Tichys Einblick
Nur Verzehr, kein Anbau

Konjunktur: Deutschland im warmen Licht der Abendsonne

Weil die Wirtschaft zu wenig investiert, geht es Arbeitnehmern wie Kapitaleignern gut. Aber langfristig leidet Deutschland darunter, dass der Zuwachs an Arbeitsplätzen hauptsächlich im prekären Dienstleistungsbereich stattfindet.

Es ist eine Art konjunktureller Ball Paradox: Alle Zeichen stehen auf Schrumpfen der Wirtschaft. Aber sie wächst kontinuierlich, die Arbeitslosigkeit sinkt weiter, es herrscht streckenweise Personalmangel.

Die Unternehmen horten Cash

Bundesbankpräsident Jens Weidmann soll jüngst im Bundeskabinett gewarnt haben; eine Eintrübung der Konjunktur drohe. Auch die Aktienkurse sind trotz Schwankungen weiterhin auf hohem Niveau – obwohl Handelskriege drohen und Strafzölle der deutschen Exportwirtschaft das Leben schwermachen werden. Es ist also, was nicht sein darf: Der Konjunkturmotor brummt, die Unternehmen sind selbstbewusst.

Wenn man auf ein paar sonst kaum beachtete Indikatoren schaut, kann man erkennen warum: Die Unternehmen horten Cash. Sie investieren kaum – aber ihre Konten sind prall gefüllt. Sie schütten immer noch höhere Gewinne an die Aktionäre aus oder kaufen eigene Aktien zurück, was deren Kurse treibt und die Anleger wohlhabender macht – und haben trotzdem weniger Schulden und erhöhen ihr Eigenkapital, was sie weniger krisenanfälliger macht: Die Verschuldungsquote der Unternehmen ist von 32,6 auf 26,7 Prozent gesunken – undenkbar noch vor wenigen Jahren, in denen die Unternehmen sehr viel mehr Kredite zu bedienen hatten.

Seit den frühen 2000er Jahren erzielen die Unternehmen, ohne Berücksichtigung der Finanzwirtschaft, trotz der deutlich gestiegenen Gewinnausschüttungen an die Eigentümer sogar Finanzierungsüberschüsse. Die Unternehmen bilden also mit den erwirtschafteten und einbehaltenen Gewinnen Ersparnisse, so dass sie netto kein Kapital aufnehmen müssen. Diese Finanzierungsüberschüsse blähen sich von Jahr zu Jahr sogar immer weiter auf und liegen inzwischen bei satten 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, analysiert Dennis Horn in einer demnächst bei TE erscheinenden Langzeit-Analyse.

Gewinnausschüttung statt Investitionen

Es sind also goldene Zeiten für Unternehmen. Und genau darin liegt das Risiko: Sie investieren immer weniger. In der Industrie ist dies besonders akut, denn dort ist das reale Nettoanlagevermögen im Zeitraum von 1995 bis 2012 sogar um 1,6 Prozent geschrumpft. Auch in anderen Wirtschaftsbereichen schrumpfen die Investitionen. So investierten die deutschen Kapitalgesellschaften im letzten Jahr zwar insgesamt 358 Milliarden Euro. Nach Abzug der erforderlichen Abschreibungen – also dem Ersatz für veraltete oder verschlissene Anlagen- verblieben lediglich 40 Milliarden als Nettoinvestition. Man kann es böse sagen: Die Kuh gibt noch Milch. Doch die Kälber fehlen; niemand kümmert sich um deren Aufzucht. Das macht wegen der steigenden Kurse die Manager beliebt; neue Investitionsvorhaben sind nur riskant und bringen Ärger mit Bürgerinitativen. Der bequemere Weg schafft kurzzeitig Zufriedenheit, auch bei den Arbeitnehmern, deren Tariflöhne steigen. Nur die Arbeitsplätze veralten langsam. Aber das merkt kaum jemand. Kurzfristig.

Prekäre Dienstleistungsgesellschaft

Denn der Zuwachs an Arbeitsplätzen findet im prekären Bereich statt: Paketboten, Essensausfahrer und andere Jobs an der Grenze zum Mindestlohn. Das sind ehrenwerte Beschäftigungen und helfen manchem Langzeitarbeitslosen oder Migranten beim Einstieg in den Arbeitsmarkt. Aber zum Erhalt des Wohlstands einer alternden Gesellschaft tragen sie wenig bei. Da wäre es besser, mit Rieseninvestionen Maschinen und Anlagen zu bauen, die wenige, aber hochbezahlte Arbeitskräfte erfordern – die dann über Steuern und Sozialabgaben zur Finanzierung der wachsenden Zahl von Rentnern beitragen. Aber gerade dies geschieht nicht. Im Gegenteil. Diese Industriearbeitsplätze mit Stundenlöhnen von 50 € aufwärts, werden tendenziell abgebaut. Selbst der Strom soll zunehmend importiert werden. Und die drohenden Handelskriege werden dazu führen, dass die Automobilindustrie ihre Standorte noch weiter globalisiert. Die Chemieindustrie leidet unter den hohen Strompreisen; die Pharma an der großflächigen Dämonisierung von Gen-Technologie. Der Kauf des Saatgutherstellers Monsanto durch Bayer wird dazu führen, dass weitere Bayer-Bereiche in die USA abwandern, wo die Geschäftsmöglichkeiten liberaler sind. Dass Deutschland reihenweise Großkonzerne verliert wie zuletzt LINDE und neuerdings ThyssenKrupp zur Disposition gestellt wird – wen schert´s? Es läuft doch für Lieferboten mit Rädern. Darin soll ja bekanntlich die Zukunft liegen. Prekäre Dienstleistungsjobs allerdings sind das Merkmal armer Drittweltökonomien.

Letzter Schritt: Kapitalexport

Da die Unternehmen keine zusätzlichen Mittel für Investitionen benötigen, haben die Bezieher der von den Unternehmen ausgeschütteten Gewinne keine Möglichkeit, diese wieder in Unternehmen in Deutschland zu investieren. Die Unternehmen haben schlichtweg keine Verwendung dafür. Durch diesen Investitionsnotstand erreicht der deutsche Kapitalexport seit Jahren kontinuierlich neue Rekordstände. 2017 lag der Kapitalexport bei 262 Milliarden Euro, was einem Anteil von 8 Prozent des BIP entsprach. Auch das ist eine erfreuliche Angelegenheit – breit gestreutes Kapital macht Anlagen sicherer. Wenn es sicher ist und nicht wie in Südeuropa in schlechte Staatspapiere fließt. Aber auch diese Mittel fehlen für inländische Investitionen.

Wirtschaftlich ist es ein Substanzverlust; historische Parallelen drängen sich auf. Manche fühlen sich schon an die DDR unter Erich Honecker erinnert: Um die maulige Bevölkerung ruhig zu stellen, wurde der Konsum erhöht – notwendige Investitionen unterblieben. Das Land brannte aus.

Auch der Staat profitiert – kurzfristig

So weit ist es in Gesamtdeutschland noch nicht. Aber die Bundesregierung suhlt sich im Glück wachsender Steuereinnahmen; denn mit ausgeschütteten Gewinnen wächst das Steueraufkommen. Kurzfristig, sehr kurzfristig. Kurzfristig werden im Rausch der guten Zahlen Rentengeschenke versprochen, die langfristig eine kapitalintensive, innovative Wirtschaft voraussetzen.

Diese Wachstumsstrategie fehlt; da wird über Digitalisierung und Künstliche Intelligenz geredet – und gleichzeitig werden mit Innovations-Verhinderungs-Gesetzen wie der unglückseligen Datenschutzgrundverordnung genau jene Datenströme ausgetrocknet, die die Künstliche Intelligenz als Rohstoff voraussetzt. Kann man machen. Wird wirken – zur Datendrainage. Aber wenn stört das schon?

Die Wirtschaft lebt in der goldenen Abenddämmerung, in der sie Gewinne entnimmt, statt zu investieren, und die Aktionäre, aber auch Arbeitnehmer freuen sich. Es geht uns doch gut, oder?