Tichys Einblick

Der stumme Frühling der Energiewende

Zu viel Kultur und Natur - hier fehlen mindestens zwei Windräder und ein Solardach

Eine Polemik gegen die erneuerbare Selbsttäuschung

„Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie….“. Wir alle kennen diese Sätze, vermutlich die schnellstgesprochenen der Fernsehgeschichte.

Zu Risiken und Nebenwirkungen der Energiewende dagegen gibt es niemanden, den man befragen soll. Das ist wohl auch besser so. Denn sonst würde man erschrecken vor dem Ausmaß an ständig erneuerter Selbsttäuschung in einer der wichtigsten ökologischen und ökonomischen Fragen unserer Gesellschaft. Denn keine der vielen Phrasen hält einer auch nur oberflächlichen Prüfung statt.

1. Selbsttäuschung: Weg vom Atom!

Das EEG aus dem Jahre 2.000, verabschiedet von der rot-grünen Regierungsmehrheit, hat zwei Wirkungsmechanismen: Stromerzeugung aus Wind, Wasser, Sonne, Pflanzen wird massiv gefördert; die Erzeuger erhalten staatlich garantierte Preise. Der staatlich garantierte Abnahmepreis  für erneuerbaren Energieformen liegt weit oberhalb des tatsächlichen Marktpreises für Strom; er ist auch so weit überhöht, daß den Windradbetreibern und Solardachbesitzern für 20 Jahre ein satte Rendite staatlich garantiert wird, und zwar für jede so erzeugte Strommenge. Diese hat Vorfahrt in den Netzen: Die Netzbetreiber müssen jede noch so geringe, wie auch jede noch so hohe oder zu hohe Strommenge sofort und unbeschränkt abnehmen. Daher wird jeder anders erzeugter Strom aus den Netzen verdrängt – auch wenn seine Herstellungskosten weit unterhalb des grünen Stroms liegen. Durch diese Preismanipulation und die Vorfahrtsregelung fliegen Kohlekraftwerke, Pumpspeicherkraftwerke, und auch Atomstrom  aus dem Netz. Der Atomausstieg hat diesen Prozess beschleunigt. Durch die Billig-Preise und Vorfahrtsregelung wäre aber auch das Ende der Kernkraftwerke ganz ohne Atomausstieg besiegelt.

Wer also das EEG ablehnt, ist deshalb kein Atomfreund – sondern lediglich jemand, der auf Risiken und Nebenwirkungen eines Gesetzes hinweist, das gleichermaßen unökologisch wie unökonomisch wirkt: Eine seltsame Meisterleistung.

2. Selbsttäuschung: Weg mit der Braunkohle!

Die Grünen in Sachsen fordern heute den Braunkohleausstieg. Nun gilt die Braunkohle  zu Recht als eine besonders fragwürdige Form der Energieerzeugung; riesige Landschaftsflächen werden vernichtet; der CO2-Ausstoß ist der höchste aller bekannten Formen der Energieerzeugung. So weit, so gut. Aber dass die Braunkohle heute 40 Prozent unseres Stroms erzeugt, ist die unmittelbare Folge des EEGs.  Dass Deutschland die Klimaziele nicht einhalten kann, weil durch die Braunkohleverbrennug extrem viel CO2 entsteht, ist eine weitere Folge. Denn nur die billige Braunkohle kann gegen den grünen Subventionsstrom und seine Vorfahrt noch mithalten. Die Zunahme der Braunkohleverstromung ist eine direkte Konsequenz der perversen Logik, die das EEG vorschreibt. Die Grünen wollen jetzt den Teufel Braunkohle  austreiben, den sie selbst in die Welt gesetzt haben. Das ist eine Art erneuerbare Politik. Sie schafft erst die Probleme, um sich bei deren Lösung zu profilieren.

Übrigens: Ohne die Braunkohle würden die Strompreise noch schneller steigen  – und damit die sozialen Belastungen gerade der weniger wohlhabenden Menschen in diesem Land. Aber vielleicht ist auch das gewollt? Dann kann man mit kullernden grünen Krokodilstränen neue Sozialleistungen für die Armen und höhere Steuern für die Reichen fordern. Die Zahlen geben einem Recht. Auch wenn man selbst der Verursacher des Debakels ist.

3. Selbsttäuschung: Hurra, wir schaffen die Wende!

Nun ist nichts gegen Wind aus erneuerbaren Quellen vorzubringen. Wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Deshalb haben diese Energiequellen enorme Wachstumsraten – in Regionen, in denen der Wind einigermaßen kontinuierlich weht (etwa vor der Küste Großbritanniens) oder die Sonne tags ohne Wolken scheint (Ende im Süden der USA). Beides ist in Deutschland dummerweise nicht der Fall. Die Folgen sind ein grüner Zappelstrom. An dieser Stelle meint es die Natur nicht besonders gut mit uns. Flaute und Regen sind wieder unsere Feinde, so, wie in Zeiten von Jägern, Sammlern und Bauern. Wir stehen mit beiden Beinen in einer hochkomplexen, stromhungrigen Gesellschaft – aber unser Kopf ist mit romantischen Wolken umnebelt. Eine Sonnenfinsternis, vor der sich primitive Gesellschaften fürchteten, weil sie dies als ein Zeichen für die kommende Strafe Gottes hielten, so ein Naturereignis könnte in Deutschland den Black-Out verursachen, vermutete kürzlich DER SPIEGEL.

Oder ist es genau anders herum? Demnächst werden die durch erneuerbare Energien künstlich aufgeblähten Strompreise sinken. Warum? Dieser Sommer war so regnerisch, dass die Sonnenstromerzeugung fiel. Sinkende Solarstromerzeugung ist aber ein Gottesgeschenk, weil damit auch die Subventionen für die Solarbauern fallen. Dann sinken die Strompreise, weil billigere Erzeugerformen ins Netz können. Übrigens:  In den ersten 8 Monaten haben die Solarbonzen 14,7 Milliarden erhalten für einen Strom, der einen Marktpreis von nur 1,2 Milliarden hatte, also ein Bargeschenk von 13,5 Milliarden €. Freuen wir uns, wenn der Regen kommt. Das spart uns Milliarden.

Denn wir sind auf dem Weg zurück zur Naturgesellschaft intellektueller Nudisten.

4. Selbsttäuschung: Juhuu! Wir sind autark!

Immer wieder sind tolle Reportagen zu hören, zu lesen oder zu sehen in denen es ein Dorf geschafft hat, nur vom eigenen Grünstrom zu leben. Die Rechnung stimmt immer. Nur das Kleingedruckte enttarnt die Täuschung.

Alle diese Dörfer hängen am Ende natürlich weiter am Stromnetz, an dessen Anfang ein Atommeiler, ein Braunkohle- oder Steinkohlekraftwerk steht. Keiner dieser selbsternannten Öko-Communities hat sich abgeklemmt. Die Rechnung mit dem selbsterzeugte Strom stimmt eben immer nur im Durchschnitt. Meist auf ein Jahr gerechnet. Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, geht das Licht trotzdem nicht aus. Was hier bejubelt wird, ist nur die unmoralische Trittbrettfahrerei: Ich kassiere Subventionen für Grünstrom aber verwende faktisch auch jede Menge herkömmlichen Strom. Zur Sicherheit.

Abgesehen davon: Nun ja, es sind Bauerndörfer, in denen die Melkmaschine des letzten Bauern der höchste Energieverbraucher ist und deren Bewohner mit dem Auto weite Wege in die Stadt zur Arbeit pendeln, wo sie an ihren Arbeitsplätzen herkömmlichen Strom in Rauen Mengen verbrauchen: Ist das die Zukunft? Leben wir nicht mehrheitlich in Städten, in denen für Windemaschinen einfach kein Platz ist? Allerdings sind diese Energie-Autonomen die größten Windemaschinen für´s Abkassieren der höchsten Subventionen in der Geschichte der Menschheit.

5. Selbsttäuschung: Wir retten die Natur und Kultur

Die Öko-Bilanz der Energiewende ist verheerend. Der CO2-Ausstoß steigt. Die letzten Naturräume werden mit heulenden Windmonstern vernichtet, für deren Bau die Wälder geschlagen und die Höhenzüge verschandelt werden. Bayerns Dörfer sind zu loben. Sie haben vielfach die Barockkirche im Dorf gelassen. Jetzt wird sie umstellt mit grellen Solaranlagen auf jedem Bauernhofdach. Das steinerne Gesicht unserer Städte verschwindet unter draufgepapptem Styropor. 70 % der ostbayerischen Feldfläche ist mit Mais für die Biovergasungsanlagen bepflanzt. Es sind großflächige Monokulturen, die mit hohem Energieaufwand, mit Pestiziden und Herbiziden angelegt werden und gegen die wir seit Rachel Carsons monumentalem Werk von 1962 „Der Stumme Frühling“ ankämpfen.

Über diesen Plantagen des Wahns und der Vernichtung  singt kein Vogel mehr und summt kein Insekt. Essen wandert nicht in den Tank, aber in die Vergasungsanlage, während der Welthunger steigt. Für Stromtrassen schlagen wir gewaltige Schneisen durch die letzten Naturräume; der Frage, wie Hochspannungsleitungen von über 1 Mio. Volt auf die Gesundheit wirken, gehen wir sicherheitshalber nicht mehr nach. Das Ergebnis könnte gefährlich sein. Die Energiewende ist für Natur, Land und Stadt zur größtmöglichen Zerstörung geworden.

6. Selbsttäuschung: Wir zerschlagen die Stromkonzerne

Es ist der Traum vom Bürgerstrom, von Bürgergenossenschaften, vom selbsterzeugten Strom kleiner Gemeinschaften. Und vom Zerschlagen der Großkonzerne. Dummerweise zerschlagen wir gerade unsere Kommunen. Sie leider unter der Energiewende am meisten. Mindestens 2,5 Milliarden Euro müssen die Ruhrgebietskommunen abschreiben, weil sie die Hauptaktionäre des RWE sind. Viele Städte trifft es verheerend. Duisburg will sogar die Straßenbahn stillegen. Die Dividendenausfälle belaufen sich auf über 200 Mio. €.  Selbst wohlhabende Städte wie Frankfurt und Ulm geraten in die Finanzklemme, weil ihre Stadtwerke Geld verlieren, das den Bürgern zufließen sollte. Die letzten Hallenbäder müssen vielerorts  geschlossen werden. Manche Städte trifft es doppelt und dreifach, weil sie auch noch eigene Kraftwerke besitzen, oder weil die übergeordneten Kommunalverbände ebenfalls getroffen sind. In Baden-Württemberg ist es nicht weniger verheerend. Die Zahlen sind vergleichbar – um mindestens 2 Milliarden € sinkt der Wert der EnBW, zieht sich das Unternehmen als Zahler zurück.

An der kleinen Stadt Albstadt mit 18.000 Haushalten wird das deutlich: Bis Juli konnten  über 1.000 Haushalte ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen – früher ein unbekannter Vorgang. Die EnBW halbiert die Dividendenzahlung von 4 auf 2 Millionen, für eine kleine Stadt eine schwere Belastung, rechnet Bürgermeister Jürgen Gneveckow vor. Noch könne man die Belastung in der wirtschaftliche starken Lage noch bewältigen. „Aber eigentlich müßten die Kommunen in NRW die Sstromrevolution gegen das EEG ausrufen“. 12 Millionen verliert die Region wegen der Ausgleichszahlung an die Solarbonzen.

Wir zerschlagen nicht die bösen Konzerne. Die Energiewende zerstört lokale Infrastruktur und Gemeinwesen.Der Zwist um Windräder, an denen einige Wenige fett verdienen und die die anderen erdulden zerstört die Gemeinwesen.

7. Selbsttäuschung: Wir schaffen ein grünes Job-Wunder

Wie oft wurde darüber geschrieben – doch die Realität sieht anders aus. Mindestens 240.000 Jobs in der Industrie Nordrhein-Westfalens sieht Garrelt Duin, immerhin Minister im rotgrünen Landeskabinetts von NRW, gefährdet. Die Energiewende ist ein monströses Umverteilungsinstrument von unten nach oben. Unten, das sind die, die in den Mietwohnungen der Ballungsräume wohnen. An direkten und indirekten Stromsubventionen zahlt eine 4-köpfige Familie schätzungsweise bis zu 1.000 € im Jahr an die grüne Schickeria, die unterm Solardach wohnt oder sich rechtzeitig am Windrad beteiligt hat. Das Solardach ist chic, es sichert Profite auf Jahrzehnte, und es belastet Mensch und Natur.

Die Bundeskanzlerin hat es längst ausgesprochen: Gegen die vielen Millionen Gewinner dieser Sorte Gutmensch ist keine Reform mehr möglich. Zu schwer wiegen die Wählerstimmen der grünen Profiteure; die anderen haben kein Gehör. Es ist die giftige Wirkung dieser Umverteilung, die unsere Gesellschaft zerstört. Umweltverbände erhalten Anteile, Ausgleichszahlungen, Jobs fürs Schweigen. Misstrauen zersetzt aber jede Gesellschaft. Und längst wurde die Gesellschaft in einer unglaublichen Art und Weise korrumpiert. Es geht um Milliarden, die umverteilt werden. Nicht um Energie, Umwelt, oder sonst irgendein gemeinsames Ziel.