Tichys Einblick
#friedlichzusammen

Ulrike Guérot in Berlin: Kein Verlass mehr darauf, dass man uns unsere Rechte zurückgibt

In Berlin trat Ulrike Guérot als Gastrednerin bei der Corona-maßnahmenkritischen Initiative #friedlichzusammen auf. Ihre kurze Ansprache geriet zu einer Generalabrechnung mit dem Staat, den Gerichten und dem politischen Diskurs an sich.

Bild: © friedlich zusammen Berlin/Facebook

Im Berliner Stadtpark Friedrichshain versuchte sich die Initiative #friedlichzusammen – unter anderem bekannt geworden durch die absurden Vorwürfe des Grünen-Politikers Janosch Dahmen – an einer neuen Protestform gegen die fortdauernden (Maskenpflicht in Bus und Bahn) oder für den Herbst erneut angedrohten Maßnahmen. Der Protest fand nun die Gestalt eines Sommerfestes mit Musik und Redebeiträgen im Park.

Als Veranstaltungsort hatte man sich Platz und Wiese am Spanienkämpferdenkmal ausgesucht. Ein Ort, der an den spanischen Bürgerkrieg zwischen Franquisten und Kommunisten erinnert und natürlich – wir befinden uns im einstigen Ost-Berlin – die letzteren heroisiert. Es könnte eine symbolische Wahl gewesen sein, denn eines wollen die Demonstranten von #friedlichzusammen ganz sicher nicht sein: Faschisten, auch wenn die „Antifa“ natürlich nicht fehlen konnte, die sich gleich auf der anderen Seite der Straße als kleiner Trupp aufgestellt hatte und gelegentlich etwas herüberbrüllte.

Der Ort an der nicht minder symbolträchtigen „Friedenstraße“ war am späten Samstagnachmittag gut gefüllt, als die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Guérot zu den versammelten ziemlich bürgerlich, linksliberal oder auch grün wirkenden Maßnahmenkritikern sprach. Als Hintergrundthema von Guérots Rede könnte man die liebgewordenen Überzeugungen des politischen Diskurses ansehen, die sie auf allen Seiten nicht verbohrt, aber doch mit sicherer Hand aufspürte und auf ihren Platz verwies – nämlich in die Mottenkiste der Geschichte. Vor allem aber war sie da, um Mut zu machen und zu empfangen.

Zunächst zählte sie ihr eigenes, bis dahin schmales Protest-uvre auf: Gegen den Irakkrieg, Anti-Austerity, Pulse of Europe, noch ein paar andere Ereignisse hatten sie da zu Widerspruch und Auf-die-Hinterbeine-Stellen angeregt. Und so kam sie auf den Namen der Initiative und damit Titel der Veranstaltung zu sprechen: „Friedlich zusammen“ – dieser Name sei an sich schon eine Zeitdiagnose. Er bedeutet nach Guérot im Grunde, dass man sich für Protest heutzutage rechtfertigen muss, dass man Störungen von außen und sogar unfriedliche Gewalt befürchten muss und deshalb schon vorab feststellt, dass man selbst es gut und friedlich meint.

Die durch und durch defensive Selbstbenennung sieht Guérot als Wendepunkt in der Kultur des Demonstrierens überhaupt. Diese Wende ging freilich nicht von den Demonstranten aus. Man sei als Demonstrant „de facto in die Position von Bittstellern“ gerutscht, so Guérot: „Wir bitten darum, dass es friedlich bleibt und dass wir friedlich zusammen sind.“

Und so kam auch ein gewisses Unbehagen Guérots an dieser Gesamtlage zum Ausdruck, denn das überwölbende Motto der Demonstrationsreihe sei eben nicht „Für Grundrechte“ oder „gegen deren Einschränkung“. Darin komme zum Ausdruck, dass „wir uns intuitiv schon als entrechtet empfinden“. Man begebe sich damit in einer Minderheitenposition, die man nicht verdient habe.

Guérot stellt dem eine Metastudie der Charité gegenüber, die eindeutig ergeben habe, dass die Verächtlichmachung in diesem Konflikt von der „Mehrheit“ (der Zustimmenden) ausgehe, nicht von der „Minderheit“ der Maßnahmenkritiker. Guérot scheint zwei Dinge zugleich zu sagen: 1. Diese Minderheit muss nicht unbedingt eine sein, es ist zumindest keine kleine oder auch vernachlässigbare Minderheit. 2. Die pejorativen, abwertenden Eigenschaften, die den Maßnahmenkritikern gerne unterstellt werden (Aggression, Verachtung, Mangel an Solidarität), kommen eigentlich ihren Gegnern, den Vertretern der angeblichen Mehrheit, zu. Die größten Kritiker der Elche waren selber welche.

Allein dass man von der „anderen Seite“, dem „anderen Lager“ spreche, zeigt nach Guérot, dass man das friedliche Miteinander im gemeinsamen demokratischen Diskurs schon hinter sich gelassen habe. So erlebe man auch von der häufig als Gegendemonstranten anwesenden „Antifa“ keinen Dialog, sondern „Übergriffigkeiten, persönliche Anschuldigungen, Insinuierungen“ oder auch das „Nicht-zu-Wort-Kommen in bestimmten Fernsehsendungen“ (in Anspielung auf ihren letzten Auftritt bei Markus Lanz). In dem manchmal gegenseitigen Beschimpfen als „Nazis“ und der Selbstdarstellung als „Antifaschisten“ erkennt Guérot eine extreme Polarisierung, die politikwissenschaftlich gesehen immer die Vorstufe des Bürgerkriegs gewesen sei. Den wolle sie freilich nicht – daher ihr Gesprächsangebot an die Demo-Gegner von nebenan.

Die live gegebene Antwort der Antifa von der anderen Straßenseite war übrigens: „Wir reden nicht mit Nazis.“ Heiterkeit und Protest im Publikum. Guérot wies auch die Gegen-Charakterisierung der „Antifa“-Leute als der wirklichen Nazis zurück, sagte aber bedeutungsvoll: „Die alte Antifa ist nicht die neue Antifa.“ Kurz darauf verschwanden die Gegendemonstranten und „Anti-Schwurbler“ im schwarzen Habit von der gegenüberliegenden Straßenseite. Man könnte auch sagen, dass sie die Neuartigkeit nicht so sehr der Versammlung, aber von Guérots Worten, deren absolute Frankheit und Offenheit baff gemacht hatten.

Man kann ja auch keine gekaperten Flugzeuge abschießen

Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen kam Guérot auf das sachliche Thema der Demonstration zu sprechen. Als „Bittsteller“ hätten die versammelten Demonstranten „eine Ahnung, dass unsere Rechte schon verloren sind“: „Das zentrale Problem ist, dass wir uns nicht mehr auf einen Rechtsstaat verlassen können, der uns unsere Rechte zurückgibt, zumindest nicht in Sachen Corona.“ Sämtliche Klagen, so sagt sie voraus, würden kein Recht mehr bekommen, so wie man es in Weimar gesehen habe. Und das ist wohl der düsterste Moment ihrer kurzen Rede.

Guérot beklagte eine „ideologisierte Gerichtsbarkeit“ sowie „das Verantwortungslose der Funktionseliten dieses Landes“. Sie verglich unter anderem die offizielle Zahl der „mit und an Corona Gestorbenen“ mit den bisher bekannten Impfschädigungen und stellte fest, dass beide Zahlen etwa gleich bei um die 135.000 Fällen liegen. Daraus folgerte Guérot, dass auch jede Impfpflicht – etwa auch die bestehende für Pflegekräfte und Feuerwehrleute – gegen die Menschenwürde verstoße, auch weil es sich um ein „Menschenexperiment“ handelt, weil keines der im Umlauf befindlichen Gentherapeutika seinen Zulassungsprozess ordnungsgemäß abgeschlossen habe.

Auch das Bundesverfassungsgericht griff sie mit Verweisend auf die Urteile vom 19. November 2021 („Bundesnotbremse“) und 27. April 2022 – massiv an, weil es die einrichtungsbezogene Impfpflicht ohne persönliche Anhörung abgesegnet hat: „Wir wissen, dass das, was Karlsruhe entschieden hat, de facto nicht richtig ist. Jeder, der denken kann, weiß das.“ Der Staat dürfe kein Menschenleben riskieren, um potentiell andere Menschenleben zu retten – wie beispielsweise das Urteil gegen das „Abschießen“ eines von Terroristen gekaperten Flugzeugs gezeigt habe: „Das ist geltendes Recht.“ Damit habe sich Karlsruhe von seiner eigenen Rechtsprechung entfernt.

Irgendwann kam der Underground in die Charts

Vermeintliche Maßnahmenbefürworter (sind sie das wirklich?) nahmen Guérots öffentliche Worte zum Anlass, um sich mit dem Pandemie-Management zu solidarisieren und implizit die Entlassung Guérots durch die Uni Bonn zu fordern. In diesem Tweet wird Guérots Rede falsch dargestellt, als ob sie von „Impftoten“ gesprochen hätte.

Wie sie berichtet, ist Guérot zusammen mit 90 kritischen Wissenschaftlern an einer neuen Webseite beteiligt, auf der Argumente gegen eine Impfpflicht (https://7argumente.de) vorgetragen werden. Diese Gruppe wolle daran arbeiten, „den Datensalat“ zum Thema Corona aufzuarbeiten – eine gerade in Deutschland dringende Aufgabe, wie der Bericht der Sachverständigenrats gezeigt hat.

Zum Schluss hat Guérot noch einen guten Wunsch an die Protestbewegung, der sie mit diesem Tag sicher angehört: „Worauf ich warte, das ist, dass mit uns so etwas passiert wie mit den Beatles, die in einem Hamburger Jazzkeller angefangen haben – man nannte das Underground und hat es am Anfang nicht ernst genommen. Aber irgendwann kam der Underground in die Charts.“ Und so wie einst die Beatles aus dem Underground in die Charts gekommen seien – so solle auch die Maßnahmenkritik zum neuen Mainstream werden. „Das machen wir jetzt, ich freue mich darüber, dass es so viele sind, die das so sehen. Schönen Abend, schönen Sonntag und – no pasarán.“



Anzeige