Tichys Einblick
Medium internationaler Oppositionsbewegungen

Bundesregierung will Telegram regulieren

In Weißrussland, dem Iran und Thailand ist Telegram das Instrument zur Vernetzung oppositioneller Gruppen – auch in der Ukraine und in Hongkong baute man auf den Messengerdienst. Deutschland will die App nun durchregulieren – und bietet den Regimes in Minsk, Teheran & Co. den perfekten Vorwand.

IMAGO / ZUMA Wire

Nach Mordwünschen gegen Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hat das LKA Sachsen bei Razzien mehrere Waffen sichergestellt. In einer Telegram-Gruppe namens „Dresden Offlinevernetzung“ hatten sich Gegner der Corona-Politik und Corona-Impfgegner zusammengeschlossen. Reporter des ZDF hatten die über hundert Personen umfassende Telegramgruppe infiltriert. Tonausschnitte belegen, wie Gruppenmitglieder bereit sind, „zur Not mit Waffengewalt gegen diese dummen Spacken, die uns hier kaputt machen wollen, vorzugehen“. Verdeckt filmen die Journalisten ein Treffen von Gruppenmitgliedern auf einem Parkplatz am Wald. Man sieht mehrere Menschen zusammenkommen. Audioaufnahmen des Treffens gibt es nicht. „Wir können nur aus großer Distanz filmen – es ist gefährlich, sie haben Hunde dabei“, heißt es zur Erklärung durch die Stimme aus dem Off. Am nächsten Tag heißt es im Chat: „Das hatten wir ja gesagt bei dem Offline-Treffen, dass wir den – nech, Absägen – wollen“ sowie weitere schwere Drohungen.

Für das ZDF ist das der Beleg für Mordpläne gegen Sachsens Ministerpräsidenten Kretschmer, auch die Polizei ermittelt wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenen Straftat“. Auch der Ministerpräsident selbst zeigt sich erleichtert: „Ich bin froh, dass der Rechtsstaat heute im Freistaat gezeigt hat, wie wehrhaft er ist“, erklärte er am Mittag beim Besuch eines Impfzentrums. Kretschmer will nun weitergehende Konsequenzen – sein Unmut richtet sich gegen den Messengerdienst Telegram im Gesamten. Dieser müsse aktiv gegen Hass auf seiner Plattform vorgehen. „Es kann nicht länger angehen, dass die Betreiber von Telegram von Dubai aus tatenlos zuschauen, wie in ihrem Netzwerk Morddrohungen verbreitet werden“, sagte Kretschmer gegenüber Bild am Sonntag. „Andernfalls muss die EU, muss die Bundesregierung, müssen Apple und Android die Nutzung einschränken.“

Die FDP als Vollstrecker

Der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) stimmt denselben Sound an. Er fordert nun einen europäischen Rechtsrahmen, um gegen „Hass und Hetze“ im Internet vorzugehen. Auf der Website des Justizministeriums lässt sich Buschmann so zitieren: „Unser Rechtsstaat muss entschieden gegen Hassstraftaten vorgehen. Zugleich sind auch die sozialen Netzwerke in der Pflicht: Die Vorgaben des NetzDG sind verbindlich -– und kennen keine pauschale Ausnahme für Messenger-Dienste wie Telegram.“

Erstaunlich ist das, weil sich die FDP bislang stets kritisch zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) geäußert hatte – in der vergangenen Legislaturperiode nannte die FDP-Fraktion das vom früheren Justizminister Heiko Maas (SPD) eingebrachte Gesetz „verfassungsrechtlich mindestens zweifelhaft“ und beantragte sogar die ersatzlose Streichung. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Die Ampel, inklusive FDP, will sich handlungsstark gegen „Hass und Hetze“ zeigen – Verfassungsbedenken spielen offenbar keine große Rolle mehr.

Doch Möglichkeiten zum Vorgehen sind kompliziert und langwierig. Das NetzDG müsste verschärft werden, im Zweifel müsste man per Gesetz den Zugang zum Messengerdienst abstellen. Telegram setzt bewusst auf unzensierte, freie Kommunikation über seinen Service. Nur in seltenen Fällen griff das ursprünglich russische Unternehmen gegen Inhalte ein, löschte so zum Beispiel Dschihadisten-Propaganda.

Die anonyme, sichere Kommunikation hat die App zum Instrument vieler Oppositionsbewegungen weltweit gemacht, die sich staatlichen Repressionen ausgesetzt sehen. Im Sommer 2020 war Telegram beispielsweise elementar für die Gegner des weißrussischen Diktators Lukaschenko, um ihren Widerstand zu organisieren. Auch die Massenproteste im Iran wurden in großen Teilen via Telegram organisiert. Die Oppositionsbewegung in Hongkong nutzte sie genauso wie die in der Ukraine und in Thailand.

Ein staatlicher Angriff auf die anonyme Kommunikation in Deutschland hätte vor diesem Hintergrund eine fatale Signalwirkung – in einer Zeit von Ausnahmezuständen und Grundrechtsbeugungen insbesondere. Denn welches Argument bliebe übrig gegen eine Durchleuchtung von privaten Chats in Diktaturen weltweit, wenn das Gleiche schon in Deutschland passiert?

Anzeige