Tichys Einblick
Ist das Maß endlich voll?

Scholz und Mützenich wollen sich nicht mehr von den Grünen auf der Nase rumtanzen lassen

Kanzler Scholz setzt sich in Punkto EU-Asylreform gegen die Grünen durch und lässt diese auflaufen. Und Fraktionschef Mützenich kanzelt die Familienministerin wegen der Kindergrundsicherung ab. Anscheinend hat man bei der SPD genug von den grünen Allüren. Doch wie lange hält das vor?

IMAGO / Metodi Popow
Es ist lange her, dass Olaf Scholz, damals noch Hamburger Bürgermeister, vollmundig ankündigte: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“ Im Jahr 2015 muss das wohl gewesen sein. Seitdem ist viel Zeit vergangen. Auf dem langen Weg ins Kanzleramt hat Scholz diesen Spruch wohl vergessen. Wiewohl das Grundgesetz in Artikel 65 eindeutig sagt: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.“

Richtlinienkompetenz heißt das im allgemeinen Sprachgebrauch. Scholz hat das bislang als „Abtauchkompetenz“ missverstanden. Eine Verteidigungsministerin Lambrecht hat er mehr als ein Jahr dahinwursteln lassen; eine Außenministerin ließ er bis zuletzt weltweit herumdilettieren; einen „Gesundheits“-Minister Lauterbach lässt er mit der Cannabisfreigabe sein Steckenpferd reiten; einen (Vettern-)Wirtschaftsminister nimmt er nicht an die Kandare; eine Innenministerin Faeser lässt er neben ihrem Hessen-Wahlkampf einen Minister-Halbtagsjob und eine Personalpolitik nach Gutsherrenart machen und so weiter, und so fort. Ansonsten lässt er jeder/jedem üppig Spielraum für Ideologieprojekte, wie etwa das Selbstbestimmungsgesetz, demzufolge man jährlich seine geschlechtliche Identität im Standesamt neu eintragen lassen kann.

Scholz greift endlich mal ein

Nun ist Scholz in letzter Minute wenigstens einmal der Kragen geplatzt. In einem eigenartigen Zusammenspiel von Baerbock („Grüne“) und Faeser (SPD) sollte Deutschland nach dem Willen der beiden eine Verschärfung des EU-Asylrechts blockieren. Es stand immerhin eine neue EU-Krisenverordnung an, die unter anderem längere Fristen für die Registrierung von Asylgesuchen an den Außengrenzen und niedrigere Standards bei der Unterbringung und Versorgung im Krisenfall vorsieht. Mit „Eurodac“ soll eine möglichst lückenlose Datenbank mit Fingerabdrücken und Gesichtsaufnahmen aufgebaut werden, um besser nachvollziehen zu können, wo sich in Europa ein Asylbewerber vorher aufgehalten hat. Mit einer Screening-Verordnung sollen Registrierungen beschleunigt und „Sekundärbewegungen“ zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten verhindert werden.

Das ging Faeser und Baerbock zu weit. Faesers Begründung: „Wegen Sorge vor signifikanter Herabsetzung der Standards für Schutzsuchende; keine Ausnahmen für Minderjährige und deren Familienangehörige sowie für Menschen mit identifizierbaren Behinderungen.“

Nun wird die Bundesregierung ihren Widerstand gegen Teile des EU-Migrationspakts aufgeben. Noch am Wochenende hatte Baerbock zwar den kategorischen Widerstand ihrer Partei gegen die so genannte Krisenregelung bekräftigt. Die „Grünen“ hatten gemeint, der Migrationspakt würde Europas „Rechtsstaat“ gefährden. Bundeskanzler Olaf Scholz überstimmte sie jedoch am Mittwoch und erklärte, Deutschland werde die neue Verordnung nicht blockieren. „Berlin wird nichts aufhalten“ im Zusammenhang mit der Krisenregelung in Brüssel, sagte Scholz, wie die FAZ aus Kreisen des Kanzleramtes erfuhr.

Faesers Schraubensalto in Brüssel

Faeser wird am heutigen Donnerstag in Brüssel ihre und Baerbocks Tricksereien hinter sich lassen müssen. Es ist genug Porzellan zertrümmert. Brav kündigt Faeser denn auch an, in Brüssel werde man sich auf „Kernelemente“ verständigen. Derweil bleiben die „Grünen“ trotzig und lecken ihre Wunden. Erik Marquardt („grünes“ Mitglied im Europäischen Parlament) etwa beklagte die mit dem EU-Pakt anstehende „Legalisierung von Leid“. Und er meint, Scholz habe hier gar nicht von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht.

Mützenichs schallende Ohrfeige für Familienministerin Paus

Während nun also Scholz die „grünen“ Faxen in Sachen Migration wenigstens einmal dicke hatte, zeigte der in Berlin wohl zweitstärkste SPD-Mann, Fraktionsvorsitzender Ralf Mützenich, ebenfalls den „Grünen“ die gelbe Karte. Am Mittwoch erklärt er via SPD-Pressedienst zum Gesetzentwurf über die Kindergrundsicherung unter anderem ganz unverstellt: „Ich habe bereits vor Wochen angekündigt, dass ich Gesetzentwürfe, die das Bundeskabinett oder Teile von ihm unter Vorbehalt stellt, nicht im parlamentarischen Bereich akzeptieren werde. Deswegen wird die SPD-Fraktion bis zum Abschluss dieser Prüfung keine parlamentarischen Beratungen beginnen. Wir erwarten, dass die Voraussetzungen dafür von Seiten der Bundesregierung rasch geschaffen werden. “

„Bundeskabinett oder Teile von ihm“ – das ist eine schallende Ohrfeige für die „grüne“ Familienministerin Lisa Paus. Der Jurist Mützenich hatte offenbar die Nase voll von dem Herumgewürge am Paus’schen Gesetzentwurf, an dem schon seit Wochen wegen vieler Unklarheiten herumgedoktert wird.

Ist jetzt wieder Friede, Freude, Eierkuchen?

Man kann nur hoffen, dass es in Kabinett und Koalition weiter knallt. Denn die „grüne“ Veto- und Minderheitsdiktatur beschleunigt den Absturz Deutschlands. Warten wir die Ergebnisse der Landtagswahlen vom 8. Oktober in Bayern und in Hessen ab. Die „Grünen“ können zwar immer noch darauf hoffen, dass sie über die gutsituierten Gutmenschen sowie Welten- und Klimaretter wieder rund 15 Prozent einfahren. Aber einem SPD-Kanzler Scholz kann es, will er 2025 wieder antreten, nicht egal sein, wenn seine Partei in Bayern erneut unter 10 Prozent bleibt und in Hessen deutlich unter 20 Prozent abstürzt. Scholz muss handeln. Er muss endlich an die klassische SPD-Klientel denken, die „grünen“ Traumtänzereien abblocken und Leute wie Faeser und Lauterbach rasch auswechseln. Eine disruptive Kreativität würde der Koalition guttun. Vielleicht legt Scholz doch noch zu einen unfallfreien Joggingzwischenspurt hin.

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