Tichys Einblick
Die Überheblichkeit der ÖRR-Journalisten

Wenn eine ZDF-Redakteurin eine Zugbegleiterin bloßstellt

Über die Regierungspolitik hört man von öffentlich-rechtlichen Fernsehjournalisten selten kritische Worte. Aber gegenüber gestressten Menschen offenbarten gerade zwei Journalistinnen in den sozialen Medien eine erstaunliche Arroganz. Viele Journalisten interessiert das Leben im unteren Drittel nicht.

Die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann und ihre ARD-Kollegin Anja Reschke haben kürzlich wegen irgendwelcher Lappalien ihren Twitter-Account angeworfen und dabei Einblick in ihr Selbstverständnis aus der ÖRR-Oberschichten-Perspektive gegeben. Frau Diekmann, als sie sich über den Ausfall ihres Zuges beschwerte, was man gut verstehen kann.

Wehe, wehe Schaffner:in 

Aber ihr Zorn richtete sich nicht gegen das Unternehmen Deutsche Bahn generell, sondern gegen die Wortwahl einer Zugbegleitung an die Mitreisenden. Beschwerden darüber, dass der Ersatzzug bis auf den letzten Sitzplatz besetzt sei, soll diese mit einem trotzigen Satz abgefertigt haben: „Niemand ist gezwungen, mitzufahren. Sie können jederzeit aussteigen.“ Per Twitter beschwerte sich Diekmann sichtlich aufgebracht – mit direkter Weiterleitung an die Bahnzentrale in Berlin. Die Deutsche Bahn entschuldigte sich daraufhin flugs für die unfreundlichen Worte der Kollegin. Das reichte Frau Diekmann jedoch nicht. Sie wollte wissen, an welche Stelle sie sich darüber hinaus weiter wenden müsste, um der Beschwerde weiteren Nachdruck zu verleihen. Aber: Warum nicht gleich über das Kontaktformular auf der Webseite der Deutschen Bahn gehen? Worin besteht die Notwendigkeit, die Mitarbeiterin wegen ihres als unpassend empfundenen Verhaltens an den Pranger zu stellen? Man beginnt, sich um die berufliche Zukunft der Schaffnerin zu sorgen – vermutlich ist das die sonst eingeforderte Frauensolidarität, die hier wirkt.

Zugbegleiter erleben jeden Tag unfreundliche, unhöfliche, mürrische, leider oft genug ausfallende und zunehmend gewalttätige Fahrgäste. Sieben tätliche Angriffe täglich erlebt das Zugpersonal; Beschimpfungen nicht einmal mitgerechnet. Frau Diekmann fehlt also in dieser Statistik – noch. Denn im Corona-Stress ist der Ton noch mal ein gutes Stück gröber geworden und die Hemmschwelle für persönliche Angriffe nimmt ab. Zugbegleiter sind die eigentlichen Puffer, sie sind die letzten, auf die gezählt und die ersten, auf die geschimpft wird: Einerseits das unfähige Unternehmen, das kaum noch einen geordneten Betriebsablauf durchführen kann – andererseits der Schaffner als Prellbock, auf den die gesammelte Wut der Fahrgäste über das offenkundige Versagen des Staatskonzerns knallt. Dass die betreffende Zugbegleiterin den Zugtausch nicht zu verantworten hat, aber dennoch dem geballten Unmut vor Ort ausgesetzt ist, scheint für Frau Diekmann nicht bedenkenswert. Unverständlich ist darüber hinaus, dass sie es in Kauf nimmt, die Zugbegleiterin durch ihre Beschwerde arbeitslos zu machen oder ihr erhebliche Nachteile einzubrocken. Vielmehr nutzt die ZDF-Journalistin ihren Bekanntheitsgrad dafür, um auf Twitter öffentlich gegen eine stressgeplagte Zugbegleiterin vorzugehen und die Konzernleitung zu alarmieren. Bezeichnend für den Zeitgeist des Kniefalles vor den Medien ist auch die Tatsache, dass die Bahn sofort einknickt und sich entschuldigt: TV-Promis zählen eben mehr als eine überforderte Zugbegleiterin, die für ihr neues Kostüm in Bordeaux dankbar sein soll, aber deren Nervenkostüm niemanden interessiert.

Die Mittagspause vorm Lockdown

ARD-Journalistin Anja Reschke hingegen wollte offenbar am letzten Tag vor dem Lockdown noch einmal einkaufen gehen und stolperte dabei über das Schild eines Ladens, auf dem die Mitarbeiter ihre kurze Mittagspause verkündeten. “Noch einen Tag, um etwas zu verkaufen und Weihnachtsgeschäft zu machen, aber Pause muss sein“, kommentierte Frau Reschke mit einem geposteten Foto des Schilds flapsig auf Twitter. Was bereits für negative Kommentare bei einem weniger reichweitenstarken Account gesorgt hätte, wurde bei Frau Reschke durch einen „von-oben-nach-unten“-Habitus verstärkt. In einer ohnehin hoch angespannten und für sehr, sehr viele Menschen entbehrungsreichen Zeit kommt sowas noch mal weniger gut an. Dass für viele Angestellte im Handel der Tag bereits sehr früh angefangen haben könnte, scheint schwer vorstellbar für eine Frau im betreuten Beschäftigungsverhältnis öffentlich-rechtlicher Sender. Dementsprechend fielen die Kommentare auf Twitter auf den Tweet von Frau Reschke aus, die ihr u.a. zu mehr Empathie und Bürgernähe rieten. Frau Reschke löschte daraufhin den Tweet.

Aber was passiert da bei den moralischen Aushängeschildern der Öffentlich-Rechtlichen Sender, die selten kritische Worte für die Regierungspolitik finden, aber nicht kommentarlos an einem Schild vorbeigehen können, das eine kurze Mittagspause verkündet, oder eine Zugbegleiterin mit dünnerem Nervenkostüm bei deren Arbeitgeber zu denunzieren?

Die öffentlich-rechtlichen Medien zeigt sich einzigartig arrogant

Nicht nur Nicole Diekmann und Anja Reschke haben in der letzten Woche jeweils anschaulich die Arroganz und Realitätsferne vieler Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks offenbart. Während Millionen von Bürgern um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen oder ihre Existenz in Trümmern liegen sehen, beharren ARD und ZDF beinhart auf einer weiteren Gebührenerhöhung. Dass in Zeiten großer wirtschaftlicher Krise und persönlicher Not auch die Sender kürzer treten könnten? Darauf kommen sie nicht. Es herrscht eine wachsende Kluft zwischen der „journalistischen Elite“ und der allgemeinen Bevölkerung. Nicht, dass dem Elfenbeinturm nun sämtliche Empathie abhanden gekommen wäre: Mögliche Ursachen für diese wachsende Kluft lassen sich vielmehr in der Angst vor sozialer und beruflicher Isolation sowie in der Identifikation mit der „richtigen“ Seite finden. Außerdem stammen die Journalisten in ihrer sozialen Zusammensetzung vor allem aus der oberen Mittelschicht und können so die Gesamtgesellschaft weder verstehen, noch ausgewogen repräsentieren. Viele Journalisten interessiert schlichtweg das Leben anderer im unteren Einkommensdrittel der Gesellschaft auch nicht.

Andere ständig maßregeln zu wollen, zeugt von sehr viel Unverständnis und der heimlichen Verachtung von Lebensweisen, die nicht der eigenen Klasse entsprechen. Natürlich meint man, diese „Andersdenkenden“ dazu zu bringen, auch so zu denken wie man selbst als Journalist, und sei es, indem man sie öffentlich bloßstellt wie Frau Diekmann die Zugschaffnerin. Notfalls kann man sie auch zumindest unterschwellig als Verschwörungstheoretiker oder Rechte diffamieren. Selbstkritik dagegen ist weitgehend unbekannt. Auch Frau Diekmann kam nicht auf die Idee, dass an ihrem auf Eskalation geschalteten Verhalten etwas falsch sein könnte. Stattdessen gefiel ihr der Tweet eines Kommentators, der die zahlreichen Kritiker ihres Verhaltens (aus allen politischen Lagern) zusammengefasst als „Schwurbler“ bezeichnete.

Die Bodenhaftung zur Normalität scheint im ÖRR dabei längst verloren gegangen zu sein. Damit sind Nicole Diekmann oder Anja Reschke nicht allein. Vielmehr ist ihre Haltung Ausdruck einer elitären Überheblichkeit, die bei viel zu vielen Journalisten zu beobachten ist. In der Corona-Berichterstattung stellte WDR-Programm-Direktor Jörg Schönenborn wachsende Kritik an doch so gut gemeinten Sendungen fest. “Da muss vorher irgendetwas zerbrochen sein.“ Stimmt. Vielleicht erleben die Zuschauer diese Arroganz zwischen den Zeilen? Strahlt die per Twitter dokumentierte Grundhaltung aus dem Programm aus?

Menschen in der Öffentlichkeit, die sich selbst auf die Fahne schreiben, Toleranz für andere Lebensrealitäten zu besitzen und ihr Publikum maßregelnd dazu anzuhalten, sollten auch andere in ihren Bedürfnissen ernst nehmen. Die Verachtung, mit der Vertreter des ÖRR diejenigen außerhalb ihrer Lebenswelt betrachten, ist jedoch ein tiefgreifendes Problem. Man könnte auf die Idee kommen, dass oftmals jene, die am lautesten „Solidarität“ fordern, selbst gar nicht so besonders solidarisch handeln.

Auch Sahra Wagenknecht von der Linken kritisierte die akademisch und großstädtisch geprägten eigenen Mitglieder mit wenig Verständnis für die Themen, die beispielsweise Handwerker oder Reinigungskräfte bewegten. Die bemühte, gendergerechte Schluckauf-Pause bei Reporter-Schluckpause-Innen dagegen beschäftigt die Sprecher*innen deutlich mehr als ihre Zuschauer*innen; weil die Moderator*innen sich sonst als Frauen nicht wahrgenommen fühlen. Vielleicht wären mehr Verständnis und Höflichkeit gegenüber der Unterschicht und weniger Gender-Sender-Schluckauf-Frauen hilfreicher?

Kein Widerspruch möglich

Woran es Vertretern des öffentlich-rechtlichen-Rundfunks oft mangelt, ist Demut. Demut gegenüber dem gesellschaftlichen Rahmen, der ihnen Sonderrechte und Deutungshoheit ermöglicht. Demut gegenüber der Aufgabe, die Gesellschaft aufzuklären. Und nicht zuletzt Demut und Respekt vor den Lesern, Zuschauern und Mitmenschen, die allesamt Gebührenzahler sind.

Nicole Diekmann will zukünftig nur noch ihren PKW benutzen, teilt sie auf Twitter dazu weiter mit. Womit sich Reisende und Personal auch weiterhin jeden Tag auseinandersetzen müssen, Verspätungen, Ausfälle, zu hohe Auslastung etc etc sollen die sich doch über ihren Twitter-Account darüber beschweren.

Aber wer vom Flachbildschirm aus predigt, kennt keinen Widerspruch. Es ist Einweg-Kommunikation von oben nach unten. Schade nur, dass es hier für die Vertreterinnen noch keine Fernbedienung gibt, mit der sie ihre lästigen Gebührenzahler einfach wegzappen können.

Die Vorstellung der TV-Stars weichen von den Hoffnungen und Sorgen weit ab, die den Normalbürger umtreiben.

Der Netzfund anbei hat ein wenig von dieser Diskrepanz eingefangen:

 

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