Tichys Einblick
EIN BLICK IN DIE DUNKLE VERGANGENHEIT

Verbot der Grauen Wölfe: CDU und CSU sind an deren Erstarken mitschuldig

Der im Bundestag von CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen angenommene Antrag, ein Verbot der Grauen Wölfe zu prüfen, ist scheinheilig: Die Union hat mit den Grauen Wölfen kooperiert, ihnen sogar geholfen, Strukturen in Deutschland aufzubauen.

imago Images/Lars Berg

Das deutsche Parlament verabschiedete nach fast 50 Jahren einen Verbotsantrag der Grauen Wölfe. Die Scheinheiligkeit nahezu aller Parteien bezüglich der türkisch rechtsextremen Grauen Wölfe ist groß. Erst nach den neusten islamistischen Anschlägen in Frankreich, Wien und Dresden riefen die Parteien dazu auf, die Grauen Wölfe zu verbieten – was vor allem damit zu tun hat, dass der französische Präsident Emmanuel Macron – als eine Art Modellstaat gegen Islamismus – ein solches Verbot für Frankreich bewirkte. Doch von diesen Parteien sind CDU und CSU die mit der größten Hypokrisie: Denn sie haben als erste mit den Grauen Wölfen Gespräche geführt, ihnen geholfen, Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen und sogar Organisationsstrukturen zu errichten. Die Union war es, die trotz bedrohter innerer Sicherheit schon in den 70er Jahren kein Verbot anstrebte, sondern die Grauen Wölfe demokratisch zu legitimieren half. Das Schweigen der CDU dazu ist ohrenbetäubend.

Dunkle Vergangenheit

Ein Blick in die Vergangenheit lässt CDU/CSU tatsächlich mitschuldig erscheinen daran, dass die Grauen Wölfe hier in Deutschland strukturell Fuß fassten. Es ist eine Geschichte wie aus einem Film, sie erscheint zu bizarr, um wahr zu sein. Es war kein anderer als Franz Josef Strauß (CSU), der „diskret wie immer“ Alparlsan Türkes „zum Rendezvous“ bestellte, wie es der Spiegel im Jahr 1988 beschrieb. Türkes war der Gründer der rechtsextremen „Partei der Nationalen Bewegung“ (MHP), die heute mit Erdogan und der Regierungspartei AKP kooperiert. Die MHP gilt als der politische Arm der Ülkücüler (Grauen Wölfe). Mit der MHP und vielen Ülkücü-Jugendorganisationen gründete Türkes gleichzeitig in den 60er Jahren die paramilitärischen Organisation Graue Wölfe, die für zahlreiche Morde an linksgerichteten Politikern und Intellektuellen verantwortlich sind. Der türkische Politiker Türkes war ein gefährlicher Neofaschist und Rechtsextremist.

Nach dem dritten Militärputsch erhielt Türkes eine Gefängnisstrafe, Politikverbot und seine Partei wurde verboten. Nach Aufhebung seines Politikverbots arrangierte Türkes ein Wahlbündnis mit der Refah Patei (Wohlfahrtspartei) des islamistischen Politikers Necmettin Erbakan, politischer Ziehvater des heutigen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Türkes Partei, die heutige MHP, koaliert heute mit Erdogans Partei AKP. Ohne die MHP könnte Erdogan nicht seine Macht sichern. Der Nationalsozialismus und ganz besonders Hitler selbst prägten Türkes‘ nationalistische Ideologien und somit die MHP und seine Grauen Wölfe, die antisemitisch und rassistisch sind. Der graue Wolf wurde als Symbol gewählt, weil einer Legende nach ein Wolf in vorislamischer Zeit türkische Stämme vor dem Aussterben in Zentralasien gerettet haben soll. Der nationalistisch-rassistischen Logik nach verfolgen graue Wölfe alle nicht-türkischen Bevölkerungsteile. Denn auch Türkes träumte von einem großtürkischen Reich, wie es Erdogan tut – und beide sind selbsternannte und selbstinszenierte „Führer“. Erdogan ist Anhänger der Grauen Wölfe, ohne es zu verbergen. Auch er etablierte sich als ihr Anführer.

CDU/CSU und die deutschen Anfänge der Grauen Wölfe

Die Grauen Wölfe gibt es immer noch in der Türkei, obwohl die paramilitärische Jugendorganisation aufgelöst wurde. Doch vor allem gibt es sie in Deutschland. Die Geschichte beginnt in Bayern. Und sie beginnt mit CDU und CSU: Der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß traf sich des Öfteren mit Alparslan Türkes. Dies war nur möglich, weil die Grauen Wölfe bereits gute Kontakte zur CSU hatten. Die christlichen Unionsparteien waren also von Beginn an ein Ziel und ein Kooperationspartner der türkischen rechtsextremen Bewegung. Besonders wichtig in dieser Grauen-Wölfe-Vermittlung war Murat Bayrak, ein Unternehmer in Istanbul, der gute Kontakte zur CSU herstellte. Bayrak war der Vertraute von Türkes, der vergeblich versuchte, mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) ein Gespräch zu arrangieren. Aber Kohl weigerte sich entschieden, Alparslan Türkes auch nur zu empfangen. So kam es dazu, dass Murat Bayrak sich per Brief darüber bei Strauß echauffierte.

Der Brief dokumentiert die bizarren Beweggründe für diese Allianz mit den Grauen Wölfen. Bayrak schrieb, sein Land, die Türkei, würde sich in „akuten großen Gefahr“ befinden:

„Diese Gefahr ist in großen mit der Tatsache bezeichnet, daß zum erstenmal in der Geschichte der Türkei der sowjetische Generalstabschef in die Türkei kommen konnte und zwar nicht zu einem Höflichkeitsbesuch, sondern zur Einleitung einer Entwicklung, die das Ende der Türkei im westlichen Bündnis bedeuten kann.“

Es war der Kampf gegen Kommunismus und den sowjetischen Feind, der Strauß hier antrieb, mit neofaschistischen Rechtsextremen eine Allianz einzugehen. Schon zur selben Zeit war bekannt, dass Strauß sich mit italienischen Neofaschisten heimlich traf. Höchstwahrscheinlich wird Bayrak über diese Antikommunismus-Schiene auch andere CSU-Politiker in den Wolfs-Bann gezogen haben.

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Bayrak vermittelte Türkes an Strauß – dies war der Beginn, strukturell die Grauen Wölfe in Deutschland aufzubauen. Der Spiegel (25.02.1980) dokumentierte, dass Türkes und Strauß sich zuerst über „die kommunistische Gefahr“ unterhielten, die gemeinsam zu bekämpfen sei; Strauß habe Türkes zusagt, „dass in Zukunft für die MHP und die Grauen Wölfe ein günstiges psychologisches Klima in der Bundesrepublik geschaffen werden müsse, damit die MHP hier in einem besseren Licht erscheine.“
CDU/CSU-Politiker bauen Strukturen der Grauen Wölfe auf

Es gab bereits Organisationsstrukturen der MHP wie die „Türk Ocagi“ oder die „Ülkücü Dernegi“ in Deutschland, obwohl das Türkische Verfassungsgericht 1977 türkischen Parteien verboten hatte, im Ausland Parteiorganisationen zu unterhalten. Mit Strauß‘ Hilfe wurde jedoch ein offizieller Parteiableger geschaffen: Im Juni 1978 – nur wenige Wochen nach dem Treffen – wurde in Schwarzborn in Bayern die „Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa (ADÜTÜF, Türk-Föderation) mit Hauptsitz in Frankfurt am Main gegründet. An der Seite von Strauß half bei dieser Etablierung des Vereins der CDU-Politiker Hans-Eckhardt Kannapin, der zugleich Türkei-Experte des Bundesnachrichtendienstes war. Kannapin sorgte dafür, dass Musa Serdar Celebi – Türkes‘ Weggefährte, der nach Deutschland gezielt geschickt worden war – in Deutschland eine Aufenthaltsgenehmigung bekam, indem Kannapin in Serdars Wohnung ein fiktives Türkei-Institut einrichtete, was als berufliche Beschäftigung herhielt.

Dass Türkes und Celebi für zahlreiche Morde verantwortlich waren, interessierte beide Unions-Politiker nicht. Auch betrieben die Grauen Wölfe ihr Unwesen in Deutschland, das unübersehbar war. Schon im Oktober 1978 hetzt Alparslan Türkes auf einer Großkundgebung in Dortmund, in voller Öffentlichkeit gegen den damaligen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit (CHP). Er bezeichnet Ecevit als eine „Marionette der Kommunisten“, der „ausradiert“ werden müsse; solche „Moskauer Hunde“ hätten in der Türkei „kein Lebensrecht“. Alparslan Türkes rassenbiologisches, neofaschistisches Gedankengut war in Deutschland bekannt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schrieb bereits im Jahr 1976 an das Innenministerium, dass die Tätigkeit der MHP in der Bundesrepublik „unzweifelhaft die Ruhe und Ordnung bei den Türken gefährden“, da sie ihre politischen Gegner mit Gewalt bekämpfen wollten. Der DGB betonte, dass damit alle Bemühungen zur Integration der türkischen Arbeitnehmer illusorisch werden. Es war also bereits in den 70er Jahren eindeutig: Dass diese türkische rechtsextreme Partei und Bewegung die Integration verhindern und türkische Migranten spalten würde. Auf den Straßen der Bundesrepublik gingen MHP-Anhänger gewalttätig gegen andere vor. Auch rief Türkes bei einer Jahreshauptversammlung in der Essener Grugahalle seine Anhänger in Deutschland dazu auf, in die CDU einzutreten beziehungsweise die CDU/CSU zu unterwandern. Das gleiche tat auch der nationalistisch-islamistische Präsident Erdogan.

ADÜTÜF als Europazentrale

ADÜTÜF wurde damals zu einem Dachverband von bereist 64 bestehenden „Ülkücü“-Vereinen in Deutschland, Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Belgien. CDU/CSU-Politiker bauten den Grauen Wölfen also eine Europazentrale. Die Frage ist stets offen, wie dies alles finanziert wurde! Da nach dem Militärputsch am 12. September 1980 in der Türkei die MHP verboten sowie Graue Wölfe strafrechtlich verfolgt wurden, kamen die rechtsextremen Anhänger nach Deutschland. Auftragsmörder wie der Graue Wolf Abdullah Çatli oder der Papstattentäter Mehmet Ali Agca konnten durch die Unterstützung von ADÜTÜF in Europa weiter ihre illegalen Aktivitäten betreiben.

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Ein wichtiger Schritt von Türkes für den strukturellen Ausbau war, seinen treuen Wolfs- und Weggefährten Musa Serdar Celebi als Vorsitzenden der ADÜTÜF einzusetzen. Dies geschah 1979 auf einer Versammlung in Schwarzenborn, dessen Veranstaltungsort, der städtische Saal, sogar vom CDU-Politiker Kannapin organisiert wurde. Der Politiker Kannapin hat damit indirekt die Vorstandswahl Celebi unterstützt. In nur einem Jahr wuchs die Organisation auf insgesamt 170 Vereine allein in der BRD und über 220 Vereine in ganz Europa. Durch die geschaffene Europazentrale konnten die Akteure gezielt ihre Mitglieder koordinieren, die in der Türkei verfolgt wurden, was zu immer mehr Vereinen führte. Der neue Vorsitzende Celebi war selbst MHP-Politiker in der Türkei, in einer Bezirkszentrale in Istanbul, welche für mehr als hundert Morde an Oppositionellen verantwortlich gemacht wird. Celebi soll auch enge Kontakte zur türkische Mafia gepflegt haben, aber auch zu dem türkischen Geheimdienst (MIT). Angeblich soll er für die ADÜTÜF finanzielle Mittel durch Waffen- und Heroinhandel besorgt haben.

Der damalige bayrische Innenminister Gerold Tandler (CSU) wirft mit seinem Nichthandeln Fragen auf: War er, während die Grauen Wölfe ein gefährliches Netzwerk ausbauten, bloß blind, oder hat er ganz bewusst weggeschaut? Ersteres scheint kaum möglich, da er sich im Jahr 1980 kurioserweise positiv über diese Rechtsextremen – die mit Gewalt gegen Personen vorgingen – äußerte: „Die MHP und die Türk-Föderation setzten sich für die Interessen der türkischen Republik und Nation im Rahmen der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland ein“. Dies ist nahezu eine demokratische Legitimation, die dieser Gruppierung verliehen wurde. Böswillig könnte man an dieser Stelle eine Lobbyarbeit unterstellen. War Tandler etwa auch im Kampf gegen den Kommunismus positiv gegenüber den Grauen Wölfen gestimmt? Hatte auch er Kontakt mit gezielten Vermittlern wie Murat Bayrak? Man fragt sich, wie viele CDU/CSU-Politiker zu diesen Zeiten insgesamt die MHP in ein positives Licht stellten.

Es sind Fragen offen, die von Seiten der CDU und CSU anscheinend nicht geklärt werden wollen. In einer Anfrage von Florian Ritter (SPD) 2015 im bayerischen Landtag erhielt er von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eine dreiste Antwort – in Abstimmung der Staatskanzlei unter dem damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU): „Zu dem angesprochenen Treffen von Franz Josef Strauß mit dem damaligen Vorsitzenden der „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP) Alparslan Türkes im Jahr 1978 liegen der Staatsregierung keine Erkenntnisse vor.“ Dies grenzt an bewusste Desinformationspolitik für Opposition und Öffentlichkeit.

Fortsetzung „Ein Blick in die dunkle Gegenwart“ folgt.

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