Tichys Einblick
Zugeschüttet und wenig beachtet

Ein neues Habeck’sches 60-Milliarden-Loch schafft es kaum in die Schlagzeilen

50 neue Gaskraftwerke sollen beim Übergang auf erneuerbare Energien die Stromversorgung absichern. Für deren Bau fehlt Habeck allerdings viel Geld, wie eine Analyse nun zeigt. Es gibt über das von „Karlsruhe“ gerügte 60-Milliarden-Loch hinaus ein zweites 60-Milliarden-Loch. Wie schön für Habeck, dass diese Meldung von drei Ereignissen medial überdeckt wird.

IMAGO
Vizekanzler, Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) ist echt ein Glückspilz. Da droht ihm bis 2030 (so er dann noch im Amt ist) für die Sicherung der Stromversorgung ein neues Finanzierungsdesaster in der Größenordnung von 60 Milliarden Euro. Aber diese Meldung wird weitestgehend in den Hintergrund gedrängt von drei anderen Meldungen.

Erstens: Habeck sieht sich am Abend des 4. Januar bei seiner Rückkehr von einem Ausflug von protestierenden Bauern bedrängt, als er im Hafen von Schlüttsiel (Kreis Nordfriesland) von einer Fähre an Land gehen will. Er erntet darob querbeet Solidarität und Empathie. Von „Verrohung der politischen Sitten“, von einem „aufgepeitschten Mob“ von Bauern, von der „Überschreitung demokratischer Grenzen“, von „feuchten Träumen von Umstürzlern“ ist aus der Ecke der Ampel-Parteien die Rede. Der Bauernverband distanziert sich pflichtschuldigst von der Protestblockade.

Zweitens: Nach Berechnungen der „Denkfabrik Agora Energiewende“ hat Deutschland im Jahr 2023 so wenig Treibhausgase produziert wie seit sieben Jahrzehnten nicht mehr. Zudem sei der CO2-Ausstoß gegenüber 2022 um 73 Millionen Tonnen auf insgesamt 673 Millionen Tonnen gesunken – was einem Rückgang von 46 Prozent im Vergleich zu 1990 entspreche. So die Agora-Studie, die am 4. Januar veröffentlicht wurde.

Apropos „Agora“: Von dort rekrutierte (Vettern-)Wirtschaftsminister Habeck Teile seines Spitzenpersonals. Wir erinnern uns an die Affäre um den damaligen Staatssekretär Patrick Graichen, die maßgeblich von TE aufgedeckt worden war und Mitte Mai 2023 zu Graichens Rücktritt geführt hatte. Zudem würden wir gerne wissen, in welchem Umfang die Reduzierung des CO2-Ausstoßes mit der Ampel-gerechten Deindustrialisierung Deutschlands zu tun hat.

Drittens: In Verzückung war Habeck ja schon am 3. Januar geraten. Grund: Die Bundesnetzagentur hatte für 2023 die ersten Daten zur deutschen Stromversorgung veröffentlicht. Ergebnis: „Zum ersten Mal kommt sichtbar mehr als die Hälfte unseres Stroms aus Erneuerbaren Energien.“ Konkret ist von 55 Prozent die Rede.

Am 4. Januar indes völlig untergegangen: Es fehlen 60 Milliarden für Reservekraftwerke

Alles recht und schön. Aber: Um Stromausfälle beim Übergang auf erneuerbare Energien und bei Wind- und Sonnenflauten zu vermeiden, sind Back-up-Kraftwerke, also Reservekraftwerke, notwendig. Für deren Bau fehlt nach Expertenangaben sehr viel Geld. Das belegt eine Analyse des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Uni Köln (EWI) für das Handelsblatt. EWI-Experte Philipp Kienscherf sagte dem Handelsblatt, bis 2030 könnten „für den Neubau von Kraftwerken in Deutschland rechnerische Deckungsbeiträge in Höhe von rund 60 Milliarden Euro fehlen“. Das EWI nennt damit einen Preis, den die Kraftwerksstrategie hätte, an der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seit Monaten ohne konkrete Ergebnisse arbeitet.

Konkret geht es um rund 50 neue Gaskraftwerke, die bis 2030 gebaut sein sollen, um die wetterabhängige Windkraft- und Solarstrom-Produktion auszugleichen. Das heißt: Jährlich müssen rund sieben solcher Gaskraftwerke gebaut und in Betrieb genommen werden. Diese sollen nach dem Willen der Klimapolitiker später allesamt auf Wasserstoff umrüstbar sein. Habecks Ministerium selbst schätzt, dass bis 2030 neue Gaskraftwerke mit einer Leistung von rund 24 Gigawatt (GW) gebaut werden müssen. (Die letzten drei im April 2023 abgeschalteten KKW hatten eine Leistung von 4,3 GW, alle einst in Deutschland vorhandenen Reaktoren eine Leistung in der Größenordnung der Hälfte der genannten 26 GW.) Investoren, die zu solchen Gas- bzw. Wasserstoff-Projekten bereit wären, fanden sich bislang jedenfalls nicht. Zu groß sind die Unsicherheiten bei der Gasversorgung und bei der Frage der Verfügbarkeit von Wasserstoff. Das heißt: Es gibt über das von „Karlsruhe“ gerügte 60-Milliarden-Loch hinaus ein zweites 60-Milliarden-Loch.

Erschwerend kommt hinzu, dass die EU-Kommission die Zuschüsse wettbewerbsrechtlich genehmigen muss. Dass die Bundesregierung sogar die Standorte für die zu bauenden Kraftwerke vorgeben will, ist aus Brüsseler Sicht bislang ein bisschen zu viel Planwirtschaft. Die Gespräche mit der EU-Kommission dauern an.

Das kann ja „lustig“ werden, zumal man auch die bis April 2023 voll funktionsfähigen Kernkraftwerke funktionsunfähig machen möchte. Wenn die neue Habeck’sche Kraftwerksstrategie also nicht bald kommt, hat das zur Folge, dass im schlimmsten Fall kein einziges der für 2030 notwendigen Kraftwerke am Netz sein wird. Diese seien aber zur Absicherung des Hochlaufs der wetterabhängigen Erneuerbaren essenziell, mahnte Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU): Ohne Kraftwerksstrategie „droht uns eine Versorgungslücke – oder der Kohleausstieg kann nicht wie geplant stattfinden“.

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