wird, aber leider nicht zu ignorieren ist: die sich öffnende soziale Schere. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die niedrigsten Einkommen sinken. Das verhindern zumindest in Deutschland und anderen europäischen Staaten die Sozialsysteme und Mindestlöhne. Aber die Möglichkeit des Ansparens von Vermögens wird geringer, weil die Kaufkraft jedes erarbeiteten Euros für den alltäglichen Konsum kaum abnimmt (die offizielle Inflationsrate bleibt unter zwei Prozent), aber die Kaufkraft dieses Euros für eine Aktie sehr viel stärker schwindet. Der Anteil der schon Vermögenden am Gesamtvermögen der Volkswirtschaft und damit auch deren Macht über die Produktivkräfte wird also mit der Inflation der Vermögenspreise größer.

Die Allianz-Analysten schreiben auch gleich schon in der Einleitung, woran diese Entwicklung, die man auch als Inflation der Vermögenswerte bezeichnen kann, nicht zuletzt liegt: „Doch als die Zentralbanken einen Kursschwenk hin zu einer breit angelegten geldpolitischen Lockerung vollzogen, führte dies zu einem kräftigen Plus von 25% der Aktienmärkte, losgelöst von den Fundamentaldaten; in der Folge wurde dadurch auch das Geldvermögen kräftig angehoben: Allein die Anlageklasse der Wertpapiere nahm 2019 um satte 13,7% zu; nie war das Wachstum im 21. Jahrhundert stärker.“ Die Fundamentaldaten, das ist letztlich die Wirtschaftsleistung, meist gemessen als Bruttoinlandsprodukt.

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Und laut Allianz dürfte sich diese Entwicklung auch im laufenden Jahr unter Corona-Bedingungen fortsetzen – „nur ins Extrem gewendet“. Denn: „Als Covid-19 die Weltwirtschaft in die tiefste Rezession seit 100 Jahren stürzte, legten Zentralbanken und Finanzbehörden auf der ganzen Welt beispiellose geld- und fiskalpolitische Hilfspakete auf und schirmten so die Haushalte und ihr Geldvermögen vor den Folgen einer Welt in Unordnung ab.“

Das Geld, das aus dem Nichts geschaffen wird, kommt eben nicht allen gleichmäßig zugute, sondern treibt die Vermögenspreise stärker als die Einkommen aus Löhnen und Gehältern. „Wir gehen daher davon aus“, schreiben die Analysten, „dass die privaten Haushalte ihre Verluste aus dem ersten Quartal wettmachen konnten und bis zum Ende des zweiten Quartals 2020 einen leichten Anstieg des globalen Geldvermögens um 1,5% verzeichneten; Haupttreiber der Entwicklung sind die Bankeinlagen, die dank großzügiger öffentlicher Unterstützungsprogramme und vorsorglicher Ersparnisbildung um kräftige 7,0% zunahmen. Es ist damit sehr wahrscheinlich, dass das Geldvermögen der privaten Haushalte im Jahr 2020, dem Jahr der Pandemie, im Plus enden wird.“ Während, so müsste man eigentlich ergänzen, die Bruttoinlandsprodukte sinken werden und damit der Kuchen, aus dem die Erwerbseinkommen finanziert werden.

Wer die Rechnung für die Corona-Pandemie beziehungsweise die staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen zu zahlen hat, ist also offensichtlich: Nicht die Vermögensbesitzer, sondern die Bezieher von Löhnen und Gehältern, auch wenn letztere das nicht immer unmittelbar bemerken, weil der Staat einspringt. Doch auch der finanziert sich kaum aus den Vermögen, sondern aus dem BIP.

Kurz: Wohl dem, der schon ein Vermögen hat. Wehe dem, der keines hat.

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