Tichys Einblick
"Hey, da standen echt kluge Sachen drin"

Wie Katharina Schulze auf den islamistischen Terror antwortet

Eine Grünen-Politikerin lobt sich nach islamistischen Morden – hey! – für ihre eigenen Gedanken dazu. Und wundert sich über die öffentliche Reaktion. Katharina Schulze ist kein Einzelfall.

imago Images/ZUMA Wire

Zwei Medienauftritte machten die Grünen-Politikerin Katharina Schulze bisher weit über ihr Wählermilieu hinaus bekannt: ein Urlaubsselfie und ein Ausschnitt aus einem Instagram-Video, in dem sie sich irgendwie zu dem Terror in Frankreich äußert. In beiden Fällen zeigte sich die Politikerin von den Folgen indigniert, aber nicht erschüttert.

Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, hatte zum einen im Januar 2019 nach der Landtagswahl Fotos von ihrem Kalifornienurlaub getwittert. Das Selfie zeigte, wie die in San Francisco Eis aus einem Einwegbecher mit einem Plastiklöffel aß, was nicht ganz zu ihrer Antiplastik- und Mehrwegpolitik zuhause passte, ganz abgesehen vom Langstreckenflug. In München gehört sie zu den strikten Gegnern der dritten Startbahn.

Auf die Dissonanz zwischen Bildern und Image machte damals Don Alphonso aufmerksam.

Damit verließen Schulzes Westküstenfotos den Aufmerksamkeitsbereich, für den es exklusiv gedacht waren, nämlich das Milieu, in dem man Langstrecke fliegt, grün wählt und den Mallorca-Flug der Rewe-Verkäuferin kritisch beäugt. Wo zwei praktisch gleiche kognitive Dissonanzen herrschen, deckt die eine die andere zu.

Mehrere Medien und vor allem Aktivisten auf Twitter machten Don Alphonso seinerzeit für die Kritik verantwortlich, die Schulze kurzzeitig aushalten musste. Als sie in einer Talksendung darauf angesprochen wurde, betonte sie, sie sei vor allem gegen Kurzstreckenflüge. Außerdem habe sie vor Jahren in den USA studiert.

Anfang dieser Woche gerieten wieder Bilder in eine erweiterte Öffentlichkeit, die Schulze eigentlich nur für das eigene Milieu gedacht hatte. Auf Instagram sprach sie am vergangenen Freitag vieles in die Kamera, auch eine längere Passage darüber, wie nach ihrer Vorstellung der islamische Terror gestoppt werden müsste. Nämlich mit einem Maßnahmenpaket. Ihrem Maßnahmenpaket. Für einen Berufspolitiker ist es immer von Vorteil, ein passendes Maßnahmenpaket bereit und gewissermaßen in die Kamera zu halten. Schulze öffnete ihr Paket nach einem Mord und einem Mordversuch an einem schwulen Paar in Dresden, nach der Enthauptung des Geschichtslehrers Samuel Paty nahe Paris und nach dem Dreifachmord in einer Kirche in Nizza, auch dort wieder mit einer Enthauptung, in allen Fällen durchgeführt durch junge muslimische Migranten.

“Und es tut mir auch so leid für Frankreich, für unser Nachbarland, die da jetzt schon durch sehr viele Anschläge so hart gebeutelt sind“, erklärt die Grünenpolitikerin in die Instagram-Kamera, um zu ihrem eigentlichen Thema zu kommen, nämlich zu Katharina Schulze: „Ich bin ja seit sieben Jahren jetzt innenpolitische Sprecherin und ich habe, 2015 war das, also 2013 bin das erste Mal gewählt, zwei Jahre später, ein Maßnahmenpaket gegen islamistischen Terror damals geschrieben. Und das hab ich mir die letzten Tage jetzt einfach nochmal rausgeholt, weil das Thema jetzt grade wieder größer wird und dachte mir so: Hey, da standen echt kluge Sachen drin.“
Beispielsweise „stärkeres Hinschauen“. Auch: „Et cetera, et cetera.“ Was noch? „Und natürlich muss man auch Prävention und Demokratiebildung betreiben, das ist absolut klar!”

Vom stärkeren Hinschauen möchte man Betrachtern des Videos eher abraten. Denn während Schulze ihre Maßnahmen aus dem Paket holt (Hinschauen et cetera), grinst sie, bleckt die Zähne, verzieht auch den Mund zu einem Schnutenlächeln, kurzum, sie achtet sehr darauf, dass ihr Gesicht in fröhlicher Dauerbewegung bleibt. Sie fährt sich mit dem Finger über das Gesicht, als wolle sie sich auch noch einmal vergewissern, dass alles so wirkt wie immer. Diese Dauerbewegung ist das Markenzeichen Schulzes. Es gibt kaum Bilder von ihr, die sie nicht mit freigelegten Zahnreihen zeigen.

Der Werbetext von Schulzens Politikerbuch – etwas mit Mut – bewirbt sie als „nahbar, authentisch, streitbar, witzig“ und als „neuer Typus Politiker“. Tatsächlich verkörpert sie einen sehr verbreiteten Phänotyp, der in vielen Redaktionen, Organisationen und Parteiverbänden den Ton angibt: Schnelles und nicht immer ganz folgerichtiges Sprechen, intensive Gesichtsmimik, Ausrichtung der gesamten Kommunikation auf eine Kamera und die dahintergeschalteten Transportmedien. Die Sprache bewegt sich stilistisch zwischen Pausenhof, Proseminar und Austausch mit der besten Freundin. Wichtig ist, dass der Sprecher sie immer dann emotional flach hält, wenn ein Thema nicht zur Mobilisierung des eigenen Lagers taugt, in dem Fall also islamischer Terror: gebeutelt, Paket, Sachen.

Im Musikmarketing gibt es den Begriff Spotify Core, geprägt von dem Musikjournalisten Jon Caramancia. Das Wort beschreibt eine Musik frei von allen irritierenden Elementen, die unauffällig im Hintergrund läuft und den Hörer hauptsächlich davon abhalten soll, seinen Stream zu unterbrechen. Songs dieser Kategorie klingen notwendigerweise ziemlich ähnlich. Bei ihrem Zielpublikum funktionieren sie gut. Diesem Prinzip folgt auch Schulzes Erklärung zu islamischem Terror in Europa: Eine beschwingt vorgetragene Kette von Klingelwörtern wie „Maßnahmenpaket Hinschauen hey Prävention Demokratiebildung etcetera“, dann ist Schluss und Platz für die nächsten Stichpunkte. Es fehlt alles, was das Zielpublikum stören könnte, etwa die Frage, woher die Mörder kamen, welche Migrationspolitik dafür verantwortlich ist, dass sie kommen und bleiben durften, und wer Politiker wie Schulze, Katrin Göring-Eckardt und viele andere eigentlich die ganze Zeit am genaueren Hinschauen hindert, gerade jetzt, wo das Thema wieder größer wird. Bei denjenigen, für die Schulze diese Soundbites so zuschneidet und mit entsprechender Mimik begleitet, kommt das Gesamtpaket offenbar so gut an wie ein gehauchter und mit Backbeat unterlegter Spotify-Sound bei den Kunden, die genau diese optimierte Musiksorte wünschen. Ein Problem gibt es nur, wenn ein solcher Song seine Kanal und damit die Zielgruppe verlässt. Beispielsweise, wenn er durch Zufall plötzlich vor großem Publikum als Untermalung zu den Bildern der Morde von Nizza und Wien laufen würde.

Und so etwas ähnliches passierte, als mehrere Nutzer auf Twitter und Facebook einen Mitschnitt aus Schulzes heiterem Instagram-Gespräch veröffentlichten. Einer versah es dort mit dem Hashtag #Wien. Damit behauptete er noch nicht einmal, die Politikerin hätte sich mit hey ich und mein Maßnahmenpaket auch auf die Anschlagserie in Wien bezogen. Er stellte nur die Assoziation her, die jedem auch sonst gekommen wäre. Ähnlich wie nach ihrem Selfie aus Kalifornien mit Plastiklöffel gab es nach der neuen Veröffentlichung von nichtwohlgesonnenen Leuten im Netz eine Menge unfreundliche Kommentare für Schulze, die es aus ihrem Kernpublikum nie gegeben hätte. Da die Terroranschläge viele offenbar doch stärker beschäftigen als der Klimawandel, fielen die Bemerkungen über Schulzes Medienpaket etwas heftiger aus als damals zu Kalifornien und Plastiklöffel.

Das wiederum führte zu dem bisher selten beobachteten Phänomen. Die Politikerin und ihre Unterstützer erklärten die Nutzung ihres unveränderten Videos durch ein anderes Milieu in einem anderen Rahmen zur „Desinformationskampagne“ beziehungsweise „Hetze“ rechter Kreise.

Screenprint: katharina-schulze-de

Unter der Überschrift „Dekonstruktion einer Desinformationskampagne“ bemüht sich Schulze, eine Desinformationskampagne von anderen zu konstruieren, die ihren Videoausschnitt zum Maßnahmenpaket in einen falschen Kontext gestellt hätten, nämlich so:
„Ich halte fest: Der Insta-Live-Stream fand vier Tage vor dem schrecklichen Anschlag in Wien statt. Den kurzen Video-Ausschnitt – den jemand mitgeschnitten und online gestellt hat – aus einem 60-minütigen Stream, in dem mir Fragen über Corona, über Persönliches, aber eben auch zu Frankreich gestellt wurden, genau am Morgen nach dem schrecklichen Attentat zu posten und explizit in den Kontext von Wien zu stellen, ist schlicht ganz bewusste und höchst unanständige Manipulation.“

Auch zwei Medien bemühten sich umgehend, exakt die Argumentation der Grünenpolitikerin wiederzugeben, nämlich die Plattform „Volksverpetzer“ („Altes Video aus dem Kontext gerissen. Rechte Hetze gegen Grüne“), und die „Süddeutsche“ („Zahlreiche User aus dem rechtsextremistischen, rechtspopulistischen und konservativen Milieu teilten am Dienstag das Video“.) Die bewährten „Volksverpetzer“ klebten sogar über ein Still des völlig authentischen Schulze-Videos den Button „Fake“.

Ohne diese Nachhilfe wäre wahrscheinlich selbst ein durchschnittlich wohlwollendes Publikum nicht auf die Idee gekommen: Aber Schulze und ihre medialen Trabanten argumentieren ernsthaft, nach dem von einem IS-Anhänger begangenen Attentat in Dresden, nach der Enthauptung von Samuel Paty bei Paris und dem Dreifachmord von Nizza mit einer weiteren Enthauptung wäre das breitlächelnd vorgetragene hey mein Maßnahmenpaket mit guten Sachen drin völlig angemessen und in Ordnung gewesen, nach den Anschlägen und Morden von Wien aber irgendwie doch nicht, da sei es Manipulation und sogar Fälschung . Denn nichts anderes bedeutet ja „Fake“. So konsequent medientheoretisch und –praktisch ist der Macbeth-Satz foul is fair and fair is foul vermutlich noch nie angewendet worden.

Sanft tadelnd merkt die „Süddeutsche“ an: „Tatsächlich mag Schulzes Auftritt seltsam wirken, ihr ist es offensichtlich nicht gelungen, zwischen den heiteren und ernsten Themen ihres Talks zu differenzieren.“

Was waren eigentlich die ernsten Themen ihres Talks?

Bemerkenswert ist weniger das Phänomen Katharina Schulze, sondern die Tatsache, dass sich eine Selfie- und Instagram-Politikerin wie sie auf eine nicht gerade kleine Wählerschaft und treue Medienhelfer stützen kann. Ohne Neudefinition beziehungsweise Neusprech auf dem Gebiet der öffentlichen Kommunikation könnte das unmöglich funktionieren. Aus hoher Sprechgeschwindigkeit wird Eloquenz, aus Grimassieren Natürlichkeit. Sprachlicher Einebnung – werden Menschen geköpft, dann wird ein „Thema wieder größer“ – verwandelt sich in Sachlichkeit respektive Coolness. Gerät etwas aus der eigenen Blase in ein falsches Publikum, dann handelt es sich um eine „Manipulation“.

Mit Schulze meldet sich die Vertreterin einer politische Kraft zu Wort, ohne deren Sprache es den Vormarsch des gewalttätigen Islam in Europa nicht hätte geben können. In gewisser Weise ist sie wegen ihrer jungen Jahre Erbin dieser Situation. In Zukunft wird sie als Staatssekretärin, Ministerin oder NGO-Oberhaupt noch öfters erklären, dass ihr total leid tut, was gerade passiert.

Das fällt ihr um so leichter, als Politiker ihrer Generation beim Sprechen kein Publikum mehr vor Augen haben, auch keins, das sie sich noch vorstellen, sondern nur eine Kamera und das eigene Gesicht auf dem Bildschirm. Insofern passt „neuer Typus“ perfekt. Repräsentanten der Gesellschaft, die auf Nachrichten von abgeschlagenen Köpfen mit einem Selfielächeln und Ich-Sätzen mit eingestreutem hey reagieren – darin liegt ein psychologischer Evolutionssprung mit gesellschaftsverändernder Kraft.

An die Stelle von Joseph Conrads „The horror, the horror“ tritt ein Schulterzucken, das es jedenfalls leichter macht, weiter aufs eigene Display zu schauen.

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