Tichys Einblick
Die Ampelregierung schwächelt

Zur politischen Stimmung in Deutschland im ziemlich kühlen Frühling 2023

In der Bevölkerung mehren sich offenbar die Zweifel, dass die führenden Politiker aller Parteien den Herausforderungen der Zeit gerecht werden. Dennoch ist die große Mehrheit in allen Parteilagern überzeugt, dass die Bundesregierung bis 2025 bestehen bleiben wird.

IMAGO / photothek

Die politischen Herausforderungen dieser Zeit sind vielfältig und anspruchsvoll. Der russische Krieg gegen die Ukraine mit all seinen Folgen wie der Verteuerung von Gas und Strom, den Kosten für die Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge hier im Land, die militärischen und zivilen Hilfen für die Regierung in Kiew in der Größenordnung von vielen Milliarden Euro, haben in der öffentlichen Wahrnehmung tiefe Eindrücke hinterlassen.

Ein nicht nachlassender Zustrom von Asylsuchenden belastet die für die Unterbringung zuständige kommunale Ebene massiv. Die Forderungen der Kommunen nach dem Ersatz der flüchtlingsbezogenen Kosten versucht die Bundesregierung mit ergebnislos bleibenden Gipfeltreffen zu beruhigen. Hohe Inflation und darüber hinaus noch stärker gestiegene Preise für Lebensmittel belasten die Bevölkerung ebenso wie die Verknappung und Verteuerung von Wohnraum. Für die Forderungen nach Lohnerhöhungen in der Größenordnung der Inflation gibt es in der Bevölkerung viel Verständnis. Gleiches gilt für die Bereitschaft diese Forderungen durch harte Arbeitskämpfen durchzusetzen.

Wie kommt die Ampelkoalition aus der Sicht der Bevölkerung mit den doch ziemlich außergewöhnlichen Herausforderungen dieser Zeit zurecht?

Die jüngsten Wahlumfragen renommierter Institute wie dem „Institut für Demoskopie Allensbach“, der „Forschungsgruppe Wahlen e.V.“ sowie von „infratest dimap“ zeigen bei der Sonntagsfrage ein weitgehend übereinstimmendes Bild: Die SPD kommt auf Werte zwischen 17% und 20% und damit auf deutlich weniger als bei der Bundestagswahl von 2021 mit 25,7%; damals war sie stärkste Partei geworden. Die Umfragewerte der Grünen sind in den letzten Monaten zurückgegangen, sind aber mit 15% bis 18% immer noch besser als das Bundestagsergebnis von 14,8%.
Der dritte Ampelpartner, die FDP, die bei der Bundestagswahl mit 11,5% ein für die Partei relativ gutes Ergebnis erreicht hatte, liegt in den Umfragen jetzt deutlich schwächer bei 6% bis 8%. Es liegt nahe, dass Wähler, welche bei der Bundestagswahl in der Erwartung für die FDP stimmten, sie an der Seite der Unionsparteien zu sehen, ihr nun die Teilnahme an der Ampelkoalition verübeln. Wie dem auch sei: Eine Mehrheit hätte die Ampelregierung zur Zeit nicht.

Die Bevölkerung ist mit der Ampelregierung erkennbar unzufrieden: Im jüngsten Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen sagen 51%, die Bundesregierung mache ihre Arbeit alles in allem gesehen eher schlecht. Das gilt besonders aus der Perspektive der FDP-Anhänger, von denen 55% dieser Meinung sind. Dass so viele Befragte die Arbeit der Bundesregierung eher schlecht beurteilen, ist ungewöhnlich. Normalerweise wird jede Bundesregierung bei dieser Frage auch von einigen Anhängern der jeweiligen Oppositionsparteien positiv beurteilt. So sagen jetzt immerhin ein Drittel der Unionsanhänger, die Ampelregierung mache ihre Arbeit eher gut. Dass dann dennoch insgesamt die Regierung überwiegend schlecht beurteilt wird, liegt an der kritischen Haltung der eigenen Anhänger.

Parteien, die in unserer Mediengesellschaft Wechselwähler gewinnen wollen, um mehrheitsfähig zu werden, müssen in den entsprechenden Medienformaten mit ihrem Spitzenpersonal gute Bilder schaffen und interessante Geschichten erzählen. Nur Spitzenpolitiker, die authentisch für ihre Themen stehen und dabei auch unterhaltsam sind, kommen dafür infrage. Und nur solche Politiker haben auch eine Chance, Wähler, die nicht auf eine Partei festgelegt sind, davon zu überzeugen, dass ihre wichtigsten Anliegen in ihrem Sinne politisch behandelt werden. Die Sympathiebeurteilung der 10 wichtigsten Politiker (Skala von +5 bis -5) im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen gibt anschauliche Hinweise, welche Politiker überzeugend wirken.

Bundeskanzler Scholz wird durchaus kritisch gesehen. Zwar meinen 50% er mache seine Arbeit alles in allem gesehen eher gut, das meinen immerhin auch 44% der Unionsanhänger, gleichzeitig findet ihn aber ein deutliche Mehrheit in allen Parteilagern zu zögerlich und 61% sagen, er setze sich bei wichtigen politischen Fragen nicht durch.
Auch sein Sympathiewert auf der erwähnten Skala liegt nur bei +0,1. Selbst die Anhänger des Ampelpartners FDP geben Olaf Scholz mit -0,2 einen schlechteren Wert als die Anhänger der oppositionellen CDU/CSU mit +0,1. Lediglich von den eigenen Anhängern wird Scholz mit 2,7 einigermaßen gut beurteilt, genauso wird auch Boris Pistorius von den SPD-Anhängern eingestuft. Von der SPD wurden außer Olaf Scholz und Boris Pistorius noch Karl Lauterbach (-0,3) und Nancy Faeser (-0,6) genannt, die beide negative Gesamtwerte erhielten und in den verschiedenen Parteilagern, auch in den eigenen Reihen, eher schwach beurteilt werden.

Für die Einordnung der Sympathiewerte ist ein Vergleich mit den Werten der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel nützlich. Von den Anhängern der Unionsparteien erhielt Merkel normalerweise Werte zwischen 3,5 und 4,0. Da Merkel aus allen politischen Lagern mit Ausnahme der AfD positive Sympathiewerte erhielt, war ihr Gesamtwert meist zwischen 1,6 und 2,2 oder darüber.

Vor einem Jahr lag Scholz auf der Sympathieskala mit einem Wert von 1,8 knapp hinter Habeck, von den SPD-Wählern erhielt er einen Spitzenwert von 3,6 und die SPD lag bei der Sonntagsfrage mit 27% vor der CDU/CSU mit 24%. Daher ist Pistorius, der in allen Parteilagern positiv beurteilt wird und mit einem guten Gesamtwert von 1,7 mit großem Abstand an der Spitze liegt, nun der einzige personelle Lichtblick der SPD.

Politiker, die von den Anhängern ihrer Partei schwach beurteilt werden und von den anderen Wählern noch schlechter eingeschätzt werden, werden wechselbereite Wähler nicht binden und auch nicht gewinnen können. Insofern entsprechen die schlechten Umfragewerte der SPD den schwachen Noten, die das Spitzenpersonal (Ausnahme Pistorius!) dieser Partei erhält.

Von den Grünen sind Annalena Baerbock (+0,1) und Robert Habeck (-0,2) unter den Top 10 vertreten. Vor einem Jahr führte Habeck (+1,9) die Sympathieskala an, Baerbock kam mit 1,5 auf Platz 3 und beide wurden damals in allen Parteilagern, mit Ausnahme dem der AfD, positiv bewertet. Die Grünen kamen damals bei der Sonntagsfrage auf 19%. Auffällig ist, dass nun die Anhänger des Koalitionspartners FDP sowohl Baerbock (-1,0) wie auch Habeck (-0,9) stark ablehnen.

Dennoch haben den Grünen der Absturz von Robert Habeck bei den Sympathiebeurteilungen und die Vorwürfe der Vetternwirtschaft in seinem Ministerium bei der Sonntagsfrage bisher nur wenig geschadet. Noch immer sind ihre Werte besser als ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl. Auch bei der kürzlich nachgeholten Bürgerschaftswahl in Berlin, hat die Partei, trotz heftiger Kritik an der Politik ihrer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, kaum Stimmenanteile verloren. Offensichtlich sind die meisten Anhänger der Grünen so stark von den politischen Zielen ihrer Partei überzeugt, dass alle Kritik an Vorhaben oder Personen an ihnen abprallt.

Christian Lindner (-0,3) ist stets der einzige von der FDP, der in die Liga der 10 wichtigsten Politiker kommt. Er wird lediglich in den eigenen Reihen (+3,0) und von den CDU/CSU-Anhängern positiv bewertet. Von den SPD-Wählern wird er schwach negativ (-0,1) und von den Grünen deutlich negativ (-1,6) eingestuft. Dass er die Ausgabenwünsche der Koalitionspartner stets ablehnt, wird ihm wohl von deren Anhängern verübelt. Vor einem Jahr wurde Lindner (+0,5) besser bewertet und zumindest auch noch von den SPD-Anhängern positiv eingestuft. Damals wie heute kam die FDP bei der Sonntagsfrage auf 6% bis 8%.

Gut ein Jahr nach dem Ausrufen der Zeitenwende durch den Bundeskanzler ist die Stimmung innerhalb der Ampelregierung wie auch aus der Perspektive der Bevölkerung deutlich verschlechtert. Der Zauber des Anfangs ist verflogen. Der monatelange Streit um die Stilllegung der Kernkraftwerke, 58% waren gegen die Abschaltung, die Interessenkonflikte um den neuen Bundeshaushalt, vor allem aber die Diskussionen über das noch nicht beschlossene Heiz-Gesetz haben dazu geführt, dass sich die Anhänger der Ampelparteien, vor allem die der Grünen und der FDP, distanziert bis ablehnend gegenüberstehen.

Für die Oppositionsparteien CDU/CSU und die AfD sieht die politische Stimmung besser aus. Die CDU/CSU kommt auf Werte zwischen 29% und 31%, was einer deutlichen Verbesserung gegenüber ihrem Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl von 24,1% entspricht. Die AfD, die bei der Bundestagswahl 10,3% erreicht hatte, liegt nun 15-16%. Die Linke wird in den Umfragen mit leicht fallender Tendenz bei 4-5% gesehen, also ähnlich wie bei der Bundestagswahl mit 4,9%.

Von den Spitzenleuten der Oppositionsparteien sind lediglich Friedrich Merz (-0,4) und Markus Söder (-0,4) von den Unionsparteien sowie meist auch Sahra Wagenknecht (-1,3) von den Linken unter den 10 wichtigsten Politikern vertreten. Alice Weidel, die Vorsitzende der AfD, schaffte es bisher nicht die Spitzengruppe zu kommen, weil sie nur von 2 bis 3 Prozent aller Befragten als „wichtige Politikerin“ genannt wird.

Dass beide Unionspolitiker insgesamt negativ bewertet werden, liegt an den deutlich negativen Bewertungen durch die Anhänger von SPD, Grünen und Linke und an den niedrigen positiven Werten von den Unionsanhängern (Merz: 1,7 ; Söder : 1,5). Vor einem Jahr waren die Beurteilungen durch die eigenen Anhänger (+2,2) etwas besser. Merz und Söder erhalten stets auch schwach positive Werte von den Anhängern der FDP sowie der AfD.
Sahra Wagenknecht erhält lediglich von den Anhängern der Linken und stets auch von denen der AfD gemäßigt positive Werte. .

Die Unionsparteien schneiden in der Sonntagsfrage besser ab als bei der Bundestagswahl. Aber können CDU und CSU mit einem Niveau von 30 Prozent zufrieden sein, wenn es um die Regierungsparteien SPD und FDP so schlecht bestellt ist? Die schwache Beurteilung von Friedrich Merz zeigt die Grenzen seiner Möglichkeiten, wechselbereite Wähler anzusprechen. Ein Blick auf die Beantwortung der Frage nach den wichtigsten Politikern zeigt zudem, dass neben Merz und Söder in den wichtigsten Top 10 kein einziger anderer Unionspolitiker vorkommt. Dass es Politiker der Oppositionsparteien schwerer haben als Regierungspolitiker, mediale Aufmerksamkeit zu erlangen, ist eine Binsenweisheit. Andererseits bieten eine so kritisch beurteilte Bundesregierung und ihre umstrittenen aktuellen Vorhaben genügend Angriffsflächen.

Die AfD benötigt offensichtlich keine gut sichtbaren Spitzenpolitiker, um im Vergleich zu ihrem Bundestagswahlergebnis deutlich zuzulegen. Ein Blick auf die politischen Themen, die von den Befragten ohne Vorgaben erfragt werden, gibt einen interessanten Hinweis. Nur in der Wählergruppe der AfD wird das Problem der vielen Asylsuchenden an erster Stelle genannt vor Energie- und Klimafragen oder der Inflation, die an erster und zweiter Stelle der Agenda aller anderen Befragten stehen. Inzwischen ist das Thema Asylsuchende nach Meinung aller Befragten auf die dritte Stelle der Nennungen vorgerückt, noch vor dem Krieg in der Ukraine.

Das politische Klima in Deutschland ist rauer geworden. Die großen externen Herausforderungen und die ambitionierten Koalitionsvorhaben stellen die Ampelregierung, die ja nie das Wunschbündniss der drei Parteien war, ständig vor neue Schwierigkeiten. In der Bevölkerung mehren sich offenbar die Zweifel, dass die führenden Politiker aller Parteien diesen Herausforderungen gerecht werden. Die nur geringe Zufriedenheit mit den jeweils eigenen Politkern und die kritische Beurteilung der andern führt dazu, dass von den wichtigsten 10 Politikern für derzeit 7 die Sympathiebewertungen insgesamt negativ sind, und von den drei, die positiv beurteilt werden, nur Boris Pistorius in allen Lagern überwiegend gut bewertet wird. Dennoch ist die große Mehrheit in allen Parteilagern überzeugt, dass die Bundesregierung bis 2025 bestehen bleiben wird.

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