Tichys Einblick
Demografieblind

Syrer zurück in die Heimat?

Wer sunnitische Syrer holt, um sie kurzfristig in einem „Überlaufbecken“ zu versorgen – so Herwig Münklers berühmte Merkel-Verteidigung – , tastet sich demografieblind durch die Weltgeschichte.

Durch Assads „Schüsse auf friedliche Protestierer“ in Daraa – Putin lässt es gerade bombardieren – sei 2011 in Syrien der Bürgerkrieg ausgebrochen. So reimt sich der Economist am 30. Juni seine Kriegstheorie zusammen. Sechs Millionen Syrer leben außer Landes, 500.000 sind tot. Jetzt müssten die Flüchtlinge zurück nach Hause, damit sich die Welt kein zweites Problem à la Palästina einhandele. Der Westen solle die Übernahme der Heimreisekosten übernehmen. Im Gegenzug müsse Assad Autonomie gewähren.

Die 6,5 Millionen erschüttern und doch ist Syriens Bevölkerung von 21 Millionen im Jahre 2011 keineswegs auf 14,5 Millionen zurückgegangen. Sie steht heute – inklusive der 6,5 Millionen Binnenvertriebenen – bei knapp 19 Millionen. Das kann bei einer so vitalen Nation – mit 4 bis 7 Kindern pro Frau zwischen 1950 und 2000 – nicht verwundern. Fünfzig Jahre vor Kriegsbeginn – was nicht allein dem Economist entgeht – steht sie erst bei 4,5 Millionen. Hätte Deutschland zwischen 1960 (73,4 Mill.) und 2010 so zugelegt, gäbe es heute 343 statt 81 Millionen zwischen Rhein und Oder. Man stelle sich die Nachbarn vor, wenn solche verzweifelten Massen in die „verlorenen“ Gebiete „zurückkehren“ wollten.

In Assads Syrien, wo man für 2030 sogar 27 Millionen Einwohner prognostiziert, fehlen noch auf Jahrzehnte hinaus keine Menschen für den Wiederaufbau. Jedoch nicht allein deshalb unterbleibt in Damaskus ein händeringendes Warten auf die Landsleute. Aleviten, frisch importierte Schiiten und auch Christen wollen sie nicht zurück, weil es meist um Sunniten geht, deren Gebiete gerade ethnisch umgepolt werden.

Dennoch geht es nicht um einen Religionskrieg, sondern um den religiös verbrämten Ausgleich zwischen überschießenden Ambitionen und knappen Positionen. Er wäre selbst durch liebevollste Imame kaum zu beenden, solange der Kriegsindex über 2.5 steht. Dabei kämpfen 2.500 Jünglinge zwischen 15 und 19 um die Positionen von 1.000 Rentenanwärtern zwischen 55 und 59 Jahren. In Syrien klettert er bis 1970 auf 3.2 (D: 1.4). Die 4.0 überspringt er – mit Höhepunkten beim Töten – 2015 (D: 0.65). 2030 wird er mit 2.7 immer noch dreieinhalbmal höher ausfallen als hierzulande (0.75).

Wer also sunnitische Syrer holt, um sie kurzfristig in einem „Überlaufbecken“ zu versorgen – so Herwig Münklers berühmte Merkel-Verteidigung –, tastet sich demografieblind durch die Weltgeschichte. Erfolgt das im Elfenbeinturm, mag es unbemerkt bleiben. Als staatliche Politik jedoch lasten die Folgen noch lange auf den überrumpelten Bürgern.