Tichys Einblick
Bürgerkrieg per Playmobil

Spanien, Katalonien und Valencia: die lachende Dritte

Während Katalonien wirtschaftlich ausblutet und Madrid bis zu den Neuwahlen dort als strenger Polizist agieren muss, profitiert die drittgrößte spanische Stadt Valencia von dem Machtkampf und überzeugt Investoren durch eine nachhaltige Politik. Im Spielzeugladen wird der Konflikt per Playmobil ausgetragen.

The new headquarters of 'La Caixa - Caixabank' are pictured in Valencia on October 7, 2017. La Caixa - Caixabank' Catalonia's biggest lender shifted its legal headquarters out of Catalonia due to the uncertainty caused by the referendum vote outlawed by Madrid and the announcement by Catalan Government of a possible declaration of independence

© Jose Jordan/AFP/Getty Images

Gestern erlebten die Spanier live, wie die Realität jede Seifenoper übertreffen kann. Der katalanische, inzwischen Ex-Präsident, Carles Puigdemont, liess im Regional-Parlament nach einem tagelangen kindischen Spiel mit den Medien und der Madrider Politik über die Unabhängigkeit seiner Region abstimmen. Mit 70 von 135 Stimmen bekam diese die Mehrheit, weil viele Politiker wegen der Illegalität der Wahl das Parlament verlassen hatten oder sich enthielten. Nach Tagen des Zauderns zog der 55jährige Politiker der Regierungspartei PDeCat  es vor, eventuell mehrere Jahre ins Gefängnis zu wandern, statt als Verräter der Unabhängigkeitsidee darzustehen. Für einen kurzen Moment hatte seine  extremistische Koalitionspartei, die CUP, das Gefühl, wirklich in einer katalanischen Republik zu leben,  aber schon wenige Stunden später war der Spaß vorbei.

Barcelona bringt sich in Stellung. Ein Spielzeugladen in der Stadt visualisiert den Konflikt mit Playmobil plastisch im Schaufenster:

Madrid wandte nach Wochen des Zauderns den Artikel 155 der spanischen Verfassung an und entmachtete Puigdemont & Genossen am gleichen Tag. Neuwahlen in Katalonien wurden für den 21. Dezember angekündigt. “Ein gefährliches Spiel, weil die Separatisten wieder an die Macht kommen könnten, wenn sie es schaffen, die Massen zu mobilisieren. Jetzt fängt die Show erst richtig an,” sagt Ruben Vidal, der in Katalonien groß und dessen Familie wegen des Separatismus aus der Region vertrieben wurde: “Weil wir anders denken, pro-spanisch.” Der Künstler lebt inzwischen in Berlin. Auch Intellektuelle wie die international anerkannte katalanische Filmemacherin Isabel Coixet hatten sich in den vergangenen Wochen über den Druck der Separatisten auf Andersdenkende beschwert.

Valencia ist der lachende Dritte im Streit um die beste Fahne

Während in den sozialen Medien pro Spanien denkende katalanische Familien wie die Vidals jetzt zu Kampagnen aufrufen, vor aller Welt Farbe zu bekennen, die spanische Flagge zu hissen, noch mehr als in den vergangenen Wochen, gibt es eine Region, die diesem ganzen Geschehen sehr nüchtern gegenübersteht: Valencia. Hier ignoriert man den Konflikt zwischen Barcelona und Madrid fast. Das Regionalfernsehen redet lieber von den heimischen Fußball-Erfolgen als von dem “katalanischen Konflikt”. Es gibt hier auch Nationalismus, man spricht immerhin dieselbe Sprache wie die Katalanen. Seit dem Regierungswechsel 2015 wurde dieser Nationalismus jedoch in einen nutzwertigen, der Wirtschaft wohltuenden Patriotismus umgewandelt. Auch deswegen steht Valencia derzeit so gut da wie lange nicht mehr. Die valencianischen Machthabenden verfolgen nur noch ein Ziel: das Image der bis vor 2015 noch von Korruption dursetzten Region zu ändern, die  Arbeitslosigkeit zu reduzieren, Investitionen anziehen, wirtschaftlich nachhaltig zu wachsen und das alles unter der schützenden Hand des spanischen Staates.

Pragmatismus statt Ideologie

Damit geht Valencia als Gewinner aus einer Schlacht zwischen Madrid und Barcelona hervor, die man als direkter Beobachter nur noch als absurd bezeichnen kann und die manche als pure Show betrachten, um die vielen Korruptionsskandale auf der einen wie der anderen Seite zu verstecken. Schon im Fußball bekämpfen sich Madrid und Barcelona aufs Schärfste und lassen darüber oft vergessen, dass es hier um Sport geht.

Der politische Kampf beider Lager wird zwangsläufig in den kommenden Wochen eskalieren. Der Fußball, der für die Spanier so wichtig ist, wird dazu Stellung nehmen müssen. Der FC Barcelona hat sich in dem Kampf um Unabhängigkeit schon mehrfach pro Separatismus und Referendum positioniert, dann aber wieder distanziert, schließlich spielt man ja in der spanischen Liga. Der Konflikt der spanischen Gesellschaft, die Zerissenheit und die Absurdität der Separatisten zeigt sich auch an dem Auftreten von FC Barcelona-Spieler Gerard Piqué. Er will die katalanische Republik, aber gleichzeitig weigert er sich, die spanische Nationalmannschaft zu verlassen.

Katalonien verliert, Valencia gewinnt

Auch hier beim Fußball nutzt Valencia die Gunst der Stunde. Der Club sonst auf dem dritten, vierten oder fünften Platz in der spanischen Liga, steht zum Start der Saison auf Platz 2 und spiegelt damit wieder, was in dieser Region, die Touristen-Hochburgen wie Alicante, Denia und Benidorm beherbegt, steckt. Nach 20 Jahren Korruption und Vetternwirtschaft der Volkspartei PP wird jetzt mit neuen politischen Pakten und gesundem Patriotismus Kasse gemacht. Die Region blüht auf, gewinnt neues Selbstvertrauen, auch gegenüber Madrid und Barcelona. In der weißen Stadt am Meer hängen in der Altstadt valencianische und spanische Flaggen friedlich nebeneinander. Die Regionalsprache “Valenciano” wird gepflegt, aber anders als in Katalonien wird sie nicht zum Zwang an Schulen und im öffentlichen Leben.

Wohin?
Rajoy suspendiert Puigdemont in Katalonien
Momentan  ist zwar der wirtschaftliche Abstand zu Katalonien noch groß, die Region erwirtschaftet nur die Hälfte des katalanischen BIPs, aber auch das könnte sich bald ändern. Denn Valencia zeigt neue Wege auf, welche die Region schon bald in vielen Kategorien auf den 1. Platz in Spanien manövrieren könnte, nicht nur beim Fußball. Der Tourismus ist der erste Nutznießer der Madrid-Barcelona-Krise. Deutsche Kreuzfahrtschiffe liefen in den vergangenen Wochen lieber in Valencia ein als in Barcelona und auch beim Warenumschlag hat der Hafen der autonomen Region gegenüber Katalonien deutlich zugelegt und führt inzwischen das nationale Ranking im Container-Umschlag an. Nach einer Untersuchung der Agentur ForwardKeys, hat Katalonien seit der Abhaltung des gegen die spanische Verfassung stoßenden Referendums am 1. Oktober 22 Prozent der touristischen Flugbuchungen verloren, während der lange Sommer Valencia dagegen Rekordzahlen bei Hotelbuchungen verschafft.
Politische Wende hat Valencia wieder aufblühen lassen

Der 2015 als Chef der Regionalregierung gewählte Sozialdemokrat Joaquín Francisco Puig Ferrer ist unter anderem für den positiven Wandel der vorher von Korruption durchsetzten und 2013 Pleite gegeangenen autonomen Gemeinschaft verantwortlich, aber nochmehr die Wähler, welche auf eine völlig neue Parteien-Form gesetzt haben: Compromís (Kompromiss), unter dessen Dach sich Grüne, Linke und valencianische Nationalisten zusammengefunden haben, um eine Politik für die Valencianer zu machen, deren Steuergelder über Jahrzehnte in die Taschen von vor allem rechtskonservativen Politikern, aber nicht in die Verbesserung von Ausbildung, Infrastruktur und Umwelt geflossen sind.

Das neue Klima in der Region ist auch ein Grund, warum so viele katalanische Unternehmen nach der Flucht aus Barcelona und Umgebung ihr neues Zuhause in Valencia gesucht haben, unter anderem die Banken Sabadell und Caixabank. Der Valencianer Francisco Álvarez, ehemalige Führungskraft der Pariser Börse, Wirtschaftsjournalist und mehrfacher Buchautor ist aus dem Ruhestand zurück in die aktive Politik getreten, um diesen Wandel seiner Region mitzubestimmen. Er betreut das Projekt “Gemeinwohl-Ökonomie”, das Valencias Wirtschaft und politisches Handeln nur noch an einem messen soll: Nachhaltigkeit: “Die Katalanen sind dabei ihre Region aufgrund von Extremismus herunterzuwirtschaften, wir haben keine Zeit  für solchen Firlefanz wie Nationalismus,” sagt Álvarez.

Anders als in Katalonien warnten die valencianischen Unternehmen frühzeitig vor regionalem Extremismus. Ihre Lobby, die Asociación Valenciana de Empresarios (AVE), lässt auch Madrid klar wissen: “Wir waren immer loyal gegenüber der Krone und dem spanischen Staat. Dennoch wollen wir unsere Region fördern und dazu brauchen wie die Hilfe und konkrete Förderung aus Madrid,” sagt Diego Lorente, Geschäftsführer der AVE. Vicent Domingo, der für den Bürgermeister Valencias der Hüter der Nachhaltigkeit bei Ernährungs- und landwirtschaftlichen Fragen ist, glaubt, dass der katalanische Weg anachronistisch ist und den wirtschaftlichen Interessen der Region langfristig enorm schaden wird: “Die Zukunft liegt in der Verknüpfung von Städten. Grenzen und Flaggen sind nicht wichtig für den menschlichen Fortschritt, sondern nur das gemeinschaftliche Handeln.”