Tichys Einblick
Das Desaster von Washington

Verwüstungen im Capitol beseitigt – Verwüstungen an der Demokratie nicht

Nun liegt es am künftigen US-Präsidenten Joe Biden, sein Land und dessen zerrissene Gesellschaft zu befrieden - statt den Kulturkampf auszufechten. Die Aufgabe, Misstrauen zu beseitigen, Spaltung zu überwinden und Hass aufzulösen geht auch Deutschland an.

Das Kapitol am Morgen nach dem Eindringen der Trump-Anhänger

imago images / UPI Photo

Gebäude kann man schneller restaurieren und ihre Inneneinrichtung säubern, als Misstrauen beseitigen, Spaltung überwinden und Hass auflösen. Das wurde am Ende der Präsidentschaft von Donald Trump deutlich. Das ist das Erbe, mit dem Joe Biden als Präsident umgehen muss. Nach dem Triumph seiner Democrats auch in Georgia liegt jetzt die volle Verantwortung bei ihm. Er kann zwei Wege gehen: Den Radikalen in seiner Partei folgen und den Kulturkampf versuchen durchzuziehen; gegen die unterlegenen Trump-Anhänger. Er kann radikale Gruppen wie BLM bestärken und wieder freie Bahn geben. Er kann Spinnereien Vorschub leisten, wie dem seit über 3.000 Jahren hergebrachten Amen ein A-Women anzuhängen, oder Bestrebungen verfolgen, die den Begriff Eltern, Vater oder Mutter abschaffen wollen, wie es im Repräsentantenhaus bereits geschah.

Für die Zukunft wären die USA gut beraten, ihr Wahlsystem so zu überarbeiten, dass Zweifel an der Legalität von Wahlen und damit Legitimität der Präsidenten nicht mehr auftauchen können. Und Joe Biden täte gut daran, bestehende Zweifel durch eine unabhängige Kommission wirklich aufklären zu lassen.

Davon ist leider derzeit wenig sichtbar. Die ungestillte Wut der Unterlegenen und der Triumph des Wahlsiegers auf den zerfetzten Papieren im Capitol stehend lassen Besinnung nicht erwarten.

Wenn Biden die Brücke nicht baut, sondern den Graben vertieft, ist das kein amerikanisches Problem allein, das uns nichts angeht. Deutschland, wie wir es heute kennen, ist im Spannungsfeld mit Frankreich und auch mit Russland (noch) angelsächsisch geprägt; durch die Nähe zu Großbritannien und zu den USA. Das war unser „Role-Model“ in Sachen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wirtschaftsverfassung und Kultur bis hin zur Hitparade.

Eine neue Macht drängt nach vorne: China, und mit ihm ein autoritärer Ansatz in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Die Krise Amerikas wird damit auch zur Krise der Verankerung und zur Krise der Werte, an die sich Deutschland angelehnt hat: Zunächst West-Deutschland, dann auch das wiedervereinigte Deutschland. Und damit wendet sich der Blick sofort wieder nach Deutschland zurück. Während in den USA das Chaos der letzten Tage beseitigt wird, erwarten uns chaotische Tage mit einer Regierung, deren Dilettantismus in der Corona-Politik offenkundig ist.
Bezeichnend, dass Justizministerin Lambrecht schon eine Antwort auf gesellschaftliche Verwerfungen und Konflikte gefunden zu haben glaubt: Sie will Internetplattformen stärker kontrollieren. Es sieht aus, als tauschten wir das US-Gesellschaftsmodell flugs gegen das chinesische.

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