Tichys Einblick
Internationaler Währungsfonds

Das Schlimmste kommt noch – Die pessimistische Prognose des IWF für Deutschland

Laut Währungsfonds wird die Wirtschaftsleistung in Ländern, die ein Drittel der Weltwirtschaft repräsentieren, schrumpfen. Doch keines schneidet so schlecht ab wie Deutschland. Erkenntnis: Das deutsche Wirtschaftsmodell steht grundsätzlich in Frage.

Moderator Jose Luis de Haro; Director and the Deputy Director of Research, Pierre Olivier Gourinchas and Petya Koeva; und der Leiter der IMF-World-Economic-Studies, Daniel Leigh, bei einer Pressekonferenz des Internationalen Währungsfonds, 11.10.2022.

IMAGO / Agencia EFE

Auch unter Konjunkturforschern gibt es Sätze wie in Stein gemeißelt. Einer davon aus jüngerer Zeit lautet sinngemäß: „Es ist nicht die Frage, ob Deutschland im Winter in die Rezession gerät, es ist nur die Frage, wie tief und wie lange.“

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Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat diese Aussage erschreckend eindeutig bestätigt. In seiner jüngsten Konjunkturprognose erwartet der IWF für 2023 eine insgesamt stagnierende Weltwirtschaft und eine hartnäckig hohe Inflation. Laut IWF werden die economies dominantes USA, Europäische Union und China stagnieren, die Wirtschaftsleistung in Ländern, die ein Drittel der Weltwirtschaft repräsentieren, schrumpft im kommenden Jahr.

Zwei Aussagen des Währungsfonds ragen aus dem insgesamt düsteren Prognosetableau heraus:

  • „Kurz gesagt, das Schlimmste kommt noch“
  • Kein großes Industrieland schneidet so schlecht ab wie Deutschland

Für die deutsche Wirtschaft wie für die Ampel-Politik ist das ein Menetekel!

Die Kernaussagen der IWF-Prognose sind folgende:

  • Das globale Wirtschaftswachstum schwächt sich von 6 Prozent 2021 auf 3,2 Prozent in diesem und auf 2,7 Prozent im kommenden Jahr ab. Das ist die schwächste Wachstumsrate seit 20 Jahren, sieht man von der Finanz- und der Pandemiekrise ab.
  • Ausschlaggebend für die Wachstumsschwäche ist, dass die US-Wirtschaft im ersten Halbjahr 2022 schrumpfte, Europa folgte im zweiten Halbjahr 2022, China schwächelte das ganze Jahr über.
  • Zur Teuerungskrise und dem Krieg in der Ukraine gesellt sich als belastender Faktor die Wirtschaftslage in China. Hier forderten die anhaltenden Lockdowns zur Eindämmung der Pandemie ihren Tribut, speziell im zweiten Quartal 2022. Die Probleme des Landes sind von globaler Relevanz, wegen seiner Rolle in internationalen Lieferketten und im Welthandel. Die deutsche Wirtschaft, vor allem die Autoindustrie war von ausbleibenden Chip- und Teilezulieferungen besonders betroffen. Ebenso der Bausektor

Besondere Sorgen bereitet dem IWF auch der chinesische Immobiliensektor, der sich rapide abschwächt und rund ein Fünftel der chinesischen Volkswirtschaft repräsentiert.

  • Die gesamte Eurozone wächst laut IWF in 2023 lediglich noch um mickrige 0,5 Prozent, nach 3,1 Prozent in diesem Jahr. Denn Europa leidet unter den dramatisch gestiegenen Gaspreisen in Folge des Krieges: Der Preis hat sich vervierfacht seit dem Vorjahr, Russland liefert nur noch 20 Prozent der Liefermenge des Vorjahres, Energie könnte knapp werden. Fazit des IWF: „Der kommende Winter wird schwierig für Europa, aber wahrscheinlich noch schlimmer 2023.“

Die Konjunkturforscher der FERI AG bestätigen diese Auffassung, für sie sind in Europa derzeit praktisch sämtliche Konjunkturindikatoren abwärts gerichtet – die Frage ist also nicht, ob Europa in eine Rezession rutscht, sondern wie tief diese ausfällt.

  • Der Währungsfonds sieht in der Inflation die größte Bedrohung des künftigen Wohlstands der Welt, weil die Teuerung die Realeinkommen nach unten drückt und die ökonomische Stabilität einer Gesellschaft unterminiert. Die IWF-Auguren sehen zwar auch das Risiko, dass die Zentralbanken die Geldpolitik zu stark straffen, doch sie gewichten die Gefahren, dass die Notenbanken zu früh zu einer lockeren Geldpolitik zurückkehren, eindeutig schwerer. Eine zu zaghafte Straffung der Geldpolitik verfestige die Inflationsentwicklung, lasse die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken erodieren und bringe die Inflationserwartungen ins Rutschen. – Mit den besten Grüßen an die EZB!

Nach IWF-Prognose bleibt die Inflation hartnäckiger als erwartet mit immerhin 4,1 Prozent im Jahr 2024, nachdem sie Ende dieses Jahres ihren Höhepunkt überschritten haben dürfte.

Am schlimmsten trifft es laut IWF Prognose die deutsche Wirtschaft. Kein großes Industrieland schneidet schlechter ab als Deutschland!

Die größte Volkswirtschaft Europas schrumpft laut IWF in 2023 um 0,3 Prozent nach einem unterdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent in diesem Jahr. Lediglich noch für Italien als anderes großes Industrieland prognostiziert der IWF für 2023 eine Rezession.

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Der IWF steht mit seiner pessimistischen Einschätzung gerade der Entwicklung in Deutschland nicht alleine dar. Sämtliche deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognosen inzwischen deutlich nach unten korrigiert und gehen in der Regel ebenfalls – je nach Couleur mehr oder weniger stark ausgeprägt – von einer Rezession im nächsten Jahr aus.

Auf den Punkt gebracht heißt das, Deutschland ist Schlusslicht in Europa – die Rezession kommt spätestens im Winter!

Diese Sicht der Dinge ist Grund genug, sich noch etwas näher mit der deutschen Entwicklung zu beschäftigen. Wie konnte es dazu kommen?

Für die FERI Prognostiker (Konjunkturausblick Oktober 2022) hat zum einen eine vergleichsweise restriktive Corona-Politik dazu geführt, dass die deutsche Wirtschaft noch immer unter dem Ende 2019 erreichten Niveau liegt.

Daran wird sich vorerst nichts ändern, weil zum anderen die zahlreichen Versäumnisse in der deutschen Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre und insbesondere eine katastrophale Energiepolitik mit ihrer enormen Abhängigkeit von russischen Energieträgern bei gleichzeitiger Unfähigkeit des Ausbaus regenerativer Energieträger eine schwere Hypothek für die deutsche Wirtschaft sind.

Mit einem Wachstum von etwa 1,5 Prozent im laufenden Jahr bildet Deutschland das Schlusslicht unter allen Ländern des Euroraums. Die Industrie leidet noch immer unter gravierenden Angebotsstörungen und unter begrenzten Exportchancen in wachstumsschwache Länder wie China.

Hinzu kommt nun, dass der starke Anstieg der Energiekosten für etliche Unternehmen nicht tragbar ist, weil sie die Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben können oder aber gegenüber ausländischen Konkurrenten nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Vor allem im Mittelstand und Handwerk stehen viele Kleinunternehmen vor dem Ruin. In den kommenden Monaten wird dies zu einem signifikanten Rückgang der Industrieproduktion führen. Großflächig erzwungene Produktionsstilllegungen sind insbesondere im Falle eines kalten Winters zusätzlich ein signifikantes Risiko.

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Die drastisch steigenden Energiepreise belasten darüber hinaus auch den privaten Konsum massiv. Die in Corona-Zeiten gebildeten Überschuss-Ersparnisse dürften inzwischen bereits aufgezehrt sein, sodass sich die Kaufzurückhaltung unmittelbar im Konsum niederschlagen wird. FERI rechnet daher im Winter mit einer deutlich rückläufigen Wirtschaftsentwicklung, die auch im Gesamtjahr ein spürbares Minus des BIP zur Folge haben wird.

Was rät der IWF in dieser Situation den Regierungen und Notenbanken? Quasi als Blaupause zum Vergleich mit der deutschen Ampel-Politik!

IWF-Chefökonom und Sprachrohr Pierre-Olivier Gourinchas warnt die Regierungen, mit ihrer Ausgabenpolitik die Bemühungen von Zentralbanken zu konterkarieren, die Teuerung zu bändigen. Die aktuelle Energiekrise wird vom IWF nicht als Übergangsphänomen angesehen, sondern als Ergebnis der geopolitischen Neuausrichtung. Der IWF-Ökonom wendet sich gegen Versuche von Regierungen, die Energiepreise durch Preisdeckel, unspezifische Subventionen oder Exportverbote kontrollieren zu wollen. Das funktioniere selten. Stattdessen sollten besonders anfällige Bevölkerungsgruppen mit direkten Zahlungen unterstützt werden.

Generell, so der IWF, sollten Regierungen ihre raren Mittel nutzen, um die Menschen besser auszubilden, die Wirtschaft zu digitalisieren und klimaverträglich zu machen und die internationale Lieferbasis zu verbreitern.

Am schwerwiegendsten ist jedoch die – schlimme – Erkenntnis, dass die geopolitische Zeitenwende das deutsche Wirtschaftsmodell ganz grundsätzlich in Frage stellt.

Bisher ruhte das deutsche Geschäftsmodell auf einer leistungsstarken und exportorientierten Industrie. Dieses gewachsene deutsche Modell wird durch die veränderte geopolitische Lage grundsätzlich in Frage gestellt:

  • Wenn die internationalen Beziehungen in zunehmendem Maße durch Machtpolitik bestimmt werden, sind De-Globalisierungsprozesse zu erwarten, unter denen die deutsche Wirtschaft stärker leiden wird als die der meisten anderen Länder auf der Welt. Schon die Pandemie hatte gezeigt, dass die deutsche Wirtschaft vor ernsthaften strukturellen Herausforderungen steht.
  • Notwendig ist eine generelle Modernisierung, um mit dem Strukturwandel in einer der Schlüsselbranchen (Autoindustrie) und dem allfälligen Digitalisierungsrückstand konstruktiv umzugehen und die Chancen zu nutzen, die sich aus dem Klimaschutz ergeben.

Für die Ampel-Regierung eine Herkulesaufgabe! Sie muss nicht nur alte Fehler der vergangenen Regierung im Schnelldurchgang korrigieren, sondern trotz widersprüchlicher Interessen und Ziele ihrer Ampelmitglieder auch noch versuchen, neue und noch schlimmere Fehler zu vermeiden. Vor allem in der Energiepolitik.