Tichys Einblick
Das größte Versäumnis in der Corona-Krise:

Wir sollten von den Asiaten lernen

Amerikaner und Europäer sollten die Corona-Krise als Weckruf nehmen, denn sie legt Defizite deutlich bloß. Schauen wir uns also in der Welt um, wo die Corona-Krise am erfolgreichsten bekämpft wird: in Ostasien.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS

In vielen asiatischen Ländern sind die Zahlen der Infizierten, Kranken und Toten wesentlich niedriger als in Europa oder den USA. Vor einigen Tagen sprach ich mit einem Professor in Vietnam, der mir erklärte, er sei am Wochenende bei einem Empfang mit 1000 Teilnehmern gewesen, die Wirtschaft laufe wie immer und es gebe allenfalls in ländlichen Regionen einige wenige Infektionen. Doch sobald man auf Asien hinweist, kommen reflexartig „Gegenargumente“, mit denen begründet werden soll, warum man nichts von Asien lernen können.

Diese Argumente lauten zum Beispiel:

  • “China und Vietnam sind Diktaturen, solche Freiheitsbeschränkungen wollen wir nicht.“
  • „Taiwan ist eine Insel, daher sind die Erfahrungen nicht auf andere Länder übertragbar.“ 
  • „Die Mentalität der Asiaten ist eine andere.“
  • „Auch in Südkorea steigt die Zahl der Infizierten wieder.“

Ja, Taiwan ist eine Insel, aber das trifft ebenso auf Großbritannien zu, wo das Virus besonders verheerend grassiert. Diktaturen? Südkorea, Taiwan oder Japan sind gewiss keine Diktaturen, sondern demokratische Länder. Ja, es stimmt, auch in Südkorea stiegen die Zahlen in den letzten Wochen wieder, aber jedes europäische Land oder jeder Bundesstaat der USA wäre froh, wenn man die Zahlen vorweisen könnte, die derzeit in Südkorea nachgewiesen werden.

Natürlich sind einige Argumente, die auf Unterschiede zwischen Asien einerseits und Europa und den USA andererseits hinweisen, richtig. Aber „lernen“ heißt ja nicht, einfach blind kopieren. Von Konfuzius stammt der kluge Ausspruch: „Der Mensch hat drei Wege, klug zu handeln. Erstens durch Nachdenken, das ist der edelste. Zweitens durch Nachahmen, das ist der leichteste. Drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.“

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Natürlich muss man das Argument der Freiheitseinschränkungen ernst nehmen. Aber in einer Pandemie kommt man ganz ohne Freiheitseinschränkungen leider nicht aus. Die Frage ist, welche Freiheitseinschränkungen man am ehesten akzeptiert: In Deutschland beispielsweise hat man sich entschieden, dass der Datenschutz und offene Grenzen höhere Priorität genießen als der Schutz von Menschenleben und der Schutz der Wirtschaft. Aber was ist mit der Freiheit all der Selbständigen und Unternehmer, die in die Insolvenz getrieben werden? Was ist mit der Freiheit von Arbeitnehmern, die ihren Job verlieren? Was ist mit der Freiheit von Tausenden Toten, die es täglich in Europa und den USA gibt? Wiegen diese Freiheiten weniger als Datenschutz und unkontrollierter Reiseverkehr? Gedankenexperiment: Wäre Corona so gefährlich wie etwa Ebola, wie würde man dann diese Fragen beantworten, wie würde man dann die Prioritäten setzen?

Ich denke, man redet sich die Situation schön. Europa war schon vor Corona nicht in der Lage oder willens, seine Außengrenzen zu sichern. Und wer in Asien war, der weiß, dass viele asiatische Länder heute einfach moderner sind und beispielsweise in der Digitalisierung viel weiter als Europa oder die USA. Amerikaner und Europäer sollten die Corona-Krise als Weckruf nehmen, denn sie legt Defizite deutlich bloß. Arroganz und Besserwisserei gegenüber Asiaten nützen uns in der Krise nichts. Wir sollten uns darauf konzentrieren, was wir von ihnen lernen können. 

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