Tichys Einblick
Statistik

Die offizielle Arbeitslosen-Quote ist höchst fragwürdig

Die allmonatlich von der Arbeitsagentur verbreitete Zahl der Arbeitslosen vermittelt ein viel zu positives Bild. Aus ihr fallen mit statistischen Kniffen Hunderttausende arbeitsfähige Menschen heraus, die gar nicht oder auf Kosten der Allgemeinheit arbeiten.

Jobcenter der Agentur für Arbeit in Köln

IMAGO / Future Image

Bundesbehörden haben unter anderem den Auftrag, Statistiken aus ihrem Haus zu veröffentlichen. Das macht das Robert-Koch-Institut, das Bundeskriminalamt, aber auch die Agentur für Arbeit. Medien hingegen haben die Aufgabe, diese Zahlen zu verifizieren und zu bewerten. Soweit die Theorie.

In der Praxis werden diese Statistiken, je nach politischer Haltung, von den Behörden instrumentalisiert. Und leider kommt es häufig vor, dass Medien dies entweder nicht bemerken, oder es schlicht hinnehmen. Das prominenteste Beispiel sind hierfür die Arbeitslosenzahlen der Agentur für Arbeit. Diese sind, man kann es nicht anders sagen: höchst fragwürdig.

Über 58-Jährige werden nicht berücksichtigt

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Eigentlich wäre das für kritische Wirtschaftsjournalisten ein gefundenes Fressen. Doch sie übernehmen die Zahl von der Behörde aus Nürnberg klaglos. Und das seit Jahren. Dabei wäre es ein Leichtes für Journalisten, die tatsächlichen Zahlen zumindest grob realistischer zu schätzen. Sie müssten, was im Übrigen ihre Aufgabe wäre, den Monatsbericht lesen und nicht nur die jeweilige Pressemitteilung dazu.

So sind laut dieser Pressemitteilung im Mai dieses Jahres 2.260.000 Millionen Menschen arbeitslos, was einer Quote von 4,9 Prozent entspricht. In dieser Zahl sind lediglich die Arbeitslosen abgebildet, die im Sinne SGB II („Hartz IV Empfänger“) und SGB III (Personen in Fördermaßnahmen, Behinderte etc.) nicht erwerbstätig sind. Arbeitslose, die über 58 Jahre alt sind, werden in der Arbeitslosenzahl gar nicht berücksichtigt. Ihre Zahl liegt bei rund 130.000 Personen. Diese Arbeitsunfähige, so wie Teilnehmer an Programmen zur Integration in den Arbeitsmarkt, sind laut den Statistikern der Agentur für Arbeit unterbeschäftigt. Im Klartext: Sie sind arbeitslos, werden aber anders bezeichnet.

Auch Kurzarbeit muss mit einfließen

Im engeren Sinne unterbeschäftigt sind 3.021.770 Menschen, also mehr als 760.000 Arbeitslose zusätzlich als in der Zahl, die die Medien präsentieren. Das sind mehr als 20 Prozent und durchaus üblich. So ergeben Erfahrungswerte aus den letzten Jahren immer eine Differenz der sogenannten Arbeitslosen und der Unterbeschäftigten zwischen 20 und 30 Prozent. Doch auch diese Zahl ist von der Realität weit entfernt. Ebenfalls werden im Pressebericht nicht automatisch die Menschen berücksichtigt, die Arbeitslosengeld I beziehen. Laut Statista sind dies 686.248 Personen.

Ein großes Thema in den letzten Monaten ist der Bezug von Kurzarbeitergeld (KUG). Und immerhin: Im ausführlichen Monatsbericht werden diese unter Unterbeschäftigung aufgeführt. Da die Meldung immer um zwei Monate verzögert erfolgt, sind lediglich die Zahlen von März 2022 verfügbar. Damals erhielten 553.000 Personen KUG. Um eine echte Arbeitslosenzahl zu nennen, müssen auch diese Personen einbezogen werden. Hierbei ist jedoch eine Differenzierung wichtig: In der Praxis ist KUG für viele Unternehmen auch ein Anreiz, ihren Cashflow mit Hilfe des Staates zu optimieren.

Das Ziel von staatlich finanzierter Kurzarbeit ist es, Beschäftigte in Arbeit zu halten. Und es stimmt, viele Beschäftigte, gerade in der Gastronomie oder im Einzelhandel, hätten in der Lockdown-Zeit gekündigt werden müssen, gäbe es die Ausgleichszahlung vom Staat nicht. Dennoch sind die Mitnahmeeffekte enorm, und daher spricht viel dafür, Kurzarbeiter auch in die offizielle Arbeitslosenzahl mit einfließen zu lassen.

Echte Arbeitslosenzahlen sind wohl doppelt so hoch

In den Arbeitslosenzahlen nicht berücksichtigt werden außerdem Mitarbeiter von sogenannten Zombieunternehmen. Darunter versteht man Betriebe, die sich nur aufgrund staatlicher Transferleistungen oder der unnatürlich niedrigen Zinsen noch am Leben halten. Diese Unternehmen sind nicht produktiv und kaum innovativ. Sie bilden ihre Mitarbeiter nicht weiter und zahlen schlechte Löhne.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Verschiedene Schätzungen gehen von 500.000 bis 800.000 solchen Unternehmen in Deutschland aus. Ihre Zahl dürfte durch die Corona-Pandemie noch gestiegen sein, wie eine Umfrage des Ifo-Instituts nahelegt. Wie viele davon tatsächlich in Deutschland sitzen und wie viele Mitarbeiter sie beschäftigen, ist unklar. Aufgrund der lockeren Geldpolitik existieren viele Unternehmen, die de facto unter die Definition Zombieunternehmen fallen. Die Beschäftigten sind zwar de jure nicht arbeitslos im Sinne eines Leistungsbezugs. De facto ist ihre Arbeit aber unproduktiv, weil ihr Unternehmen keine Werte schafft. Freilich kann hier keine seriöse Zahl genannt werden.

Die Zahl von 2.260.000 Arbeitslosen jedenfalls spiegelt nicht die volkswirtschaftliche Wirklichkeit wider. Konservativ geschätzt dürfte die Zahl in Deutschland eher zwischen 4,5 und 5 Millionen Arbeitslosen liegen. Die offizielle Arbeitslosenquote von 4,9 Prozent dürfte also kaum die Hälfte der tatsächlichen Arbeitslosigkeit zeigen. Wie bei der Inflationsrate, die individuell oft deutlich höher liegt als die allmonatlich vom Statistischen Bundesamt verbreitete Zahl, wird auch die Zahl der Arbeitslosen künstlich kleiner gehalten, als sie ist.


Julian Marius Plutz

Anzeige
Die mobile Version verlassen