Tichys Einblick
Laudatio

Henryk M. Broder – ein gnadenloser Polemiker

Henryk M. Broder wurde von der Libertatem-Stiftung mit dem Preis für kritischen Journalismus 2022 ausgezeichnet. Bei der Preisverleihung am 6. Mai 2022 hielt Roland Tichy die Festrede, die wir hier dokumentieren.

IMAGO / Sven Simon

Henryk M. Broder wurde von der Libertatem-Stiftung mit dem Preis für kritischen Journalismus 2022 ausgezeichnet. Bei der Preisverleihung am 6. Mai 2022 hielt Roland Tichy die Festrede, die wir hier dokumentieren.

Lieber Henryk Broder,

normalerweise halte ich gerne Preisreden. Etwas vom Licht des Preisträgers fällt auf den Redner ab. Man erhöht sich selbst am billigsten, indem man Größe lobpreist. Man kann dabei sagen, was man will: Der Geschmeichelte widerspricht nicht.

Heute ist das gefährlich. Henryk Broder ist sicherlich einer der einflussreichsten Journalisten, wobei sich sein Einfluss nicht in Auflage bemisst, sondern in messerscharfen, schmerzhaften Kurzkommentaren mit mörderischer Durchschlagskraft.

Viel ist über den Klimawandel geschrieben worden. Die Kontroverse um die globale Erwärmung nannte Broder im Jahr 2007 „eine Art Feldgottesdienst der Ungläubigen, die sich im Glauben an das Ende der Welt zusammengefunden haben“. – Es ist das Ende der Debatte in einem Satz.

Was aber, wenn er sich über meine Laudatio ärgert? Ist sie zu freundlich, fühlt er sich angeschleimt. Ist sie zu kritisch, wird es noch ärger. In beiden Fällen schreibt er.

„Broders Erfolg bemisst sich in
messerscharfen, schmerzhaften Kurzkommentaren
mit mörderischer Durchschlagskraft“

Es war also mein schwerster Tag, ihn zu fragen: Nehmen Sie den Preis an? Er nimmt ihn an. Damit beginnt schon die erste Hürde: Kann man heute noch Journalistenpreise vergeben?

In Deutschland gibt es 150 Preise im Jahr. Nicht, dass Sie meinen, 150 Preisträger. Lassen Sie mich das am Beispiel eines sich selbst so benennenden deutschen Journalistenpreises darlegen: Der wird für circa 10 Unterthemen vergeben, also Wirtschaft, Wissenschaft, Umwelt usw. Macht schon 10 Preisträger.

Allerdings werden je nach Anfall vier verschiedene Kategorien ausgezeichnet: kleine Tageszeitungen, große Tageszeitungen, elektronische Medien, Internet. Damit sind wir bei 40 Preisträgern.

Es gibt natürlich Gold, Silber, Bronze, also 120 Preisträger. Zusammen mit den Trostpreisen für Nominierte sind wir dann bei 240 „Auszuzeichnenden“, wie es im grausigen Neudeutsch heißt. – Wer will so einen Journalistenpreis, der daherkommt wie ein mittelschwerer Hagelschlag?

Da dies ein üblicher Mechanismus ist, können wir von ungefähr 2000 bis 3000 Preisträgern im Jahr ausgehen. Jeder Zehnte bekommt also einen Preis im Jahr.

Immerhin gibt es Preisgeld. Mittlerweile gibt es eine Journalistenpreis-Industrie. Man schreibt nicht für den Leser, sondern für die diversen Jurys, in denen Kollegen und Preisgeld-Spender sitzen. Tüchtige PR-Agenturen haben die Ausrichtung übernommen. Das Geschäftsmodell „Journalistenpreis“ funktioniert und wird weiter verkauft. Es lohnt sich, für beide Seiten, wie jedes gute Geschäft: Die Journalisten erhalten Preise. Die PR-Agenturen erhalten Journalisten preiswert ins Haus getrieben. Sensoren schicken ihre Agenten, die gratulieren. Journalisten sind dankbar für die Wertschätzung; ihr Herz und ihr Ohr ist offen für jede Einflüsterung. Darum ist der deutsche Journalismus nicht mehr am Leser interessiert. Sondern am Preisgeld, und das bestimmt die Themen.

Sie werden beim Preis der deutschen Hörgeräte-Industrie keinen Preis für einen Beitrag gewinnen, der sich damit auseinandersetzt, wie schön es ist, den ganzen Unsinn nicht mehr zu hören. Und beim Preis der Augenoptiker werden sie keinen Preis für die natürliche Schönheit eines Gesichts ohne Brille erhalten. Ich erwarte dringend einen Journalistenpreis der Maskenhersteller. Oder den deutschen Impfpreis. Wobei: Den braucht es gar nicht. Impfen hat ohnehin beste Presse. Zu Unrecht wird Claas Relotius geschmäht, der den Deutschen Reporterpreis in Mehrfachausgabe praktisch abonniert hatte. Er hat nur zur Perfektion gebracht, was die Preisindustrie braucht: glatte, wohlgefällige Preise für jeden braven Journalisten, der weiß, was man von ihm erwartet.

Heute gibt es nur einen Preis: für Henryk Broder!

Er ist der Meister der kurzen Form. Er schreibt Bücher, Besteller. In „Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken“ plädiert Broder für eine nachdrückliche Verteidigung der Meinungsfreiheit und die einschränkungslose Verurteilung von terroristischen Anschlägen.

Das Dumme an solchen weiten Sichten ist: Wenn man älter wird, wiederholen sich bestimmte Phänomene. Er bezog es auf die mentale Unterwerfung unter den Islam. Heute gibt es wieder viele, die Unterwerfung fordern.

Henryk Broder leidet an solchen Debatten. Er leidet an seinen eigenen Formulierungen, weil sie unerträgliche Wahrheiten beinhalten.

1981 verließ er Deutschland und verlegte für zehn Jahre seinen Wohnsitz nach Israel, um dort zu arbeiten, unter anderem als Autor bei der englischsprachigen Tageszeitung Jerusalem Post. Als Grund für seinen Weggang aus Deutschland nannte er einen Artikel in Emma, in dem das Existenzrecht Israels bestritten wurde.

Die Herausgeberin, Alice Schwarzer, bestreitet heute wieder das Existenzrecht eines kleinen Staates, plädiert mit vielen Intellektuellen erneut Unterwerfung und die Auslieferung der Frauen – mit der Hoffnung, der brutale Sieger werde schon nicht übermäßig gewalttätig sein, sondern nur ein wenig Schändung herbeiführen. Im Fall der Unterwerfung gibt es dann ja auch genügend Frauen für die Besatzungsarmee, die vorher die Männer ermordet oder deportiert hat. Hier dräut sicherlich eine Art „Friedenspreis des Deutschen Journalismus“.

„Broder leidet an seinen eigenen Formulierungen,
weil sie unerträgliche Wahrheiten beinhalten“

Unterwerfung? Kein Existenzrecht für kleine Länder? Es sind Denkmuster, die sich in die Köpfe eingefräst haben und nur eine Art Triggerpunkt brauchen, um wieder einzuklinken in die Wiederholungsschleife – wie das Abendprogramm bei ARD und ZDF mit der 320. Wiederholung eines altbackenen Films.

Das Thema Antisemitismus ist schon biographisch sein großes Thema. Oft anders, als man denkt: Denn Broder spießt es bei den deutschen Linken auf, die sich sonst moralisch weit überlegen darstellen als Kämpfer gegen den Antifaschismus, der sich hinter der nächsten Bushaltestelle verbirgt. Es hat bei dem überzeugten Linken, der seine journalistische Karriere bei Hamburger Linksblättern wie den St. Pauli-Nachrichten begann, einen Ablöseprozess ausgelöst. Das erklärt die Feindschaft, die ihm entgegenschlägt. Er demontiert das Allerscheinheiligste der Linken. Deren Selbstgerechtigkeit widert ihn an.

„Wenn ihr euch fragt, wie das damals passieren konnte:
weil sie damals so waren, wie ihr heute seid.“

Und an anderer, bezeichnender Stelle:

„Bei allem, was wir über den Holocaust wissen: Er hat nicht mit Auschwitz begonnen. Er hat damit begonnen, dass Juden ihre Haustiere abgeben mussten und auf bestimmten Bänken nicht sitzen durften.“

„Jede Katastrophe“, so Broder, fange „klein an“. Dieser Satz stammt aus der Beobachtung, dass nicht-geimpfte Mitglieder der AfD bei Abstimmungen im Deutschen Bundestag ihre Parlamentsbank verlassen und auf den Balkon ausgelagert wurden. Er will sich nicht an den kleinen, scheinbar harmlosen Vorgang gewöhnen, der sich zur Katastrophe auswachsen kann. Er stört sich an der schäumend vorgetragenen Moral der Gutmenschen.

Wir Deutsche sind ja ein Herrenvolk der Moral. Niemand hat einen solchen Moralüberschuss wie wir. Das rührt aus dem Stolz her, wie einzigartig wir mit unserer historischen Schuld umgehen. Die Selbsterniedrigung führt auf glattem Pflaster zur Selbsterhöhung.

Wer eine Kippa trägt, erhält von der Polizei in Berlin den gut gemeinten Rat, diese abzunehmen. Angriffe auf Juden gehören zum Alltag, und werden von der Polizei mit ähnlicher Gleichgültigkeit behandelt wie abgefackelte Autos und mit Messern abgestochene Muslimas, die sich nicht zwangsverheiraten lassen wollen und unsere westliche Modernität für bare Münze nehmen, bis das Messer blitzt. Wir feiern uns  für das Holocaust-Denkmal in Berlin, einer Anhäufung von grauen Betonblöcken, statt uns um die Gegenwart zu kümmern. 

„Die Deutschen sind dermaßen damit beschäftigt,
den letzten Holocaust nachträglich zu verhindern,
dass sie den nächsten billigend in Kauf nehmen.“

„Wir schauen nach hinten, um die Gegenwart
nicht so genau betrachten zu müssen,
denn in der Gegenwart zu handeln, wäre anspruchsvoller,
als sich für die Errichtung eines Betonmonuments selbst zu feiern“

Henryk Broder

In seiner TV-Serie „Entweder Broder – Die Deutschland-Safari“ taucht Broder bei obligaten Veranstaltungen auf – verkleidet als Beton-Block. Doppelt so hoch wie er, in Pappe scheinbar mächtig, nur die Augen schauen heraus. Broder hat auch etwas Komödiantisches. Er sagt in dieser Folge: Er fühle sich für das Kleine zuständig. Das Große überlasse er den anderen.

Das ist natürlich Koketterie; natürlich hat er sich immer dem Großen genähert. Aber er schaut auch beim Kleinen genau hin. Und wehe, es wird als leicht empfunden. Er ist ein gnadenloser Polemiker. – Das mögen wir gar nicht. Das nimmt man übel.

Heute gilt das scharfe Urteil, die Polemik als Hassrede. Als Hetze. Dabei brauchen wir scharfzüngige Bemerkungen; sie sollen sich nicht gegen Schwache richten, aber die Großen müssen sie aushalten. Gegen Machthaber gibt es keine Hetze. Die Maus kann den Elefanten nicht wegen seiner großen Füße beleidigen.

Mit „Hass und Hetze“ immunisieren sich die Mächtigen gegen Kritik. So hat Claudia Roth, heute Kulturstaatsministerin, Frauen verächtlich gemacht, die in der berühmten Silvesternacht in Köln Opfer sexueller Angriffe wurden. Dafür wird Claudia Roth selbstverständlich nicht kritisiert. Aber Broder: Er charakterisiert sie als einen „Doppelzentner fleischgewordene Dummheit, nah am Wasser gebaut und voller Mitgefühl mit sich selbst“. Freundlich ist das nicht. Aber muss man eine „Kulturstaatministerin“ ständig loben, die sich mit ihren Millionenetats sowieso beliebig viele jubelnde „Kulturschaffende“ kaufen kann? Die die Cancel Culture personifiziert, in der sich die Klugen das Denken nicht mehr trauen, weil es die Dummen beleidigen könnte?

„Wir brauchen scharfzüngige Bemerkungen;
sie sollen sich nicht gegen Schwache richten,
aber die Großen müssen sie aushalten“

Gegen diese monströse Ignoranz kann man kaum feinsinnig vorgehen; wer die Anziehungskraft der schieren Masse an Dummheit überwinden will, braucht einen Booster. Aber mittlerweile wird es immer schwerer, die auf die sozialen Netzwerke ausgedehnte staatliche Zensur zu durchdringen.

Es ist bezeichnend, wie die linke Öffentlichkeit darauf reagiert hat, dass Elon Musk auf Twitter wieder freie Meinungsäußerung herstellen will. Freie Meinungsäußerung – das gehe nun wirklich zu weit, viel zu weit. Freie Meinungsäußerung als abweichende Meinungsäußerung ist geradezu unerträglich; frei ist, wer sagt oder schreibt, was frei genannt wird.

Damit sind wir bei der Motivation für diesen neuen Journalistenpreis, der sich der freien Meinungsäußerung verschreibt. Er geht an einen Mann, der die fleischgewordene freie Meinungsäußerung ist – allerdings nicht als Doppelzentner. Aber als scharfzüngiger Beobachter, der sich selbst so wenig schont wie die Angegriffenen.

Wie gut, dass es diesen Preis gibt – für Henryk Broder wieder erfunden.


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