Tichys Einblick
Digitalisierung der Schulen

Soviel kostet uns die IT-Kompetenz der Kinder 

„Kinder sind unsere Zukunft“ oder „Als rohstoffarmes Land sind unsere Köpfe das größte Kapital, das es zu bewahren gilt!“ Gebetsmühlen-Sätze von Bildungspolitikern. Doch was sind sie wert, wenn die Digitalisierung an unseren Schulen anscheinend völlig aus der Spur läuft? Von Ralf Krämer

Am 21. September letzten Jahres ereilte den Tagesschau-Konsumenten die überraschende Meldung: „Laptops für Lehrer sollen zügig kommen„, um einen digitalen Unterricht zu ermöglichen. Dazu stellt die Bundesregierung 500 Millionen Euro zur Verfügung, für den „Kampf gegen Rechts“ waren kurz vorher noch locker mehr als „eine Milliarde Euro zusätzlich“ drin. 

Dass von nun an alle 800.000 Lehrer mit einem Dienstlaptop ausgestattet werden sollen, klingt zunächst banal, ist aber höchstens der logische erste Schritt, dem leider viele Hürden folgen, versteckt in bundesdeutscher Bürokratie. 

Bislang haben 90 Prozent aller Lehrer mit ihren privaten Geräten gearbeitet. Viele Lehrer haben nicht mal eine dienstliche E-Mail-Adresse. Nun also sollen für jeden Lehrer 600 Euro für die Beschaffung eines Laptops zur Verfügung stehen. Ein guter Anfang, werden manche denken, doch haben die Politiker da an die selbst gemachten Vorschriften und an die Folgekosten gedacht? Hier nur ein Auszug:

  • Darf ein Lehrer einfach so digitalen Unterricht an einem Laptop geben? 
  • Welche Software benötigt der Lehrkörper, welche der Schüler? 
  • Welche Sicherheitsmaßnahmen sind zu treffen? 
  • Welche Fortbildungen müssen bundesdeutsche Lehrer besuchen, bevor sie überhaupt das erste Mal echten Online-Unterricht anbieten dürfen?
Aufgaben wachsen – das Geld dafür bleibt ein Mangel

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Zudem stellt sich die Frage: Was will eigentlich die Gesellschaft außerhalb der Lehrerschaft? Es ist kein Geheimnis, dass auf die Schule als Bildungseinrichtung immer neue Aufgaben warten, die zusätzlich zu erfüllen sind. Zum eigentlichen Bildungsauftrag gesellten sich allein in jüngster Vergangenheit Inklusion, Gelenkklassen, Umstrukturierungen (G8/G9) etc.

Es wird also kaum bei den 600 Euro bleiben, denn die Schulen benötigen zusätzlich eine IT-Infrastruktur, einen IT-Administrator und in den einzelnen Bundesländern auch noch dringend benötigte Ausführungsvorschriften, etwa über die notwendige Software, die jedem Schüler und Lehrer zur Verfügung stehen sollte.

Nur wenige bundesdeutsche Schulen haben einen IT-Administrator, diesen könnten sie auch kaum finanzieren, denn hierzu müssen die Schulen mit der freien Wirtschaft konkurrieren. Fähige IT-Administratoren sind überall gefragt und daher teuer. Wenn alle Lehrkräfte ein eigenes Laptop oder Tablet bekommen sollen, sind IT-Administratoren unabdingbar, ansonsten droht, das LKW-Ladungen voller Tablets und Laptops in den Kellern der Schulen ungenutzt verstauben.

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Auch hier sieht man, wie kurz Bund und Länder oft denken. Ein kleines Rechenbeispiel zeigt das Dilemma: Wollte man jeder der gut 40.000 Schulen einen IT-Administrator zur Verfügung stellen, dann kostete das rund zwei Milliarden Euro – pro Jahr! Es werden somit wohl Lehrer zu „Digitalisierungsbeauftragten“ ernannt, dafür dürfen diese dann erfahrungsgemäß 10 Prozent weniger Unterricht geben. IT-Kenntnisse sind dabei selten eine Voraussetzung, nur die Befähigung zum Lehramt.

Einen Sprint in die dringend notwendige IT-Zukunft unserer Schulen wird es also kaum geben, eher ein zäher Hindernislauf. Wie soll bei solchen Zuständen die Einsicht entstehen, dass digital gestützter Unterricht aus der Schule nicht mehr wegzudenken ist? 

Wohin die Reise gehen muss, zeigt beispielhaft die Stellenanzeige einer Schule in Singapur: Gesucht wird ein System Analyst für eine einzige Schule, der sich Vollzeit mit der Datenerhebung und Datenanalyse an der Schule befasst. Hierzu sollen alle erhobenen Schüler- und Leistungsdaten in lerndiagnostischen Tools analysiert und für die Lehrkräfte täglich aufbereitet werden. Erwartet werden ein Universitätsabschluss in Computerwissenschaften, Datenwissenschaften oder verwandten Studiengängen und 5 Jahre Berufserfahrung in der IT-Industrie außerhalb des Bildungswesens, sowie gute Kenntnisse in C#, .NET und SQL. Die Arbeit erfolgt im schuleigenen IT-Team, unterstützt durch die ebenfalls in Vollzeit angestellten Systemadministratoren und IT-Techniker der Schule.

500 Euro pro Schüler für eine funktionierende IT-Umgebung

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Die Frage ist also, wieviel ist uns die lange verschlafene Digitalisierung unserer Schulen wert? Wieviel kostet uns ein gut auf die digitale Zukunft vorbereiteter Schüler? Erkenntnisse ergeben sich beim Blick auf Schulen in privater Trägerschaft. Unsere drei Kinder waren und sind an der britischen „International St. Georges’s School“, heuer ist es nur noch unser Jüngster. Er hat den Lockdown zunächst in der neunten und jetzt in der zehnten Klasse erlebt, ohne nennenswerte Ausfälle, denn der Unterricht findet regelmäßig und ohne größere Probleme via Internet statt. Der private Schulträger hat in den letzten Jahren massiv in den Aufbau seiner IT-Infrastruktur investiert, die Eltern zahlen dafür eine extra IT-Gebühr, rund 500 Euro pro Jahr. Und obwohl der Einsatz der Computer zunächst als sinnvolle Ergänzung des Präsenzunterrichts gedacht war, bewährt sich nun, dass Lehrer und Schüler entweder einen zur Verfügung gestellten Schulrechner nutzen (für Schüler gegen eine Leih-Gebühr), oder zu Hause auf dem eigenen PC lernen können. So können die Klassen ein Referat eines Mitschülers via Splitscreen (aufgeteiltem Bildschirm) verfolgen, manches Mal auch inklusive dem aufgeregten Bellen des Haushundes. Mein ganz persönliches Fazit lautet: Digitaler Unterricht funktioniert nur dann, wenn die Schulen, die Lehrer und die Schüler rechtzeitig darauf vorbereitet sind und die notwendige finanzielle Ausstattung zur Verfügung steht!

Machen wir also die Rechnung für eine Digitalisierung deutscher Schulen erneut auf, nicht 600 Euro pro Lehrer, sondern 500 Euro pro Schüler an allgemeinbildenden Schulen. Laut Statista gab es im Schuljahr 2019/2020 rund 8,33 Millionen Schüler und Schülerinnen. Macht also rund 4,15 Mrd. Euro im Jahr, inklusive des PCs für alle Lehrer. Die notwendige Ausrüstung auf Seiten der Schüler ist in dieser Rechnung noch nicht enthalten. Angesichts dieser Herausforderungen wirken die o.g. 500 Millionen eher hilflos.

Auch Unternehmen reagieren schon auf den Mangel

Inzwischen sind auch Unternehmen auf das Problem aufmerksam geworden. Sie unterbreiten Angebote, die direkt auf die Lehrerschaft zugeschnitten sind. So bietet das Telekommunikationsunternehmen Telefónica (O2) ein „Rundum-sorglos-Paket“ für die gebeutelte Lehrerschaft an. Die Lehrerinnen und Lehrer bekommen ein hochwertiges Tablet mit einer unbegrenzten Datenflatrate. Die Geräte werden für und mit den Lehrkräften eingerichtet. Doch bezahlen müssen die engagierten Lehrer dieses sinnvolle Extra oft noch selbst.

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