Tichys Einblick
Beim Krach im VW-Reich geht es nicht nur um einen Machtkampf zwischen Männern

VW: Warum Piëch nicht mehr an Winterkorn glaubt

Sieht aus wie ein Spielzeug, aber ist ein mörderisches Konzept: Der "Strati" von Local Motors kommt aus dem 3D-Drucker. Neue Technologien setzen deutsche Autokonzerne unter Druck

Bei VW fliegen die Fetzen. Ferdinand Piëch, Großaktionär und Aufsichtsratschef von VW hat einen Konflikt zwischen Aufsichtsrat, Großaktionären und Vorstand richtig schön groß und öffentlich gemacht.

Er sei auf „Distanz zu Winterkorn“, sagte der 77-Jährige Ende der Woche dem „Spiegel“ über den 10 Jahre jüngeren Vorstandschef. Martin Winterkorn ist der Vorstandsvorsitzende des größten europäischen Autokonzerns, hat einen Vertrag bis Ende 2016 und die volle Unterstützung des mächtigen Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh und des Landes Niedersachsen, das 20 Prozent an dem Zwölf-Marken-Konzern hält.




Winterkorn strahlte bis Ende dieser Woche allergrößtes Selbstbewusstsein und ungehemmte Angriffslust aus, er sei nicht abgeneigt, seinen Vertrag noch mal zu verlängern, ließ er hier und da fallen. Perdu. Der Kandidat für die Nachfolge Winterkorns und seiner selbst seien schon im Unternehmen, es müssten auf jeden Fall Techniker sein, so Piëch im Spiegel. Die Nachricht kommt überraschend. Winterkorn war immer Piëchs treuester Diener. Er stieg unter ihm vom Chef der Qualitätssicherung zum Vorstandsboss auf; revolutionierte die VW-Welt mit seinem Baukastensystem, das in allen 107 Werken weltweit gilt und die Kosten beachtlich senkt. Unter Winterkorn schickte sich VW an, der größte Auto-Konzern der Welt zu werden und damit Toyota zu überholen. Von 6,7 Millionen Autos stieg die verkaufte Stückzahl auf an die 10 Millionen. Und nun?

Nicht nur ein Machtkampf alter Männer

Winterkorn ist ein Chef auf Abruf, sein Einfluss schmilzt seit Freitag, auch wenn er mächtige Unterstützer hat. Ähnlich verhält es sich mit Rupert Stadler, dem Chef der wirtschaftlich erfolgreichen Tochter Audi. Er galt als aussichtsreicher Kandidat für die Winterkorn-Nachfolge, ist aber Betriebswirt und kein Techniker. Also raus.
Aber worum geht es wirklich? Ist es nur ein Machtkampf alternder Alpha-Männchen?

Gerne wird auf die Probleme verwiesen, die VW derzeit hat: Der Golf wird in Deutschland mit hohen Rabatten verscherbelt; die neue Fabrik in den USA sei unterausgelastet. Die Rendite liegt unter den Kapitalkosten – VW verliert faktisch Geld mit jedem verkauften Auto. Kein Wunder, dass Winterkorns Freunde bei den Gewerkschaften zu finden sind und beim Ministerpräsidenten von Niedersachsen. Im Neo-Sozialismus wird eben nicht genau gerechnet, in volkseigenen Betrieben gelten eigene Regeln. Das stimmt alles – aber trägt nicht bis ganz zum Ende, denn die Rendite wollte auch Winterkorn mit einem 5-Milliarden-Sparprogramm steigern.

Die Gefahr für die grösste deutsche Industriebranche ist in der Tat größer, als die Manager offen zugeben. Sie werden in die Zange genommen – von den Internetkonzernen wie Apple und Google auf der einen, und von Elektro-Autos auf der anderen Seite. Google und Apple setzen darauf, dass Menschen zukünftig keine Autos mehr kaufen, sondern Mobilität. Wer fahren will, geht nicht mehr in die Garage oder überlegt, unter welcher Laterne das Auto zuletzt geparkt wurde, sondern bestellt per Smartphone ein passendes Modell. Darf es heute ein Cabrio für den Sonntagsausflug sein oder ein Kombi für den Wochenendeinkauf? Apple und Google haben gezeigt, dass den Menschen letztlich der Nutzen wichtiger ist als das Haben: Musik steht nicht mehr als Platte oder CD im Regal, sondern wird bei Bedarf gestreamt, also per Internet abgerufen. Warum nicht auch Autos? Und beide Giganten wissen, wie man Datenströme organisiert, steuert und verknüpft: Während Autokonzerne auf einzelne Fahrzeuge konzentriert sind, denken die Internetkonzerne im Verkehrsfluss: Sammeln die Daten aus Autos, die vorausfahren und verknüpfen sie mit den Daten aus den Auto-Sensoren zu einer Gesamtinformation, die das fahrerlose Fahren erst ermöglichen.

Ende des Verbrennungsmotors

Nicht weniger gefährlich ist das E-Auto. Deutsche Konzerne haben zwei wichtige Technikgebiete perfektioniert: Niemand baut so leistungsstarke, perfekte  Verbrennungsmotoren, deren Steuerung extrem schwierig ist. Niemand baut so sichere und komfortable Autos mit unübertroffen perfekter Straßenlage. Aber wenn das E-Auto kommt, ist beides wertlos: Der E-Motor ist simpel und lässt sich mit einem einfachen Schieberegler steuern statt mit hochkomplexer Motorentechnik. Der vergleichsweise große Benzin- oder Dieselmotor sitzt über der Achse des Autos. Damit liegt der Schwerpunkt des Fahrzeugs sehr hoch, was ein komplexes Fahrwerk und Abstimmung erfordert. Doch die schweren Batterien liegen tief im Fahrzeugboden, die Motoren an den Rädern: Die Fahrwerksabstimmung ist simpel.

Die deutschen Autobauer haben zudem einen politischen Feind: Umweltbesorgte Politiker wollen bis 2030 den Anteil der E-Autos auf 50 Prozent Marktanteil hochhieven. Das heisst im Umkehrschluß: Halbierung des Marktanteils der Benziner und Diesler.

…und noch mehr Radikale gegen Industriegeschichte

Noch radikaler sind andere Konzepte. Brauchen wir überhaupt noch große Fabriken? „Local Motors“ druckt bereits auf 3D-Druckern in Kleinst-Fabriken, die auf einen großen Messestand passen, ganze Auto-Karrosserien, die dann mit Elektromotoren zu fertigen Autos zusammengestöpselt werden. Mehrere Hundert Geländerfahrzeuge „Rally Fighter“ und Zweisitzer „Strati“ sind so schon aus dem Drucker gepurzelt. Die Fahrzeuge sind teuer, kosten bis zu 99.000 Dollar – aber (angeblich) schon profitabel! Das wäre ein sensationelles Ergebnis, das zeigt: Großserien schmelzen zu immer kleineren gewinnbringenden Einheiten, weil es die moderne Fertigungstechnik möglich macht. BMW ist Kooperationspartner – am radikalsten unter den deutschen Autokonzernen denken die Münchner in die Zukunft und erregen mit ihrem i8 Aufsehen. Es geht um viel mehr als das Auto: Nicht mehr lange Fließbänder für ein Produkt – sondern Werkstätten vor Ort für alles, was herstellbar ist. Die Baupläne dazu kommen per Crowdsourcing aus dem Internet. Ein Momentum der modernen Welt – der Kunde bastelt mit.  Eine Fabrik für alles – bald will Local Motors eine solche Alles-Könner-Mikro-Fabrik in der Nähe von Berlin eröffnen. Chef John Rogers verspricht: Während heute zwischen Konzept und Verkaufsstart 5 Jahre liegen, sollen es bald nur noch Monate sein: Das Auto wird zum schnelllebigen Modeartikel. Dieses Konzept läßt Wolfsburg wie einen Dinosaurier aussehen. Ein kurzes Video sehen Sie hier dazu. Noch ist es eine Vision, die gerne verdrängt wird. Aber hier sei an ein Wort des damals mächtigen Heinz Nixdorf erinnert, Gründer und Chef eines damals bedeutenden Computerherstellers: Man baue keine PC, sagte Nixdorf, „wir liefern schließlich Lastwagen für die Industrie und nicht Motorroller für Private“. Heute ist die noch immer architektonisch elegante Nixdorf-Hauptverwaltung in Paderborn ein Computermuseum.

Die Dynamik der Digitalisierung wird unterschätzt – sie ist mehr als Fabrikautomation. Sie hat längst auch begonnen, das Wertesystem zu verändern. Der schlimmste Feind der deutschen Autobauer ist die Kombination von Digitalisierung, Umweltschutz und technischer Faszination. E-Autos gelten als sauber – herkömmliche Autos als Umweltsünder. Technik begeistert – aber sie entwickelt sich mit anderen Konzepten. Die Jungs von heute drücken sich daher oft nicht mehr vor dem Porsche-Showroom die Nasen platt, sondern bestaunen E-Autos wie den Tesla oder auch den i8 von BMW. Deutsche Autos könnten damit den Kältetod in der emotionalen Beziehung zu den Käufern sterben. Mal ehrlich: Wer wird in 10 Jahren mehr Begeisterung auslösen – ein Mercedes oder VW mit Hut-Image oder ein Apple-Auto?

VW-Chef Winterkorn ist nach Piëch ohne Zweifel ein genialer Konstrukteur für das Auto von heute. Er hat ein quer- und längs-Baukastensystem entwickelt, das in allen über 100 VW-Werken gilt und Kosten spart, weil es unterschiedliche Modelle quasi frei variiert zu immer neuen Modellen. Aber vielleicht weil er darauf so konzentriert war, hat er die neuere Entwicklung verschlafen. Von VW gibt es kein I-Auto. Piëch dagegen stand immer mit einem Bein in der Zukunft, manchmal zu früh: Der Audi A2 mit Miniverbrauch und der 1-Liter-VW-Polo waren ihrer Zeit voraus, wirtschaftliche Flops. Was haben sie darüber gelacht in Wolfsburg! Aber ein wahrer Visionär ist geradezu dazu veruteilt zu scheitern, bis sich seine Ideen durchsetzen – anders als gedacht, aber eben doch. Piëch hat sich des Professors Winterkorn nur bedient: Der war zunächst für Qualitätssicherung zuständig: Ein wichtiger Job, aber ohne Vision.

Und nun also will Piëch seinem Top-Manager den Stuhl vor die Tür setzen. Dazu kommt der Machtkampf darum, wer denn die Anteile der Familie Porsche und Piëch in Zukunft vertritt. VW ist einerseits zu 50,7 % in der Hand dieser Familien – zu 20,1 % allerdings gehört der Konzern dem Land Niedersachsen. Eine besonders starke Stellung haben die Gewerkschaften und die IG Metall. Das ist ein direktes Erbe der NS-Zeit und der damaligen Gewerkschaftseigentümer, der nationalsozialistischen „Deutschen Arbeiterfront“, die auf die heutigen Gewerkschaften übergingen. Wer wird Piëchs Nachfolger als Aufsichtsratsvorsitzender – Winterkorn, wie ursprünglich geplant oder ein Familienmitglied?




 Wer ist dieser Ferdinand Piëch?

Er ist der Enkel des genialen Käfer-Konstrukteurs Ferdinand Porsche. Der Vater stirbt, als er 15 Jahre alt ist. Die von ihm geliebte und verehrte Mutter Louise hat nach dem frühen Tod ihres Mannes Anton als Chefin der Porsche Holding Salzburg, Generalimporteur für VW und Porsche in Österreich, kaum Zeit, sich um ihre vier Kinder zu kümmern. Sie schickt ihren zweitältesten Sohn Ferdinand auf das Lyceum Alpinum in der Schweiz. Piëch beschreibt die Einrichtung als „typisches Abhärtungsinternat, elitär, schlicht und streng“. Hier habe er die Erkenntnis gewonnen, dass vieles „nur im Alleingang möglich ist“. Piëch bleibt ein Alleingänger. Verschlossen, misstrauisch, umgeben von wenigen, ihm zu tiefst ergebenen Managern – aber auch diese Nähe bleibt nur eine auf Zeit. Wer seinen Ansprüchen nicht mehr genügt – fliegt. Erbarmungslos. Es hat ganze Manager-Generationen mittlerweile getroffen. Persönlich nimmt er das nicht. Geld ersetzt Gefühle. Menschen sind für ihn Funktionen. Das zeigt sich wie in einem Programmkino bei seiner Geburtstagsfeier vor drei Jahren in Dresden. In die „schönste Stadt Deutschlands“ (Piëch) luden Piëch und seine Frau Ursel damals rund 200 Personen ins Fünf-Sterne-Hotel Taschenbergpalais ein, die Konzernvorstände mit ihren Partnern, Linde-Chef Wolfgang Reitzle, den früheren ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz und das damalige Bundespräsidenten-Paar Christian und Bettina Wulff. Unter den geladenen Gästen viele Männer, die er gefördert, befördert und gefeuert hat. War was?




Auf ihren Zimmern fanden die Gäste eine Hörbuchfassung von Karl Mays Westernroman „Unter Geiern“ vor. Die Festrede – die sich das Geburtstagskind eigentlich verbeten hatte – hielt der Kabarettist Django Asül. Motto der Veranstaltung, geborgt bei dem Schriftsteller Ödön von Horváth: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“

Piëch kommt eben selten dazu, menschlich zu sein; zu hart ist das Leben des Multimilliardärs unter Geiern.

Schon als Junge hat er das brutale Geschäft gelernt. Er versteckte sich unter dem Tisch der Häuser im österreichischen Gmund oder in Zell am See, wenn die Männer des Porsche-Clans und ihre Besucher den Weg in die Zukunft verhandelten. Immerhin hatte Ferdinand Porsche für die Nazis den KdF-Wagen entwickelt (Kraft durch Freude) und die damals größte Automobilfabrik der Welt in Wolfsburg entworfen – jetzt sollte der Käfer im Wirtschaftswunder erst richtig das Laufen lernen. In Gmund in Kärnten entsteht der erste Porsche 356 in einem Bauernstadel – auf VW-Basis. Die Familie sichert sich aber nicht nur den Sportwagenbauern, sondern auch die Vertriebsrechte für Österreich und Ungarn. Nach dem Fall der Mauer sollte dies eine wahre Goldgrube werden.

Seine erste große Bewährung heißt AUDI. Unter seiner Ägide verwandelte sich die Marke vom Kennzeichen für Spießer zum sportlichen, technisch führenden und in der Qualität ausgezeichneten Herausforderer für Mercedes und BMW. Legendär ist der Audi Quattro, das erste Großserienfahrzeug mit 4-Rad-Antrieb. Im Fernsehspot fährt es die Olympia-Skisprungschanze am Berg Isel bei Innsbruck hinaus – allerdings heimlich von einem Seil gezogen. Aber die Verbindung von Auto, Technik und Image ist geglückt.

Die Rettung von VW

Seine zweite Riesenherausforderung bewältigt er in den 90ern. Der VW-Konzern ist technisch am Ende und finanziell steuert er auf die Pleite zu. Piëch übernimmt den Vorsitz und bringt mit dem Audi-Baukasten aus Ingolstadt die Fahrzeuge technisch auf Vordermann. Auch hier hat er wichtige Männer an seiner Seite: Peter Hartz, den Personalvorstand, der von der IG Metall kommt und mit der SPD bestens vernetzt ist. Peter Hartz überredet die Betriebsräte dazu, dass VW die 24 Stunden-Woche einführt – und die Gehälter entsprechend gekürzt werden. Das sichert VW das Überleben – den Personalabbau, der immer mit Abfindungen verbunden ist, wäre wirtschaftlich nicht mehr finanzierbar gewesen. Seither gilt Piëch in Wolfsburg als Supermann, hat beste Kontakte zu SPD und Gewerkschaften. Peter Hartz ebenfalls – er entwickelt für Bundeskanzler Gerhard Schröder die Hartz-Reformen. Irgendwann wird bekannt, dass die Zustimmung der Betriebsräte gelegentlich auch mit vom Konzern finanzierten Damen des zwielichtigen Gewerbes erkauft wurde. Hartz verschwindet, Piëch aber steigt ans Licht. Tatsächlich ist die Rettung von VW ein strategisches Meisterstück.

Lovestory schreibt Wirtschaftsgeschichte

Aber die größte Wende in Piëchs Leben ist Ursula. Es ist ein Love-Story epischen Ausmasses, die jetzt anfängt, Industriegeschichte zu werden. Nach den Plänen von Ferdinand Piëch soll seine Frau im Stiftungsrat, der das Familienvermögen verwaltet, nach seinem Tod eine Schlüsselrolle spielen. Aufsichtsrätin bei VW ist sie bereits. Wird sie auch seine Nachfolgerin als Vorsitzende?  Sie bekäme dann enormen Einfluss auf die Geschicke von Europas größtem Autokonzern. Nach einer erbitterten Übernahme-Schlacht mit wechselnden Fronten bei Porsche, ist Piëch nach dem Land Niedersachsen größter Aktionär mit 12,5 %, die er in Stiftungen geparkt hat – das Machtvehikel für Ursula.




… und wer ist Uschi?

Ursula Plasser wird am 19. Mai 1956 in Linz an der Donau als Tochter eines Zollbeamten geboren. Die ersten 25 Jahre verbringt sie in der Landeshauptstadt von Oberösterreich. Sie absolviert eine Ausbildung zur Erzieherin und leitet später einen Kindergarten in Braunau am Inn. „Sie war eine beliebte, gute und geschätzte Kindergärtnerin“, erzählte eine frühere Kollegin den „Oberösterreichischen Nachrichten“.




Doch auf Dauer ist der lebenslustigen Frau das Innviertel zu eng – sie will hinaus in die Welt. Die Möglichkeit dazu eröffnet ihr 1982 eine Zeitungsannonce. Marlene Porsche, die damals mit Ferdinand Piëch im Salzburger Land lebt, nachdem Piëch sie dem Cousin ausgespannt hat, sucht eine Gouvernante. Verlangt werden guter Umgang mit Kindern, aber auch Bereitschaft zu Mobilität: Die Familie plant Reisen. Die damals 25-Jährige bewirbt sich und bekommt die Stelle. Zwei Tage nach ihrem Jobantritt in den Weihnachtsferien verlangt der Hausherr ihr plötzlich eine Prüfung im Allradfahren ab: Mit dem VW-Geländewagen Iltis soll sie den verschneiten Weg zur Berghütte hinauffahren. „Ich ließ die Probandin an der steilsten Stelle, immerhin 17 Prozent, anhalten und wieder anfahren“, erzählt Piëch in seiner „Auto.Biographie“. Ihre Sichtweise ist kritischer. Sie würgt das Auto zwar zweimal ab und schimpft im Geiste auf den „blöden Kerl“. Aber die beiden rücken sich trotzdem näher. Bald unternehmen sie Beschleunigungsrennen gegeneinander, er auf einem Geländemotorrad, sie am Steuer eines roten, über 300 PS starken Audi Sport-Quattro – ihr Lieblingsauto bis heute. Im September 1984 wird geheiratet.

Keine Märchenhochzeit oder doch?

Der Mittvierziger hat da bereits neun Kinder aus drei Verbindungen. „Maderl, überleg dir’s noch mal ganz genau“, warnt beim Vorgespräch eine Standesbeamtin in Ingolstadt, wo Piëch damals als Technikvorstand von Audi wirkt. Das Paar verlegt daraufhin die Hochzeit ins oberösterreichischen Schärding. Eine Tochter des Bräutigams fragt noch: „Wie kannst du nur meinen Vater heiraten, du bist doch so ein fröhlicher Mensch?“

Aber sie bleibt ein fröhlicher Mensch, und das macht den harten Mann erträglich, ihre menschliche Wärme ergänzt seine technokratische Sichtweise und trägt sicherlich dazu bei, dass er wirklich den Weg nach ganz oben schafft. Ursula Piëch lacht viel und gern, geht offen auf Menschen zu, und kann laut auch über sich selbst lachen. Noch immer gehen die beiden gelegentlich händchenhaltend. „Ohne meine Frau traue ich mich gar nicht zu diesen Flintenweibern“, sagt er beispielsweise nach einem Besuch bei weiblichen Managerinnen in Davos, Hand in Hand. Unter den Geiern, wird dann in der Konzernwelt über seinen angeschlagenen Gesundheitszustand gemunkelt. Das Handelsblatt fabuliert über seinen baldigen Tod. Winterkorn dementiert lau, statt hart zurück zu schlagen. Piëch fühlt sich hintergangen. Aus dem privaten Ränkespiel wird Unternehmenspolitik. Und wer genau hinschaut, bemerkt die tiefe Zuneigung des Paares füreinander. Seit inzwischen 30 Jahren sind Ursula und Ferdinand Piëch ein Paar, die gelernte Erzieherin und der Ingenieur, ehemalige Vorstandsvorsitzende von Volkswagen und heutige Aufsichtsratschef, der etwa 13 Prozent an der Porsche Holding SE besitzt und ein Privatvermögen von geschätzt über vier Milliarden Euro. Sie liest ihm die Akten vor, weil er selbst ungern lange Schriftstücke konsumiert. Klar ist, dass sie mittlerweile eine extrem gute Kennerin des Konzerns ist. In der Presse wird sie gerne nieder gemacht. Ein ehemaliges Kindermädchen gilt den hochnäsigen Technikern als nicht ebenbürtig. Ihre Klugheit ohne akademischen Grad wird notorisch unterschätzt, das hat sie mit den anderen großen Frauen der deutschen Wirtschaft gemein: Friede Springer, Johanna Quandt (BMW) und Elisabeth Schaeffler, die aus einer Kugellagerklitsche einen der größten Automobilzulieferer geformt hat. Es sind Frauen, die erfolgreich das Erbe ihrer Männer nicht verwalteten – sondern gewaltig vergrößerten und in die Zukunft führten. Sie alle sind so unterschätzt, missachtet wie erfolgreich. Und nun also Uschi.

Der unübersichtlich wirkende Riesenkonzern mit zwölf Marken, 570 000 Mitarbeitern und 106 Fabriken, wird von einem kleinen Kreis um Ferdinand und Ursula Piëch gesteuert.

Ursula übernimmt das Steuer

Denn aus der Beifahrerin am Berg wurde längst die Co-Pilotin in seinem Leben – ein Co-Pilot, der immer öfter das Steuer übernimmt. So im Mai 2014 beim Empfang des VW-Aufsichtsrats im Neuen Rathaus von Hannover. Als Oberbürgermeister Stefan Schostok Piëch bat, sich ins Goldene Buch der Stadt einzutragen, ergriff seine Frau den Füller und schrieb: „Für ein glückliches Leben braucht man nicht viel. Gesundheit, Glück, Freude und stille Reserven.“ Gezeichnet: Ursula. Dem Ehemann blieb die Aufgabe, seinen Ferdinand danebenzukritzeln. Es hat alles eine Beziehung zum Konzern: Gemeinsam testen sie noch immer die Autos des Konzerns, hier testet das Eigentümerehepaar noch persönlich die Produkte. Sie unternehmen ausgedehnte Fahrten mit jedem neuen Modell. Und längst ist ihr Wort Gesetz. Obwohl der Produktionsstart längst durch war, sorgte sie dafür, dass beim aktuellen VW Golf das Handschuhfach vergrößert wurde, und dass auch auf der Fahrerseite ein Schminkspiegel in der Sonnenblende zu finden ist. Vorher schon, dass in den Fahrzeugen die Lüftung für Fahrer und Beifahrer getrennt zu regeln ist. Ferdinand Piëch, der zugempfindlich ist und leicht friert, hatte seine Autos immer ohne Klimaanlage geordert – und seiner schwitzenden Frau das Tragen eines Bikinis empfohlen, Charme ist seine Sache nicht. Und schon während der Zeit bei Audi sorgte Ursula Piëch dafür, dass die ursprünglich viel zu hoch platzierten Pedale der Autos auch von Menschen bedient werden können, die wie sie Schuhgröße 42 haben. „Es gibt in der Tat viele Dinge an einem Auto, die Frauen anders sehen“, sagt sie. An allen Hierarchie-Ebenen vorbei hat sie das letzte Wort. Es bekommt dem Konzern nicht schlecht. Er öffnet sich einer gewissen Vielfalt und Modernität jenseits technischer Leistungsmerkmale.

Das provoziert Neid im männerdominierten Konzern, und Anerkennung bei Beobachtern. Als im Januar 2014 Ferdinand Piëch zum Ehrenbürger der Stadt Braunschweig ernannt wird, macht das der damalige Oberbürgermeister Gert Hoffmann in seiner Festrede deutlich: „Wenn es üblich wäre, Ehepaare zu Ehrenbürgern zu machen, müssten wir das im vorliegenden Fall tun.“

Denn klar ist: Piëch baut seine Frau zu seiner Nachfolgerin auf. Sie rückt in den Aufsichtsrat ein. Ihre künftige Rolle ist allerdings längst nicht so klar geregelt, wie es im Herbst 2010 noch schien. Damals hatte Piëch in Österreich die beiden Privatstiftungen Ferdinand Karl Alpha und Ferdinand Karl Beta gegründet und darin sein Vermögen eingebracht – vor allem die Beteiligung an der Porsche SE. Diese wiederum hält 50,7 Prozent aller Aktien der Volkswagen AG „Ich bin noch am Konstruieren.“ Grund zur Eile sieht der 77-Jährige nicht: Seine Mutter wurde immerhin 94 Jahre alt.

Jetzt will Piëch offensichtlich den Konzern noch einmal umstrukturieren – und diesmal nicht wie Audi und VW damals in der Krise, sondern rechtzeitig vor der nächsten existenzbedrohenden Situation. Winterkorn ist dafür aus seiner Sicht nicht der richtige Mann. Und da überkreuzen sich zwei Linien: Die strategische Notwendigkeit – und die ganz private Rache an Winterkorn.

Für die deutsche Industrie ist das ein Menetekel. Denn hinter dem privaten Ränkespiel steht die Frage, wie das führende Industrieland mit der Herausforderung des Internets umgeht. Piëchs Bombe platzte punktgenau zur Eröffnung der Hannover-Messe. Da klopfen sich die Konzern-Chefs gerne gegenseitig auf die Schultern, wie gut sie doch mit der Zukunft umzugehen wissen.

Wissen sie es wirklich? Oder rächt sich jetzt, dass Deutschland seit den 70ern alles getan hat, um den Anschluß an die Datenverarbeitung der Zukunft zu verpassen?