Tichys Einblick
Der Ölfleck wächst

Verstaatlichen und enteignen: Wie Deutschland in die Vergangenheit marschiert

Deutschland ist ein gigantisches Versuchslabor. Getestet wird, wie schnell eine Gesellschaft ihre Erkenntnisse und Geschichtserfahrung vergessen kann - und der Rausch der Rhetorik für Realität genommen wird.

imago images / Hoch Zwei Stock/Angerer

Es steht ja schon im Schulbuch, was aktuell zu beobachten ist: Es geht um das Ölflecktheorem (auch Ölflecktheorie), eine ökonomische These über die Wirkung von staatlichen Eingriffen in einen Markt. Sie besagt, dass ein einzelner staatlicher Ersteingriff in den Wirtschaftsprozess sich immer weiter ausdehnende Folgeeingriffe in das Wirtschaftssystem und letztlich eine Interventionsspirale nach sich zieht, die am Ende alle schlechter stellt. 1929 wurde dieser Zusammenhang von Ludwig von Mises in Kritik des Interventionismus erstmals formuliert.

Die Verschmutzung des Wassers begann mit der von Linken, Grünen und der SPD unterstützten oder betriebenen Verstaatlichung von Wohnungskonzernen in Berlin. Es war ja klar, dass dadurch keine zusätzliche Wohnung entsteht oder entstehen kann. Aber statt von einem unsinnigen Vorhaben Abstand zu nehmen, wurde der Unsinn ausgedehnt wie ein verlaufender Ölfleck. Juso-Chef Kevin Kühnert machte das Thema  mit Verstaatlichungsphantasien von BMW populär. Der Ölfleck breitet sich aus.

Ruinen schaffen ohne Waffen

Seit gestern gilt die Absicht des Berliner rot-grün-roten Senats, generell und ab sofort Mieterhöhungen zu verbieten. Und schon fabulieren Grüne und SPD davon, diese Idee bundesweit auszurollen. Der Ölfleck wächst, die Umfragen machen Tempo. Es ist natürlich eine Art der Verstaatlichung in Berlin, wie sie auch die DDR praktizierte: Ja, theoretisch gab es Privateigentum, es konnte nur nicht genutzt werden. Wer eine Wohnung vermietet und nicht einmal die notwendigen Reparaturkosten dafür erhält oder für die vorgeschriebene Energiesanierung, der muss die Hütte langsam verfallen lassen. Der gesamte Prenzlauer Berg in Berlin war eine einzige Ruinenlandschaft, und aus den Dachböden machten sich die Folgen des meterhohen Taubenkots in Form von Zecken und nachfolgender Gehirnhautentzündung auf den Weg in die unteren Geschosse, bis auch die nicht mehr bewohnbar waren. Aber Ruinen schaffen ohne Waffen – das ist geschichtliche Erfahrung, die vergessen ist. Andere Möglichkeit: Wenn der Mieter oder der Staat teure Reparaturen erzwingt, bleibt nur; das Ding herschenken, wobei als Empfänger der Staat gerne zu Hilfe eilt. Das ist Enteignung, und zwar ohne Entschädigung.

Sozialismus steckt im Wortstamm „Nazi“

Es dauert nur etwas länger als eine sofortige Eigentumsübertragung an den Staat oder eine „Arisierung“, wie man die Enteignung jüdischer Hausbesitzer oder Unternehmer in Nazi-Deutschland nannte. Auch eine historische Erfahrung, die nicht genannt wird, obwohl der Vorwurf „Nazi“ diesmal durchaus passen würde auf die Vertreter der Verstaatlichungsschule. Schließlich steckt Sozialismus aus gutem Grund im Wortstamm.

Der Berliner Ölfleck versaut also schon ganz schön das Wohnungswesen in Berlin. Und auch die zweite Folge ist zu besichtigen. Schön blöd, wer da noch eine Wohnung baut. So dumm ist nicht einmal das Kapital. Der Berliner Senat musste allerdings gerade seine zugesagten Wohnungsbauzahlen korrigieren; statt versprochener 30.000 werden es eher nur 20.000 werden. Es wiederholt sich das Debakel des Flughafens Berlin-Brandenburg: Sie können es nicht. Also muss enger zusammengerückt werden – auf dem seit 10 Jahren zur Schließung anstehenden Flughafen Tegel, der an Überfüllung erstickt, und jetzt auch auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Dabei hat Berlin noch einen Flughafen, das riesige Tempelhofer Feld. Die manipulativen Berliner Zeitungen verwöhnen uns gelegentlich mit Bildern von hübschen Schrebergärten, die dort angeblich entstehen. Das ist natürlich Berliner Schmäh. Das Feld ist größtenteils betoniert oder sonst wie versiegelt; im Untergrund lauern Schadstoffe aus über 100 Jahren Betrieb mit unerkannt giftigen Stoffen, die am besten saniert werden sollten. Heute herrschen dort Temperaturen von über 40 Grad auf der riesigen Beton-Fläche; ein lebensfeindlicher Raum mitten in einer Stadt, die dringend Wohnraum bräuchte. 50.000 oder noch mehr Wohnungen wären kein Problem, auch die Lücken im öffentlichen Verkehrsnetz könnten per Direktverbindung geschlossen werden: Wenn man Wohnungen wirklich wollte. Wohnungsmangel in Berlin ist ein Produkt eines Senats, der aus der Not der Wohnungssuchenden politisches Kapital schlagen will, übrigens das einzige Kapital, das niemals Früchte trägt, sondern nur Pöstchen für Funktionäre und Parteimitglieder erzeugt. Politik kann es nicht, aber macht den Markt für ihr Versagen haftbar. Der Ölfleck wächst, alle werden ärmer.

Die Lenkungsfunktion der Preise

Natürlich werden auch andere Sachverhalte unterschlagen: Es ist ja schön, wenn viele Leute aus dem gesamten Bundesgebiet in die Hauptstadt ziehen wollen, um auf ihrer Partymeile zu feiern; schön, wenn Zuzügler aus Osteuropa und sogenannte Flüchtlinge in Berlin dort auch ihre früheren Nachbarn und Freunde treffen wollen – in der Millionenstadt eher möglich als auf dem Brandenburger Dorf. Alles gut, Freizügigkeit ist ein hoher Wert – aber der Anspruch auf eine billige Wohnung am Ort ihrer Träume ist damit nicht verbunden.

Hohe Mietpreise haben eine ausgleichende Wirkung: Sie bremsen die Abwanderung vom Land; sie sorgen dafür, dass die Unternehmen in der Provinz, dem Stammsitz der Hidden Champions, auch Mitarbeiter finden, denen das Leben in den Metropolen einfach zu teuer wird. Steigende Mietpreise haben eine Lenkungsfunktion. Das gilt auch für andere Gruppen: Muss man wirklich in Berlin (oder München, oder Frankfurt oder…) Studienplätze und Studentenwohnheime bauen, solange in kleineren Uni-Orten noch Plätze leer stehen und Studentenwohnungen deutlich billiger sind? Ist Studium in erster Linie Party-Time oder Wissenserwerb? Müssen wir Steuerzahler dazu beitragen, die Ortswahl der Zeitgeistumzügler in die Metropolen zu subventionieren und anschließend teure wie wirkungslose Programme aufzulegen, um abgehängte Landstriche wieder zu besiedeln?

Auch billige Busse müssen wieder weg für die teure Bahn

So werden eben alle ärmer – Mieter und Gesellschaft. Aber der Ölfleck weitet sich immer noch weiter aus. Der Spitzenkandidat der Linkspartei für die Brandenburger Landtagswahl. Sebastian Walter (29) fordert die Enteignung privater Bus-, Bahn- und Telekomfirmen, Kliniken und Wohnungsunternehmen. Wir wissen ja, wie das dann kommt: Klar, telefonieren muss wieder unerschwinglich werden wie zur Zeit der staatlichen Bundespost. Billige Busse müssen weg, damit die Staatsbahn weiter umgehemmt für ihre überteuerten Verspätungszüge abkassieren kann. Kliniken müssen zurück auf 6-Bett-Zimmer; damit man Bürger billiger und besser unterbringen und mit größerem Erfolg operieren kann, wie private Kliniken vormachen – Kappes, wenn örtlicher Juso-Boss als Qualifikation ausreicht, um Klinikchef werden zu können.

Übrigens: Dutzende Gewerkschafts-Funktionäre applaudierten dem Linken. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke (57) widersprach ihm nicht, sondern sagte: „Öffentlicher Boden muss in öffentlicher Hand bleiben.“ Klar, ohne Boden kein Geschäft und keine Wirtschaft; der Ölfleck wird immer breiter.

Und so breitet sich der schillernde Ölfleck immer weiter aus. Es klingt ja gut, sich eine schöne Welt in Worten vorzusprechen. Dass Realität entscheidend ist, das zählt nicht in einer Gesellschaft, die in Sprachbilder verliebt ist und die Folgen ihres Handelns nicht mehr sehen mag, weil sie glaubt, hüpfende Kinder am Freitag könnten Energie produzieren, die nun mal eine Gesellschaft braucht.

Schön, machen wir mit – auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die ihren Reichtum verspielen will. SPD, Linke, Grüne stehen bereit und große Teile der CDU applaudieren.

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