Tichys Einblick
Analyse

Ashoka Mody „Euro-Tragedy“

Mody belegt, dass Kohl bis 1988 nichts von einer europäischen Währungsunion hielt und dass er sie noch 1989 als “dem deutschen Interesse zuwiderlaufend” bezeichnet hat. Aber nach dem Straßburger Tauschgeschäft trat er die Flucht nach vorn an.

Ashoka Mody – zur Zeit Gastprofessor in Princeton – war 2010 beim Internationalen Währungsfonds (IWF) für die “Rettung” Irlands zuständig. Aber er kennt sich auch bei den drei Griechenland-Paketen und den Krediten an Portugal, Spanien und Zypern hervorragend aus. Mit seinem neuen Buch “Euro-Tragedy” liegt zum ersten Mal eine Analyse der Bailout-Politik aus der Sicht eines IWF-Beamten vor. Es ist eine Fundgrube hochinteressanter Details und erlaubt vielfältige Einblicke hinter die Kulissen.

Mody schildert, wie sich die Exekutivdirektoren Australiens, Brasiliens, Indiens und der Schweiz in der Sitzung vom 9. Mai 2010 gegen das erste Griechenland-Paket wandten, weil ihnen die griechische Staatsschuld ohne einen Schuldenschnitt langfristig nicht als tragfähig erschien (S. 260f.). Strauss-Kahn und seine Beamten hatten die griechische Staatsschuld für tragfähig erklärt mit der Einschränkung, dass “es schwierig ist kategorisch zu behaupten, dass die Wahrscheinlichkeit dafür hoch ist” (meine Übersetzung, auch im Folgenden). René Weber, der schweizerische Exekutivdirektor, protestierte, dass der IWF damit eine seiner wichtigsten Regeln breche – nämlich, dass die Schuldentragfähigkeit “mit hoher Wahrscheinlichkeit” gegeben sein müsse. Aber die Obama-Administration und die EU-Länder setzten sich über diese Bedenken hinweg. Wie Mody berichtet war im Mai 2010 auf deutscher Seite Wolfgang Schäuble der Hauptgegner eines griechischen Schuldenschnitts (S. 421). Erst im Herbst besann er sich eines Besseren. Mody sieht dahinter den Einfluss von Norbert Barthle, dem haushaltspolitischen Sprecher der CDU (S. 275).

Über Schäuble kolportiert Mody eine amüsante und bezeichnende Begebenheit aus dem Herbst 2015. Der griechische Ministerpräsident Tsipras hatte im Sommer 2015 erreicht, woran sein Vorgänger Papandreou im November 2011 gescheitert war: die Griechen hatten die von der Troika geforderten Auflagen in einer Volksabstimmung abgelehnt. Er versuchte nun – unter anderem durch wiederholte Anrufe bei Kanzlerin Merkel – eine Lockerung der Auflagen durchzusetzen. Schäuble habe Tsipras deswegen als “whimpering fool” (winselnden Narren) bezeichnet und erklärt: “Er ruft sie andauernd an, und die Kanzlerin sagt ihm immer wieder: Alexis, das ist eine Sache, die die Finanzminister entscheiden” (S. 420).

Moody berichtet, wie auch EZB-Präsident Trichet in “außergewöhnlichen Briefen” dem irischen Finanzminister Lenihan und den Ministerpräsidenten Berlusconi und Zapatero wirtschaftspolitische Vorschriften zu machen versuchte (S. 280, 300) und wie Ministerpräsident Renzi 2014 heimlich per Hubschrauber EZB-Präsident Draghi an dessen Urlaubsort Città della Pieve aufsuchte, um seine Unterstützung zu erbitten (S. 360). Mody bezeichnet diesen Bittflug als “Erniedrigung” und berichtet von dem “Befremden” derer, die davon erfuhren.

Mody beleuchtet auch Draghis Rolle in den neunziger Jahren: “Nach Maastricht war es Draghi, der als Spiritus Rector im italienischen Finanzministerium die unwahrscheinliche Verbesserung der italienischen Haushaltszahlen bewerkstelligte, die es Italien erlaubte, im Januar 1999 der Währungsunion beizutreten” (S. 295). Laut Mody hat Staatssekretär Horst Köhler Kohl 1998 in einem Brief vor der Aufnahme Italiens gewarnt (S. 120).

Auch über Maastricht berichtet Mody deutsche Interna (S.94): “Die größte Überraschung in Maastricht war, dass Kohl der Fixierung eines Datums für den Beginn der Währungsunion zustimmte. Wieder einmal überging Kohl die zuständigen deutschen Amtsträger. Als die Nachricht von seiner Zustimmung durchsickerte, reagierten die drei anwesenden – Finanzminister Waigel, Tietmeyer von der Bundesbank und Köhler – mit Entsetzen (horror)”. Kohl hatte zugestimmt, ohne vorher mit seinem Finanzminister darüber zu sprechen.

Leider ist Mody nicht gut über die Ereignisse nach dem Mauerfall informiert. Er meint, Mitterand habe Kohl als Gegenleistung für den Verzicht auf die DMark nicht die Zustimmung zur Wiedervereinigung, sondern die Politische Union in Europa versprochen (S. 74, 78f.). Er beruft sich dabei auf eine Aussage, die Elisabeth Guigou – die zuständige Mitarbeiterin Mitterands – gegenüber dem deutschen Historiker Tilo Schabert gemacht haben soll. Aber Guigou hat in einer für das französische Publikum bestimmten Fernsehsendung, die am 26.03.98 unter dem Titel “Die Geschichte des Euro” auch in ARTE ausgestrahlt wurde, das genaue Gegenteil gesagt. Sie berichtet dort, wie Außenminister Genscher Ende November 1989 in Paris mit Mitterands Forderung konfrontiert wurde: “Mitterand war sogar ziemlich brutal. Er sagte: Ich werde in Straßburg die Festlegung eines Datums (für den Beginn der Regierungskonferenz über die Währungsunion) fordern. Wenn wir uns da nicht einig sind, kann ich (in der Frage der Wiedervereinigung) nichts tun”. Wie ich in meinem Buch “Das Ende der Euromantik” (2017) zeige, wird das Tauschgeschäft “Euro gegen Wiedervereinigung” von zahlreichen deutschen und französischen Insidern bestätigt.

Mody belegt, dass Kohl bis 1988 nichts von einer europäischen Währungsunion hielt (S. 8, 66, 68f.) und dass er sie noch 1989 als “dem deutschen Interesse zuwiderlaufend” bezeichnet hat (S. 79). Aber nach dem Straßburger Tauschgeschäft trat er die Flucht nach vorn an.

Mody berichtet auch über den Beginn der Währungsunion. Kohl selbst sei der Meinung gewesen, dass der Euro ihn das Amt gekostet habe (S. 122). Zu seinem Rücktritt als Parteivorsitzender schreibt Mody: “Im November 1999 wurden Behauptungen laut, Kohls CDU habe jahrelang verdeckte Parteispenden erhalten – angeblich auch aus Mitterands schwarzen Kassen” (S. 122). Als Quellen nennt er Grey (2000) und Laughland (2000).

Mody sieht den Euro kritisch. Er bezeichnet ihn als Misserfolg. Viele seiner IWF-Kollegen werden ihm zustimmen.

Ashoka Mody, Euro-Tragedy: A Drama in Nine Acts, Oxford University Press 2018, 615 Seiten


Roland Vaubel ist emeritierter Professor der Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Er hat zu diesem Thema das folgende Buch veröffentlicht:

Das Ende der Euromantik – Neustart jetzt
Springer Taschenbuch (14,99 Euro) und e-book