Tichys Einblick
Von Mercedes-Benz bis Bosch

Warum deutsche Unternehmen ihre Standorte nach Polen verlagern

Fast 10.000 deutsche Betriebe sind bereits in Polen tätig, und ihre Zahl nimmt stetig zu. Die Gründe dafür reichen von einer niedrigen Abgabenlast bis hin zu einer gut funktionierenden Infrastruktur. Deutschland läuft Gefahr, von Osteuropa abgehängt zu werden. Von Samuel Faber

IMAGO / Pond5 Images

Polens Wirtschaft boomt. Seit 1991 – das Coronajahr 2020 ausgenommen – weist das Land positive Wachstumsraten aus. Auch für dieses Jahr schätzen Experten einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 2,7 Prozent, während Deutschland mit 0,2 Prozent unterhalb des EU-Durchschnitts liegt. Dieses Niveau werden die Slawen laut Statista auch in den nächsten Jahren beibehalten.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 2,7 Prozent; 0,4 Punkte unterhalb der in Deutschland, es herrscht dort also Vollbeschäftigung. Auch beim Thema Staatsfinanzen steht Polen auf soliden Füßen. Die Staatsverschuldung liegt bei rund 50 Prozent, während Deutschland Verbindlichkeiten für fast 60 Prozent im Verhältnis zum BIP aufgehäuft hat.

Kurz: Polen entwickelt sich prächtig. Während in Deutschland Industrieverbände, Ökonomen und Oppositionspolitiker vor der nächsten Rezession warnen, hört man aus dem östlichen Nachbarland nur Positives: „Polen bietet attraktive Investitionsbedingungen, vor allem durch die Nähe zum Standort Deutschland, eine hervorragende Infrastruktur, ein hochklassiges Lieferantennetzwerk und gut ausgebildete, motivierte Mitarbeiter“, freut sich Lars Gutheil, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen) in Warschau.

Polen ist längst kein Billiglohnland mehr

Die Polen haben längst mit dem Klischee der ewigen Erntehelfer gebrochen. Wo früher die Spargelstecher nach Franken, Lauenburg oder Rheinhessen reisten, um gutes Geld zu verdienen, sind es heute deutsche Fachkräfte, die zunehmend nach Polen ziehen. Das Angebot kann sich sehen lassen. Während die Lebenshaltungskosten geringer sind, steigen die Löhne von Jahr zu Jahr.

Auch die deutsche Wirtschaft hat Polen längst als Standort erkannt. Laut AHK Polen haben deutsche Unternehmen mehr als 36 Milliarden Euro in Polen investiert und beschäftigen dort etwa 430.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch hier stimmt das Klischee längst nicht mehr, dass Betriebe lediglich wegen niedrigerer Löhne nach Posen, Warschau oder Krakau abwandern.

Polnische Mitarbeiter sind häufig ideenreicher

Sebastian Seitz, Geschäftsführer der Friedhelm-Loh-Gruppe (FLG), erklärt das so: „In Polen gibt es eine andere Art zu denken. Gerade in der Softwareentwicklung ist die Herangehensweise für ein Projekt ausschlaggebend.“ In insgesamt drei Standorten entwickelt die Tochterfirma FLG, Digital Technologie Poland, Software. Seitz selbst sieht gerade in den polnischen Mitarbeitern das größte Potenzial für sein Unternehmen. Dabei arbeitet FLG mit der Universität Zielona Góra zusammen, die im Bereich Computer Science ausbildet.

„Die Absolventen sind bereit, sich intensiv mit den Abläufen unserer Kunden zu befassen – davon profitieren wir. Das ist besser als der in Deutschland oft unternommene Versuch, ‚fertige‘ Mitarbeiter zu rekrutieren.“ Auch Seitz sieht den geringeren Lohn in Polen nicht als ausschlaggebend an: „Natürlich sind geringere Kosten immer hilfreich, sie sollten aber nicht die Triebfeder sein. Jeder ausländische Unternehmenszweig ist dann ein Gewinn, wenn er richtig eingesetzt wird. Insbesondere bei der Softwareentwicklung sind Ideen, Kompetenzen und Arbeitsweise erheblich relevant.“

Mercedes Benz und Bosch sind schon da

Doch nicht nur die Friedhelm-Loh-Gruppe, auch andere deutsche Betriebe entscheiden sich für das osteuropäische Land. Ein Beispiel hierfür ist Miele. Bis ins Jahr 2027 wandern 700 Arbeitsplätze von Gütersloh nach Polen. Ein Grund hierfür ist die marode Infrastruktur in Deutschland. Ob der Ausbau von 5G oder Glasfaser, eine völlig ineffiziente und kundenfremde Deutsche Bahn, oder eine Verwaltung, für die Digitalisierung ein Fremdwort ist, sanierungsreife und deswegen gesperrte Brücken: All das hat Polen Deutschland voraus. Unternehmen reagieren auf Anreize und haben das Ziel, zu wachsen – etwas, was Deutschland lange Jahre ausgezeichnet hat und heute immer mehr verloren geht.

Das bemerkte auch Bosch. Erst jüngst kündigte das Traditionsunternehmen an, 250 Millionen Euro in ein Wärmepumpen-Werk in Dobromierz zu investieren. Ebenso Mercedes-Benz: Ende 2022 gab der Konzern bekannt, künftig in Polen E-Transporter zu bauen, mit einem Investitionsvolumen von mehr als einer Milliarde Euro. Auch der Online-Händler Zalando plant in Bydgoszcz den Bau von zwei Logistikzentren mit 4.000 Mitarbeitern. Bosch, Mercedes und Zalando sind dabei drei von mehr als 9.500 Firmen, die Standorte in Polen betreiben. Und es werden immer mehr.

Polen wird Deutschland überholen

Auch die Steuerlast für Unternehmen spricht für das osteuropäische Land. Während Betriebe in Deutschland knapp 30 Prozent an den Staat abdrücken müssen, sind es laut Statista in Polen lediglich 19 Prozent. Hinzu kommt: Polen hat nicht mit Integrationsproblemen zu kämpfen, da kaum Menschen aus dem arabischen und afrikanischen Raum nach Osteuropa ins Land kommen. Offenkundig ist das Sozialsystem dort weniger attraktiv als hierzulande.

Egal, wo man hinblickt – ob Fachkräfte, Infrastruktur oder Abgabenlast: Polen wird Deutschland in den nächsten Jahrzehnten überholen, so lange sich in Berlin die Politik nicht fundamental ändert.

Anzeige