Tichys Einblick
Für eine friedliche Festtafel

Fünf goldene Weihnachtsfriedensregeln für den politischen Streit

Die von vielen beklagte Kluft in unserer Gesellschaft spiegelt sich ziemlich sicher an vielen Familientreffen zu Weihnachten wider. Es folgt eine kleine Weihnachts-Phantasie über den friedlichen Umgang mit linken, grünen und woken Zeitgenossen.

Symbolbild

IMAGO / McPHOTO/Godowitsch

Beim familiären Weihnachts-Festbraten wird sie wieder misstrauische Blicke in meine Richtung werfen. Denn niemand am Tisch entspricht mehr als ich dem Bild des berüchtigten „rechten“ oder „reaktionären“ Onkels (es sind immer Onkel, zuweilen auch mit noch weit schlimmeren Attributen als „rechts“ beschrieben). Viele Medien in Deutschland und allerorten im Westen veröffentlichen stets zu den Festtagen ausführliche Handlungsanweisungen, wie man mit solch verstörenden, „verrückten“ Personen umgehen sollte.

Vermutlich begegnet die glühende Verehrerin von Greta Thunberg an unserer Weihnachtstafel in ihrem Alltag kaum jemandem wie mir. Sie gilt als leidenschaftliche Kämpferin gegen den Kapitalismus, der für die Klimakatastrophe verantwortlich sei. Natürlich verschmäht die junge Frau gebratene Gans und bekommt vegane Köstlichkeiten. Wenn sie empört vom täglichen Rassismus in unserem Land erzählt, treten nicht selten Tränen des Mitgefühls mit den „people of color“ in ihre Augen. Richtig wütend wird sie, wenn sie über das Erstarken der Neonazis spricht, wobei sie wohl jeden meint, der irgendwie „rechts“ ist.

Die von vielen beklagte, wachsende Kluft in unserer Gesellschaft spiegelt sich ziemlich sicher an vielen Familientreffen zu Weihnachten wieder. Für einen friedliebenden Menschen wie mich drängt sich die Frage auf, ob man nicht doch – angesichts all der Unduldsamkeit und des Zorns, der ausufernden Wut und der wachsenden Intoleranz – zu einem friedfertigen Umgang miteinander kommen könnte – vielleicht ja nicht nur zur Weihnachtszeit. Es bieten sich Spielregeln an, ja, richtige Gebote, die für beide Seiten gelten, die niemand in Frage stellen dürfte. Das mit den beiden Seiten ist besonders wichtig.

Zumindest zu Weihnachten sollte ein wenig Friedensträumerei erlaubt sein.

1. Die Ehre des Anderen ist unantastbar.

Auch dem umstrittensten politischen Protagonisten dürfen nicht Bösartigkeit oder finstere Absichten unterstellt werden. Das gilt auch für Angela Merkel (oder in den USA Donald Trump). Die CDU-Politikerin habe Deutschland enormen Schaden zugefügt, denken nicht wenige. Als Motive werden verborgene Deutschfeindlichkeit oder linksradikale Gesinnung, Verbundenheit zu globalen Playern oder Machtbesessenheit genannt. Um aber mit jemandem diskutieren zu können, der Merkel schätzt, muss man akzeptieren, dass sie subjektiv gute Absichten für Deutschland und die Welt hatte. Auch wenn das manch klugem Kopf schwer fällt zu glauben.

Die heute tonangebende politische Linke nutzt als liebste, äußerst wirkungsvolle Waffe gegen unliebsame Positionen die Diskreditierung. Sehr schnell werden Rechtsradikalismus und Rassismus unterstellt. Das widerfährt sogar Politikern der Linken (Sarah Wagenknecht), der SPD (Wolfgang Thierse) und der Grünen (Boris Palmer). Die Erwartung, Linke könnten dieses bewährte Instrument der Diffamierung aufgeben, ist wahrscheinlich naiv. Aber es wäre die notwendige Bedingung für einen friedfertigen Dialog.

Die Gretchenfrage ist, wo die Grenze zu Personen und Positionen gezogen wird, wo jede Diskussion sinnlos wird. Rasch wird man sich einig sein, das Hitler und Stalin, Rassismus und Stalinismus inakzeptabel sind. Heikel wird es für manche bei AfD, Antifa oder Grüne Jugend, bei Thilo Sarrazin oder Anetta Kahane (Amadeu-Antonio-Stiftung). Wer sich allerdings zu den Prinzipien einer lebendigen Demokratie bekennt, der müsste mit (fast) allen und vor allem über ihre Sichtweisen reden können. Den wichtigsten Rahmen des Diskutablen setzen Grundgesetz und Strafgesetzbuch.

2. Keine Gefühle bei politischen Themen

So leidenschaftlich bestimmte Ansichten über Sprache, Gender oder Corona vertreten werden, so aufwühlend Fragen nach der Zukunft der Menschheit und das Schicksal verfolgter Menschen sind, so sehr auch Methoden und Mechanismen von Unterdrückung und Manipulationen empören – gefragt ist höchste emotionale Disziplin. Und wenn es noch so schmerzt. Wer Hass und Hetze bekämpfen will, sollte Ruhe und Besonnenheit demonstrieren. Verboten sind Beschimpfungen, Unterstellungen und jede Art von Verschwörungstheorien. Kein Verteufeln, kein Jammern, keine Verachtung. – Theoretisch alles ganz einfach.

3. Die Charakterfrage ist verboten

Wer möglichst schnell bei jedem Disput und Konflikt ins Persönliche schweifen möchte, sabotiert den Dialog. Mit Hinweisen auf den üblen ideologischen Hintergrund des Anderen – gleichgültig, ob unterstellt oder berechtigt – landet jedes Gespräch in der Sackgasse. „Argumentum ad hominem“ (lateinisch für „Beweis auf den Menschen bezogen“) nennt man diese klassische Disput-Strategie; mit polemischen Attacken auf die Person soll ihre Glaubwürdigkeit untergraben werden – letztendlich ist die Absicht der „Rufmord“. Die Verteufelung des anderen und offene Feindseligkeit sind selten hilfreich. Wer also glaubt, die Corona-Maßnahmen dienten der Regierung zur Abschaffung der Demokratie, oder wer denkt, die Impfskepsis vieler Bürger sei Zeichen asozialen Verhaltens von Menschen, denen das Gemeinwohl gleichgültig sei, der sollte einfach versuchen, gar nicht erst in eine Diskussion zu geraten.

4. Verzicht auf die Goldwaage

Es gibt das Recht, zuweilen auch mal Unsinniges zu sagen, sich zu widersprechen und seine Meinung zu ändern. So gut wie alle 68er, wie die Grünen Joschka Fischer, Jürgen Trittin oder Winfried Kretschmann, haben dieses Recht für sich in Anspruch genommen. Nicht jedes Wort darf auf die Goldwaage gelegt werden, nicht jedes Zitat aus jungen Jahren disqualifiziert einen. Mindestens ein saudummes Zitat muss jedem erlaubt sein. Zitate dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden. Sich zu verhaspeln oder miserabel Englisch zu sprechen, disqualifiziert keineswegs immer. Viele Einschätzungen hängen mit dem Augenmaß zusammen – die politischen Auseinandersetzungen benötigen ein Mindestmaß an Toleranz gegenüber Fehlleistungen.

5. Ein Hoch auf die sozialen Sekundärtugenden

Zuhören, ausreden lassen, höflich sein, bei der Sache bleiben. Nicht schreien, nicht schimpfen, nicht dramatisch werden, nicht weinen. Schlichte Regeln für den friedlichen Umgang miteinander. Dazu gehört sogar eine gewisse Toleranz gegenüber den vermeintlich dümmsten Ideen und Argumenten. Zweifellos ist es herausfordernd, freundlich und milde zu reagieren, wenn jemand krude Verschwörungstheorien verbreitet, die Abschaffung der „Konsumgesellschaft“ fordert oder meint, die Entwaffnung der Nato würde dem Frieden den Weg ebnen.

5a) Immer lächeln….

Bei all diesen Spielregeln und Geboten gibt es ein kleines Problem: Sie müssten von allen Beteiligten akzeptiert werden. Vom „woken Gutmenschen“ ebenso wie von dem „reaktionären Onkel“. Man wird ja wohl mal phantasieren dürfen, zumindest zu Weihnachten …

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