Tichys Einblick
Parteienfinanzierung

Der AfD das Geld abzuschneiden ist nicht so einfach

Großer Jubel nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach der NPD für 6 Jahre die staatliche Finanzierung entzogen wird. Jetzt will man die AfD drankriegen. Aber ein Parteienverbot "light" gibt es nicht und würde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen und Deutschland blamieren.

IMAGO

Die verfassungsfeindliche Partei NPD/Die Heimat darf nicht mehr staatlich finanziert werden, entschied das Bundesverfassungsgericht. Inwiefern ist das Urteil auf sie übertragbar?

Der Generalsekretär der FDP, Bijan Djir-Sarai, sieht in der Entscheidung durchaus ein mögliches Vorbild. „Verfassungsfeinde dürfen keine staatliche Finanzierung erhalten, das ist ganz klar“, sagte Djir-Sarai t-online. „In dem Sinne könnte das Urteil auch eine Blaupause für andere verfassungsfeindliche Parteien in diesem Land sein. Das würde ich begrüßen.“ Das Urteil unterstreiche, dass die Demokratie wehrhaft sei, sagte Djir-Sarai.

SPD-Generalssekretär Kevin Kühnert nannte das Urteil eine „Genugtuung für die große demokratische Mehrheit im Land“. Und es sei „das beste Sparprogramm für unseren Haushalt, das wir je hatten.“ Nun sei klar, dass mit dem Geld der Steuerzahler keine Parteien sowie deren Anhänger aufgepäppelt werden müssten, deren Bestrebungen „beweisfest gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet“ seien. Die CDU sieht die Bundesregierung in der Pflicht, jetzt zu handeln und der AfD in die Kasse zu greifen.

AfD-Verbot: Es gibt kein Parteienverbot „light“

Aber so einfach wird es nicht sein. „Denn die rechtlichen Hürden sind kaum niedriger als beim Parteienverbot“, sagt der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau. Und das ist aus demokratischer Sicht gut so: Auch wenn es heutzutage nicht populär ist – die Wahlen werden an der Urne entschieden, nicht im Gerichtssaal. Eine Demokratie mit Einheitspartei oder Einheitsfront der Parteien ist keine. Eine Parteienverbot oder der Versuch, eine mißliebige Organisation finanziell auszutrocknen, kann nur das allerletzte Mittel sein – auch wenn nach dem Urteil durch die halbamtlichen Medien geistert, das Finanzierungsverbot als kleinere Variante des Parteienverbots sei viel schneller und einfacher zu haben, um die AfD zu erledigen.

Der Grund liegt in der Lex NPD, die seit 2017 mit der juristischen Laubsäge geschaffen wurde, um sich dieser Partei zu entledigen. Im Verbotsverfahren damals wurde zwar die Verfassungsfeindlichkeit der NPD festgestellt, aber für ein Verbot braucht es mehr: die Partei muss auch mächtig genug erscheinen, um die Verfassung tatsächlich zu zerstören. Von der NPD, deren Spitze von Spitzeln des Verfassungsschutzes durchsetzt war, überschuldet und von nur 5.000 Mitgliedern getragen wurde, konnte nun ernsthaft keine Gefahr ausgehen. Ein Verbot, so argumentiert Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau, hätte damit gegen elementares Recht verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht musste fürchten, seinerseits vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu landen und für sein NPD-Verbot gerügt zu werden. „Diese Blamage wollte man unbedingt vermeiden“.

Das Bundesverfassungsgericht habe daraufhin ohnehin fragwürdig reagiert, so Vosgerau weiter: es empfahl dem Bundestag ein maßgeschneidertes Gesetz, um der NPD wenigstens staatliche Gelder zu entziehen. Fragwürdig ist der Vorgang, weil es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, auf die Einhaltung der Grundrechte zu achten, nicht aber, dem Gesetzgeber Vorschläge zu machen, wie man mit einem politischen Gegner fertig wird. Die Möglichkeit, nicht verbotene Parteien von der staatlichen Finanzierung auszuschließen, hatte der Gesetzgeber nach dem zweiten erfolglosen NPD-Verbotsverfahren 2017 nach den Richtlinien des Bundesverfassungsgerichts geschaffen.

Fragwürdiger Rat des  Bundesverfassungsgerichts

Aber jetzt stolpern die Karlsruher Richter über ihre eigens formuliertes Paragraphenwerk, das das Einschreiten internationaler Beobachter vermeiden sollte. Das Finanzierungsverbot ist daran geknüpft, dass vorher die Verfassungsfeindlichkeit festgestellt wird. Um also der AfD die Gelder zu kappen, müsste deren verfassungsfeindlichen Absichten gegeben sein – wie beim klassischen Verbotsverfahren. Es wird also nicht einfacher, und simpler. Es gibt kein Parteienverbot „light“, auf das auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hofft.

Und hier kommt die zweite Verbots-Voraussetzung ins Spiel: Die Fähigkeit der Partei, den Staat verfassungsfeindlich zu ändern. Anders als die winzige NPD ist die AfD eine starke Partei; im vergangenen Jahr ist ihre Mitgliederzahl um über 30 Prozent auf mehr als 40.000 gestiegen. In einigen Bundesländern wie Sachsen und Thüringen könnte sie die Mehrheit der Parlamentssitze erlangen, wenn der Niedergang von SPD und FDP sich in dieser Form fortsetzen. Im Bundestag ist sie nach derzeitigem Umfragestand zweitstärkste Partei. Das notwendige Potential für verfassungsfeindliche Maßnahmen also hätte die AfD durchaus – aber will sie wirklich die Verfassung umstürzen? Hier beißt sich die Karlsruher Katze in den Schwanz. Kommt das Bundesverfassungsgericht zum Schluss, dass die AfD nicht verfassungsfeindliche Absichten hat, kann sie weder verboten, noch ihr wie der NPD das Geld abgeschnitten werden. Ist sie, anders als die NPD, nicht verfassungsfeindlich, kann ihr auch nicht die Finanzierung abgeschnitten werden. Denn das Recht lebt vom binären Prinzip: legal oder illegal. Wird die AfD als legal beurteilt, darf sie nicht diskriminiert werden und hat Anspruch auf Gleichbehandlung, sprich: Wahlkampfkostenerstattung. „Ein wenig illegal“, wie die anderen Parteien hoffen, gibt es nicht, so Vosgerau. Das Recht verlangt ganz oder gar nicht, Top oder Flop, aber nicht ein bisschen Flop.

Wie demokratisch ist Deutschland?

Und das Bundesverfassungsgericht schielt wieder auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, getragen von allen 46 Mitglieder des Europarats. Der Jurisdiktion des Gerichts in Straßburg haben sich mit Ausnahme von Belarus, Russland und dem Vatikanstaat sämtliche international anerkannten europäischen Staaten einschließlich der Türkei, Zyperns und der drei Kaukasusrepubliken Armenien, Aserbaidschan und Georgien unterstellt. Für Deutschland wäre es schon eine Blamage ersten Ranges, würde es für das Verbot einer Oppositionspartei verklagt werden – die Blamage einer Verurteilung ist unvorstellbar.

Das Demokratieprinzip jedenfalls kann nicht so einfach ausgehebelt werden, wie das in der derzeitigen deutschen Debatte spekuliert wird. Dass der vom Innenminister weisungsabhängige Inlandsgeheimdienst eine Partei öffentlich als „gesichert verfassungsfeindlich“ einschätzen darf und daraus eine Begrenzung ihrer Rechte abgeleitet wird, passt jedenfalls nicht in die Abteilung Menschenrechte, sondern gehört eher in das Fach Autokratie.

Weil also erst die Verfassungsfeindlichkeit festgestellt werden müsste „dauert das Verfahren mindestens zwei Jahre“, prognostiziert Vosgerau. Dann sind die kommenden Landtags- und Bundestagswahlen gelaufen – mit einem Ausgang, der für SPD, FDP und Grüne derzeit wenig Gutes verheisst. Aber auch mit dem Verbot einer Konkurrenzpartei würde sich die verzweifelte Lage dieser Parteien, ihrem aktuellen Kurs und Programm folgend, nicht mehr verbessern lassen.

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