Tichys Einblick
Auf ein letztes Glas

Corona: Wann werden wir uns wiedersehen?

Die letzten Tage vor dem Lockdown sind von einer Mischung aus Trotz, Resignation und Sentimentalität geprägt: Wie überleben wir Hilflosigkeit und erkennbar unsinnige Vorschriften?

imago images / Thomas Vonier

Am Ende unseres Clubabends haben wir länger zusammengesessen als gewöhnlich und noch ein paar Rotweinflaschen extra bestellt beim Wirt. Ob wir uns überhaupt noch einmal wiedersehen beim Franz? Kann der Wirt den zweiten Lockdown wirtschaftlich überleben? Abschied auf Dauer und seltsame Ungewissheit hängen in der Luft wie früher Zigarettenqualm, obwohl es nur vier Wochen sein sollen. Aber in vier Wochen kann viel passieren.
Da war doch diese Liedzeile von Reinhard May:
„Gute Nacht Freunde, es wird Zeit für mich zu gehn. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Stehn“.

In vier Wochen wird nichts vorbei sein und doch alles anders

Der erste Lockdown hat uns überrascht und man konnte hoffen: In vier Wochen ist alles vorbei. Aber es war gar nichts vorbei, es war nur Pause und Sommer. Und in nochmal vier Wochen wird auch nichts vorbei und ein Impfstoff immer noch nicht da sein. Warum also noch mal teure Hygienemaßnahmen finanzieren und sich gegen eine Entwicklung stemmen, die in der Kombination von Virus und alles verschlimmernder Regierung doch unweigerlich zum Absturz führt? Eine seltsame Melancholie erfasst viele Zeitgenossen, in den letzten Tagen sind noch einmal die Kneipen voll und die Gläser schnell geleert. Nicht das Sofort! und Jederzeit! steigert den Genuss, sondern das Wissen um erzwungenen Verzicht: War doch insgesamt ein schöner Sommer gewesen, man hatte nachgeholt auf den Plätzen und den mit Tischen und Stühlen vollgestellten Straßen, was im Frühjahr nicht erlaubt war. Wir hatten Freilauf. Wie Hühner, die abends in den Stall müssen. Darauf einen Korn wäre zu billig. Denn die neue Lage ist ernst.
Das neue Normal der Kanzlerin sieht so aus: Ein paar Wochen Arbeit und Geschäft im Frühsommer bis Spätherbst, damit der Urlaub gesichert ist und dann Pause. Das mag ja gut gehen, für alle im öffentlichen Dienst mit Corona-Prämie und fetter Gehaltszulage. Die anderen bereiten sich auf die Warteschlange für Hartz IV vor. Es sind ja nicht nur die Wirte.

Oper, Kino, Fitness, Theater, alles nur ein Bordell?

»Der Volksgesundheit geht es vor allem durch die Virokratie an den Kragen. Schon dadurch, dass Amateursport de facto verboten ist. Tausende Existenzen werden zerschlagen. Die ganze Willkür wird deutlich, wenn Merkel Kultur als „Unterhaltung“ abtut, in einem Atemzug mit Puffs und Clubs. Obwohl sich kaum jemand in einem Theater- oder Konzertsaal angesteckt haben dürfte. Von den weltweit einzigartigen blühenden Landschaften der klassischen Musik wird nur eine Brache übrig bleiben«, ahnt Wolfgang Herles. Es ist also doch für viele ein Abschied für immer. Optimisten glauben, dass Ruinenschutt der beste Nährboden für Neues ist. Was also wächst aus den zerstörten Existenzen, den leerstehenden Geschäften, den flächendeckend vernichteten Arbeitsplätzen? Wir wissen es nicht. Jetzt geht es darum, Abschied zu nehmen von der Innenstadt, wie wir sie kennen, von vielen uns vertrauten Orten, Gaststätten, Künstlern, Veranstaltungen, von Sport und Fitness. Klar verspricht Wirtschaftsminister Peter Altmaier Unterstützung. Wenn sie ankommt, besteht sie aus frisch gedrucktem Geld. Deutschland ist bereits seit dem Lockdown im Frühjahr hochverschuldet und noch höhere Verpflichtungen für die EU eingegangen. Aber wird die Geldschwemme Neues in die jetzt sterbenden Branchen bringen? Oder wird mit immer mehr Geld ohne Gegenwert nicht nur der Abschied von dem Geld vorbereitet, wie wir es kennen?

Ich bin vorerst einer der Gewinner

Der Wirt von nebenan hat mir seinen Heizpilz geschenkt. Er hat fast geweint, als er sagte: „War umsonst, brauche ich jetzt auch nicht mehr“. Laden zu, Wirtschaft pleite, Mensch ruiniert. Wohl nur kurze Zeit wird er auf meinem Balkon stehen, ich rede vom Heizpilz. Ich fürchte, bald wird mich ein Nachbar verpfeifen, Wärme ist doch nicht gut fürs Klima. Die Krise bringt das Gute in den Menschen zum klingen. Aber die Politik setzt auf Bespitzeln und fördert die Fiesen. Wie bei zu lauten Festen sollen zukünftig Nachbarn die Nachbarn verpfeifen, wenn sich zu viele Familienmitglieder um den Weihnachtsbaum versammeln. Karl Lauterbach will jede Wohnungstür aufbrechen lassen, hinter der mehr Leute als gerade erlaubt gemeinsam feiern oder bloß um den Tisch sitzen. Der Spitzel ist wieder da, die Firma Horch & Guck hat garantiert Zukunft, der Bundesverfassungsschutz sucht Zuträger in Teilzeit und die Stadt Essen bittet per App zum Verpfeifen und zur Denunziation. So schnell geht das. Man kann zuschauen, wie Recht und Moral verfallen, ein Glas reicht, um das zu beobachten.

Corona ist die Zeit großer Worte und dummer Taten

In der Politik gilt seit jeher ein ehernes Gesetz: Je dümmer die Taten, um so größer die Worte; letztere gerne als Keulen, um Kritiker niederzuschlagen.
Dieses Gesetz ist jetzt wieder zu beobachten. Plötzlich hört man aus allen Ecken und Ende irgendwas von „Patriotismus“ und „nationalem Notstand“. Nation? Patrioten? Sind das diejenigen, die schon länger hier leben, innig vereint mit denen, die zufällig gerade da sind? Dabei sind sie doch mit Tempo dabei, die Reste der Nation schnell unter die Erde zu bringen wie bei einer Corona-Beerdigung ohne Trauergäste. Ich bin gespannt, wann die Kanzlerin die Deutschland-Fahne wieder aus der Ecke hervorholt, um an die Nation zu appellieren, sich eine Maske umzuschnallen, in schwarz-rot-gold. Und natürlich muss in der Stunde der nationalen Notlage jeder seine bürgerlichen Rechte an der Garderobe abgeben, so wie der Deutsche Bundestag seine Rechten und Pflichten am Haken des Kanzleramts hingehängt hat und in seiner großen Mehrheit beflissen applaudiert. Es ist ja auch die Stunde der Exekutive und endlich macht Horst Seehofer ernst, schreibt BILD:
„Horst Seehofer macht Ernst. Der Innenminister will Tausende Bundespolizisten im Kampf gegen das Coronavirus mobilisieren“. Nichts hat bisher Seehofer auf die Reihe gebracht etwa in Sachen illegale Einwanderung. Aber auf die Bürger losgehen, dafür hat er Beamte. Tausende.

Ist Corona eine Krankheit, die das Denkvermögen angreift? Und das schon im Vorfeld einer tatsächlichen Infizierung oder Erkrankung? Auf diesen Gedanken könnte man kommen, wenn man politische Aktionen verfolgt, die man noch vor zwei Wochen als Irrwitz oder schlechte Satire, gewissermaßen als G-Punkt einfallsloser Politiker verstanden hätte. Die CDU in Baden-Württemberg will Hilfspolizisten mit scharfer Waffe auf die Bevölkerung loslassen. Unser Autor Steffen Meltzer wundert sich, warum statt jahrelanger Ausbildung plötzlich ein Schnellkurs in Sachen Entsicherung einer Waffe ausreichen soll. Will man das Virus jetzt mit Pistolenkugeln erlegen, jedes einzeln?
Dabei gäbe es Alternativen. Wissenschaftler und Ärzteverbände haben ein Alternativpapier zum Lockdown vorgelegt. Die Politik hat es auf die Seite gewischt. Jetzt werden sogar die jeweiligen Vertreter der Verbände unter Druck gesetzt. Die ersten kippen schon um. Deutschland kennt keine unterschiedlichen Meinungen mehr, nur noch das Virus.
Auf den Straßen, in den Bars, vor den Kneipen: alles voll. Viele zu sehn.
Alle trinken noch schnell ein letztes Glas im Stehn.

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