Tichys Einblick
Automobil-Report Deutschland Nr. 10/21

Deutschlands Automobilindustrie ist auf Talfahrt 

Die deutsche Autoindustrie erlebt einen Herbst des Missvergnügens. Ausschlaggebend sind ausschließlich Chip- und Materialmangel in der Produktion sowie Lieferengpässe in der Logistik – ein globales Phänomen.

Lastkraftwagen stehen in der Nacht bei Nebel auf dem Rastplatz Freienhufener Eck bei Schipkau, 14.11.2021.

IMAGO / photothek

Der Abwärtstrend beim Automarkt wie bei Herstellern und Zulieferern selber hat im Oktober unvermindert angehalten: Alle Markt- und Branchendaten (Quellen: VDA, KBA, Automobilwoche) sind tiefrot. Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren aber – anders als in den vergangenen Monaten des Lockdown – nicht Corona oder ein allgemeiner Abwärtstrend im Autozyklus, sondern ausschließlich Chip- und Materialmangel in der Produktion sowie Lieferengpässe in der Logistik –ein globales Phänomen. Kurz: Corona hat auch zwei Jahre nach Ausbruch und fortschreitender Impfung die Welt fest im Griff.

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Das ist neu: Plötzlich ist die Misere nicht fehlender Nachfrage geschuldet, sondern fehlendem Material am Band. Lieferzeiten für neue Automobile von inzwischen bis zu einem Jahr feiern im deutschen Autohandel wieder fröhlich Urstände. Es ist so, als ob Wartezeiten von mindestens einem Jahr auf einen Neuwagen, wie sie letztmalig unter Daimler Vorstandsvorsitzendem Prof.  Joachim Zahn Ende der 60iger Jahren für erstrebenswert gehalten wurden, in der DDR hielten sie sich bei Trabbi und Wartburg bis zu deren Ende 1989, wieder normal würden. 

Überlagert wird diese missliche Situation  von spektakulären Unternehmens-Meldungen aus dem Innenleben oder über kommende oder drohende Umstrukturierungen bei den deutschen Branchen-Leuchttürmen Volkswagen und Daimler:

  • Bei Volkswagen wurde das Stück Kabale und Liebe aufgeführt. Hier endete ein spektakuläres Kompetenzgerangel zwischen VW-Chef Herbert Diess, der schmerzhafte Personaleinschnitte zur Effizienz Steigerung mit dem drohenden Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen in den Ring warf – der letzte Kahlschlag unter Wolfgang Bernhard von 20.000 Stellen lag fast 20 Jahre zurück und endete mit dessen Ablösung –  und zwischen der frisch gekürten Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo, die den CEO Diess zum Erscheinen und zur Rechenschaft vor die Betriebsversammlung zwang. Das Ganze endete -vorerst unentschieden-  mit dem Kompromiss, in Nähe des Stammwerkes in Wolfsburg ein völlig neues Wer zu bauen, in dem das für 2026 angekündigte VW Nobel-Elektroauto Trinity gebaut werden soll. Auf diese Weise würde auch das Stammwerk „elektrifiziert“ und „Arbeitsplätze Zukunft sicher gemacht“.
  • In Stuttgart wurde der Autokonzern Daimler, ehemals Daimler Benz geheißen, Monument der deutschen Industriegeschichte, sang- und klanglos unter dem Jubel der Aktionäre zerschlagen und vom Jung-Schweden und CEO Ola Källenius in drei Teile aufgeteilt und verselbständigt. Nicht-Unternehmensberater J.W. Goethe hätte zum Gegenteil geraten: „Was du ererbt von deinen Vätern,  erwirb es, um es zu besitzen!“ Von Verscherbeln hat Goethe nicht gesprochen.

Gleichzeitig verkündete Daimler Chef Källenius den Abbau von 7000 Arbeitsplätzen.

Um das Maß voll zu machen wurden von allen deutschen Wirtschaftsforschungs- Gremien die BIP-Wachstums-, vom VDA ebenso die Zulassungsprognosen, nach unten, die Corona-Inzidenz-Zahlen des RKI dagegen ständig nach oben korrigiert.

Fazit: eine kurzfristige Besserung der Lage ist nirgendwo in Sicht, im Gegenteil, der Winter verspricht für die Autoindustrie sehr hart zu werden. Auch die auf der Klimakonferenz COP26 in Glasgow getroffene Vereinbarung der Weltgemeinschaft, sich aus der fossilen Verbrennung zu verabschieden und damit dem Verbrennermotor „den Saft“ abzudrehen, bedeutet für die Autoindustrie hohe Anspannungen auf lange Sicht. 

Automarkt im Oktober 2021

Die Neuzulassungen in Deutschland fallen auf den niedrigsten Oktoberwert seit der Wiedervereinigung fallen. Alleiniger Grund: mangelnde Verfügbarkeit von Speicherchips. Der bisherige Zulassungs-Tiefststand aus dem Vorjahr wird damit auch nach zehn Monaten nicht aufgeholt sondern ausgeweitet.

Dazu im Einzelnen: 

  • Im Oktober wurden in Deutschland 178.700 Pkw neu zugelassen, 35 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Damit gingen die Verkäufe im vierten Monat in Folge weiter gegenüber dem Vorjahr zurück. einen Rückgang gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat. Damit wurden in den ersten zehn Monaten lediglich noch 2,2 Mio. Pkw neu zugelassen; der Vorjahreswert in diesem Zeitraums wurde um 5 Prozent unterschritten. Verglichen mit den durchschnittlichen Neuzulassungen der ersten zehn Monate der Jahre 2015 bis 2019 ergab sich ein Einbruch von fast 24 Prozent.

  • Der Markt für Elektroautos expandiert weiter. Die Neuzulassungen nahmen im Oktober um 13 Prozent auf 54.400 Einheiten zu. Der Anteil von E-Pkw an den gesamten Neuzulassungen betrug somit 30,4 Prozent. Damit wurde der bisherige Höchstwert aus dem September nochmals deutlich übertroffen. 

Die Neuzulassungen von rein batterieelektrischen Pkw (BEV) legten mit 30.560 Einheiten um 32 Prozent zu, und erreichten einen Rekordmarktanteil von 17,1 vH. Volumenmäßig ist dies allerdings kein Höchststand. Der bisherige Rekord aus Dezember 2020 liegt bei 43.671 Neuzulassungen.

Erstmals fielen die die Plug-in Hybride mit 23.734 (-4,5 Prozent) Neuzulassungen deutlich hinter die BEV zurück. Sie erreichten einen Marktanteil von 13,3 vH. Dies ist  zwar der höchste jemals registrierte Wert, liegt aber deutlich unter dem der BEV.

Dieser Rückgang kam für Experten überraschend. Dazu mag beigetragen haben, dass eine weitere Förderung für Plug-in-Hybride fraglich geworden ist. Konkret sehen Pläne des Wirtschaftsministeriums zudem neue Vorgaben für die Förderung von Plug-in-Hybrid-Modellen vor. Danach sollen ab 2022 solche PHEV-Autos nicht mehr gefördert werden, die lediglich eine rein elektrische Reichweite von mindestens 40 Kilometer nach dem WLTP-Zyklus haben.. Künftig könnte diese Mindestreichweite auf 60 Kilometer erhöht werden, damit Käufer eines Plug-in-Hybrid-Modells eine Förderung erhalten. Vor diesem Hintergrund mögen mache Käufer die Anschaffung vertagt haben, um auf die neuen PHEV Modelle zu warten.

Die normalen Hybride büßten gegenüber dem Vorjahr 27,5 Prozent ein. 27.593 Neuzulassungen bedeuteten einen Marktanteil von 15,4 vH, deutlich weniger als in den vergangenen Monaten. 

  • Alle alternativen Antriebe zusammen erreichten im Oktober einen Marktanteil von 46,5 Prozent und lagen damit etwas unter dem Höchststand von 48,2 Prozent aus dem Vormonat. Der Vergleich mit Oktober 2020 zeigt ein deutliches Plus von 14,6 Prozentpunkten.
  • Der Dieselmarkt scheint nach steilem im Sturzflug über Monate hinweg so etwas wie eine Bodenbildung erreicht haben. Diesel-Pkw kamen nur noch auf knapp 31.000 Neuzulassungen und büßten gegenüber dem Vorjahresmonat fast 56,7 Prozent ein. Der Marktanteil fiel auf 17,3 Prozent. Im Vorjahr lag der Anteil noch bei 26 Prozent. Es ist der niedrigste Marktanteil in einem Oktober seit 1997.

Der Höhenflug des Elektromotors scheint vorerst gestoppt.

 

  • Die Marktschwäche im Oktober geht von allen Käufergruppen gleichermaßen aus. Wie stark die Wirtschaft getroffen ist zeigt sich daran, dass die rd. 110.000 gewerblichen Neuzulassungen das niedrigste Oktober-Ergebnis seit 26 Jahren abbilden. Der Privatkundenanteil erreichte mit 38,1 Prozent das Vorjahresniveau und liegt knapp drei Punkte über dem mittleren Wert der Jahre 2015 bis 2019.
  • Der Markt für gute Gebrauchtwagen ist leergefegt, die Entwicklung der Besitzumschreibungen macht das deutlich. Nach hohen Umsätzen in den Vormonaten nebst Rekordwert vor einem Jahr ergab sich im Oktober 2021 ein Minus von 16,3 Prozent. Nach zehn Monate liegen die Besitzumschreibungen 3,4 Prozent unter Vorjahresniveau. Damit sank der Handel mit Gebrauchtwagen auf das niedrigste Ergebnis seit dem Jahr 2009. 

Der Jammer des Handels, zuvor über zu hohe Gebrauchtwagenbestände ging nahtlos über in den Jammer über leergefegte Läger.

Lage der Autoindustrie (Hersteller + Zulieferer) im Oktober 2021 

Im Gegensatz zum Einbruch bei Produktion, Absatz, Export und Beschäftigung bewegt sich die eigentliche Autokonjunktur weiter auf hohem Niveau. Die Nachfrage nach neuen Automobilen blieb bislang trotz aller Störeinflüsse auf den Markt weitgehend intakt, sieht man einmal davon ab, dass viele Neubestellungen bei den inländischen Herstellern angesichts deren langen Lieferzeiten erst gar nicht getätigt wurden. Viel Nachfrage wanderte vermutlich an ausländische Hersteller mit besseren Liefermöglichkeiten. Darauf weisen jedenfalls die Oktober-zulassungen rein ausländischer Marken hin, die sich relativ besser als Inlands Marken entwickelten. 

  • Wie der Verband der Automobilindustrie (VDA) mitteilte gingen die neuen Aufträge aus dem Inland m Oktober leicht um 1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zurück. Seit Jahresbeginn liegt jedoch ein Plus von 3 Prozent vor. Das Auslandsgeschäft gab im Oktober deutlich nach: Hier verbuchten die deutschen Hersteller einen Rückgang der Order von 27 Prozent. Seit Januar gingen jedoch im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 7 Prozent mehr Aufträge aus dem Ausland ein. 
  • Lt. VDA wurden im Oktober in den deutschen Werken 237.000 Pkw produziert, 38 Prozent weniger als vor einem Jahr. In den ersten zehn Monaten belief sich die Inlandsproduktion auf knapp 2,6 Mio. Pkw (-8 Prozent). Lieferengpässe bei Halbleitern waren im abgelaufenen Monat erneut das bestimmende Produktionshindernis.

  • In den Export gingen im Oktober 177.700 Pkw, ein Minus von 39 Prozent. Nach zehn Monaten liegen sowohl die Produktion als auch der Export acht Prozent im Minus. Im bisherigen Jahresverlauf wurden knapp 2,0 Mio. Pkw (-6 Prozent) an Kunden aus aller Welt ausgeliefert. 

Der Pkw- Export hat sich damit innerhalb von zwei Jahren halbiert. Die Öffentlichkeit nahm dies nahezu teilnahmslos hin, Folge der bestehenden und wiederholt verlängerten Kurzarbeiterregelungen, die die Beschäftigten in der Autoindustrie auf Pump des Staates bislang vor schmerzhaften Einkommenseinbußen bewahrten. – Ein Dauerzustand kann das aber nicht sein.

Ausblick 2021/2022

Es ist nahezu tragisch: Eine weitere Beherrschung der Covid-19-Pandemie in Deutschland vorausgesetzt hätte eigentlich alles für eine deutliche Erholung der Automobilkonjunktur im Herbst 2021 und danach gesprochen. Das öffentliche Leben hatte sich wieder normalisiert, der Konsum boomte, die Händlerbetriebe offen und bei den Neuzulassungen war aufgrund von Nachholeffekten ein post-pandemischer Boom erwartet worden. 

Allerdings ist nun klar, dass die mangelnde Verfügbarkeit von Halbleitern hat diese Erholung zunichtegemacht hat. Aus dem erwarteten Boom wird nichts. Und die vierte Corona –Welle ist im Anrollen: Ergebnis offen!

Ob und wann die Mangelsituation endet, darüber herrscht selbst unter Kennern der Materie große Unsicherheit und Unkenntnis. Die einen sprechen von Mitte 2022, die anderen verlängern die Notsituation bis weit 2023 hinein. 

Über allem hängt zudem das Damoklesschwert möglicher politischer Handelsrestriktionen, da alle Speicherchips + deren Zutaten wie Lithium etc. bislang aus Asien importiert werden.

Fakt ist, dass nicht nur die ursprüngliche Prognose von 3,1 Millionen Neuzulassungen für 2021 Makulatur ist. Die Erwartungen wurden von der Automobilwoche  zunächst auf  2,6 Millionen Neuzulassungen gesenkt (-  10,9 Prozent gegenüber Vorjahr); es wäre das niedrigste Jahresergebnis seit der Wiedervereinigung. Das mittlere Ergebnis der Jahre 2015 bis 2019 würde damit um rd ein Viertel unterschritten. 

Fraglich ist, ob es dabei bleiben wird. Bis einschließlich Oktober wurden in Deutschland 2,179 Millionen Neuzulassungen registriert. Da mangels Masse diesmal eine Zulassungs-Kehraus seitens des Handels nicht erfolgen kann, sind 2.5 Millionen in 2021 als Jahresergebnis wahrscheinlicher.

In 2022 sollte im zweiten Halbjahr mit besserer Versorgung mit Halbleitern der Markt sich langsam wieder erholen. Mehr als 2.85 Millionen Zulassungen sind absehbar aber nicht zu erwarten.

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