Tichys Einblick
Demophobie

Sonneberg und kein Ende der Wählerbeschimpfung

Der Landkreis Sonneberg, mag er noch so klein sein, müsste den Arrivierten endlich zeigen, dass Wählerbeschimpfungen - nach jüngsten Umfragen bedeutete dies jeden potenziell fünften Wähler bundesweit zum „Nazi“ zu erklären - und Ausgrenzung (die in großer Zahl ehemalige CDU-Wähler sind) hinter Brandmauern das Gegenteil des Angestrebten erreichen.

IMAGO / Jacob Schröter

Vorweg die Diagnose: Etablierte Parteien und Medien, die programmatisch immer häufiger wie ein Block im Schulterschluss als die demokratischen Parteien und Medien auftreten, leiden unter „Demophobie“. Demophobie? Das ist die Angst (Phobie) der Regierenden vor dem Volk (griechisch: „demos“). Die politischen und medialen Alt-„Eliten“ umgekehrt kaschieren ihre eigene Angst vor dem Volk, indem sie das Volk mit „Phobokratie“ in Schach halten wollen. Das heißt, man regiert (griechisch: „kratein“) mit Ängsten (Phobien): Ängsten vor dem Klimawandel, vor dem Corona-Virus, immer häufiger auch mit Angstmachen vor einem Rechtsruck Deutschlands. Denn angeblich schaute die ganze Welt am Sonntag, 26. Juni, besorgt und vorab schon mit Schnappatmung nach Sonneberg zur dort außerturnusmäßig fälligen Landratswahl.

Immer häufiger nimmt diese Demophobie irrationale, teils auch hysterische Züge an. Der demoskopische Höhenflug der AfD hinauf bis auf bundesweit 20 Prozent hat bei Parteien, Medien, den immer gleichen Politologen sowie beim obersten Verfassungsschützer Haldenwang diesbezüglich bereits einige Sicherungen durchbrennen lassen. Und nun scheint Hitlers Wiedergeburt im Landkreis trotzdem geschehen zu sein. Dort erringt der AfD-Kandidat Robert Sesselmann bei einer gegenüber dem Erstdurchgang deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung das Amt des Landrats gegen den CDU-Kandidaten Jürgen Köpper, der von den Altparteien unterstützt wurde. Vor der Stichwahl hatte übrigens Thüringens Links- Ministerpräsident Bodo Ramelow für eine höhere Wahlbeteiligung geworben. Er meinte, das würde dem AfD-Kandidaten schaden. Tatsächlich aber war im 2. Wahlgang die Wahlbeteiligung deutlich höher. Die AfD profitierte entscheidend davon: Der CDU-Mann konnte 918 Stimmen zulegen, der AfD-Mann 4.051 Stimmen. Ramelows Wunsch ging also nach hinten los.

Dennoch, die Bäume des ersten deutschen AfD-Landrats werden nicht in den Himmel wachsen. Der thüringische Landkreis Sonneberg unmittelbar an der Grenze zu Bayern ist zum einen ein sehr kleiner Landkreis. Zugleich hat der neue Landrat einen Kreisrat im Nacken, der ihn im Handeln als oberster Verwaltungschef des Landratsamtes erheblich einschränkt – etwa in Haushaltsfragen. Zur Erinnerung hier die Verteilung der 40 Kreisratssitze: CDU 10, AfD 9, Linkspartei 8, PRO LK SON 5, FDP 2, SPD 3, GRÜNE 2, fraktionslos 1. Das heißt in der Praxis, wenn der Landkreis Sonneberg, dessen Kreistag 2024 neu gewählt wird, nicht in einen Dämmerschlaf verfallen soll: Kreistag und Landrat müssen zusammenarbeiten. Sonst passiert in Sonneberg nichts mehr.

Gleichwohl herrscht bei den „Etablierten“ nun Panik. Ausreden machen die Runde. Der AfD-Mann habe mit Themen gewonnen, mit denen er nichts zu tun habe: Heizungen, Zuwanderung usw. Aber natürlich hat eine Kommune damit zu tun: Denn nach den Plänen der „Ampel“ sind es die Kommunen, die ein Register über Heizungsarten führen sollen, und vor allem sind es die Kommen, die die Folgen offener Grenzen zu tragen haben.

Nun aber ist ein neuer Sonneberger Landrat gewählt. Eine Polit-Fee wie Anfang 2020, als eine solche aus Südafrika per Telefon die reguläre Wahl des FDP-Manns Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten unter anderem mit AfD-Stimmen „unverzeihlich“ nannte und meinte, sie müsse wiederholt werden, ist nicht in Sicht. Zumal diese Polit-Fee von damals nicht mehr im Amt, allenfalls in Ordenswürden ist und später – viel zu spät – für ihr Eingreifen vom sonst so artigen Bundesverfassungsgericht gerügt worden war.

Ansonsten der übliche Alarmismus, der das Gegenteil dessen erreicht, was es will. Wir nennen einmal die größten realen AfD-Förderer: Ex-CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz: „Wer Faschisten wählt, will Faschisten wählen.“ SPD-Magenbitter Ralf Stegner, der die Wahl des AfD-Manns in Sonneberg mit Adolf Hitlers Machtergreifung verglich. Grünen-MdB Dieter Janeczek fantasierte von „Psychosen gekränkter Männer um Genderzwang und Veganerzwang“. SWR/ARD-Mann Georg Restle: Die „lieben“ Sonneberger AfD-Wähler hätten den Vertreter einer rechtsextremen Partei und einen, der „Seit´an Seit´mit Deutschlands berüchtigstem Rechtsextremisten (Björn Höcke, UR.) steht“, gewählt. Dunja Hayali (ZDF) meinte, die Wahl habe zeigt, „wie viele Menschen bereit sind, unter bestimmten Bedingungen ihre Stimme einer völkisch-nationalistischen und rassistischen Partei und ihren Leuten zu geben.“

Ende der Debatte? Nein, der Landkreis Sonneberg, mag er noch so klein sein, müsste den Arrivierten endlich zeigen, dass Wählerbeschimpfungen und das Einkerkern von AfD-Wählern (die in großer Zahl ehemalige CDU-Wähler sind) hinter „Brandmauern“ das Gegenteil des Angestrebten erreichen. Jeden potenziell fünften Wähler bundesweit und demnächst womöglich demnächst jeden dritten ostdeutschen Wähler zum „Nazi“ zu erklären: Das spaltet und lässt das AfD-Potential noch mehr wachsen. Also Schluss mit Phobokratie und Demophobie!

Bodo Ramelow ist da ausnahmsweise und wohl aus taktischen Gründen (in Thüringen wird der Landtag 2024 neu gewählt) etwas cleverer. Er erklärte das Sonneberger Ergebnis mit „Unzufriedenheit“, eine Beschimpfung der Wähler und des neuen Landrats unterließ er. Er weiß, dass er als „Linker“ im Herbst 2024 womöglich AfD-Wähler gewinnen könnte, die sein Russlandbild teilen.

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