Tichys Einblick
Die politische Pandemie

Wer den Mund aufmacht, wird vernichtet

Die RKI-Papiere zeigen: Die Corona-Maßnahmen waren eine rein politische Entscheidung. Dazu passt: Wer zu Mäßigung aufrief, wurde wirtschaftlich und sozial vernichtet. Stephan Kohn im BMI warnte schon vor dem ersten Lockdown vor den Folgen der Maßnahmen. Dafür bangt er um seine Existenz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Bundesinnenminister Horst Seehofer

IMAGO / Jens Schicke
Wer den Beamten Stephan Kohn besucht, der erlebt ihn beim Füttern von Lämmern. Von den Müttern verstoßen müssen sie mit einer Nuckel-Flasche aufgezogen werden. Kohn hat Zeit. Er ist Beamter, aber suspendiert. Derzeit kämpft er einen verzweifelten Kampf vor Gerichten um seine Stelle und Pension.

Kohn hat ein schweres Vergehen hinter sich. Er hat vor den Folgen der Corona-Politik gewarnt. An ihm wird ein Exempel statuiert, was mit dem Beamten geschieht, der auch nur einen Millimeter von der Rergierungslinie in Sachen Corona abweicht. Sogar, wenn es sein Job ist. Sogar, wenn Kritik nur intern und mit Beweisen unterlegt vorgetragen wird.

Im Frühjahr 2020 erreicht die Corona-Pandemie Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel weiß, was sie von Corona hält. Die Medien folgen ihrer Interpretation. Erst ordnen sie Corona als „rechtes Narrativ“ ein. Der Bayrische Rundfunk warnt in einem Video ausdrücklich davor, „Populisten“ würden Panik verbreiten wollen. Die Heute Show sendet einen Beitrag, der sich über Leute lustig macht, die Vorkehrungen treffen. Das war am 3. Februar. Schon kurze Zeit später ist SARS-CoV-2 eine gefährliche Krankheit, die Medien schlagen Alarm. Am 27. Februar setzt die Bundesregierung einen Krisenstab ein.

Dann geht es Schlag auf Schlag: Massentests werden durchgeführt, die Zahl der positiv Getesteten steigt schnell an – aber ebenso schnell steigt die Zahl der durchgeführten Tests. Wer viel sucht, der findet auch viel. Versammlungsverbote, Reiseverbote und Einschränkungen der Bürgerrechte folgen.

Tichys Einblick veröffentlicht ein brisantes Papier aus dem Bundesinnenministerium. Es warnt: Eine Gefahrenanalyse der Maßnahmen findet nicht statt. RKI und Krisenstab prüfen nicht, ob die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht Probleme verursachen, die möglicherweise größer sind als ihre Schutzwirkung. Die Maßnahmen werden im Zuge eines undurchschaubaren politischen Entscheidungsprozesses getroffen. Fachleute und zuständige Dienststellen der Bundesregierung werden nicht einbezogen.

Der Autor des Papiers beschreibt später den Krisenstab als eine Art „Sekretariat“, das politische Befehle empfängt und durchführt. Das zu hinterfragen, traut sich niemand. Wie die von Multipolar freigeklagten Protokolle des RKI belegen, hatte er damit recht. Die Entscheidungen des RKI wurden auf politischen Druck getroffen und dann wissenschaftlich angestrichen.

Der Autor des Papiers ist der Beamte Stephan Kohn. Seine Aufgabe ist der Schutz kritischer Infrastruktur – und er beschäftigt sich damit, wie die Corona-Maßnahmen eben diese Infrastruktur, zum Beispiel die Stromversorgung, gefährden.

Schon im Vorwort schreibt er:

„Die erst wenige Wochen alte Coronakrise dürfte zu den größten Herausforderungen gehören, mit denen unser Land es je zu tun hatte. Die Krisenstäbe, und das Krisenmanagement als Ganzes, leisten mit hohem persönlichem Einsatz eine extrem wichtige und zugleich die schwierigste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Das Krisenmanagement entscheidet faktisch über Leben und Tod. Es bestimmt mit seinen Entscheidungen, wem unsere Gesellschaft eine Überlebenschance gibt und wen sie sterben lässt. Jeden Tag aufs Neue. Für wen werden welche Behandlungsmöglichkeiten reserviert, und wem wird die Behandlung – wie z.B. eine geplante wichtige OP – versagt? Weitere Werte unserer Gesellschaft sind bedroht, materielle (zu denen die Gesundheit gehört) wie ideelle. Auch ein Gemeinwesen kann ‚sterben‘. Entscheidungen zu treffen ist unvermeidbar. Ich möchte mit meiner Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass die Abwägungsprozesse so professionell wie möglich erfolgen können.“

Das Dokument legt die grundlegenden Probleme der Krisenpolitik offen: Es gibt keinen Mechanismus, damit die Notbremse gezogen werden kann, wenn die Krisenpolitik zum Krisenverursacher wird. Die Analyse ist kein Pamphlet eines Aufrührers. Es ist keine Zusammenstellung von Halbwahrheiten eines Verschwörungstheoretikers. Kohn stellt eine These auf und versucht, sie zu untermauern. Das fertige Dokument reicht er dann die bürokratische Leiter hoch. Doch schon bei seinem direkten Vorgesetzten versandet es. Der will von Kritik am Vorgehen des Ministers nichts hören. Als Beamter weiß Kohn aber, wie das Spiel geht – und wie man mit den Regularien jonglieren kann. Sein Referat hat während dieser Wochen keinen Referatsleiter. Als Stellvertreter ist Kohn damit selbst amtierender Leiter – und darf entscheiden, wann ein Dokument weitergegeben werden soll. In Folge versendet er es an die Landes- und Bundeskrisenstäbe.

Die Mächtigen hören nie gerne, was sie falsch gemacht haben. Auch nicht Horst Seehofer: Kohns Warnung vor den Folgen der Corona-Maßnahmen wird von einem Dritten an Tichys Einblick gegeben. TE veröffentlicht die vollen 86 Seiten. In der Bundespressekonferenz damit konfrontiert macht Horst Seehofer Kohn als den Überbringer der Nachricht lächerlich. Die Pressemeute heult und lacht. Kohn passt nicht ins Narrativ der großen Bedrohung, Seehofers Spott wirkt. Kohn wird diskreditiert. Es handele sich um „eine Privatmeinung“ eines Beamten, der über seine Kompetenzen hinausgegangen wäre: So lautet die Stellungnahme des Ministeriums. Die Medien spielen das Spiel mit.

Am Ende soll Kohn nicht nur seine Stelle, sondern auch seine Beamten-Pension verlieren. Die ersten Instanzen sind schnell durchschritten, innerhalb von zwei Jahren entscheiden die Gerichte, wofür sie sonst bis zu sechs Jahre brauchen. Nun liegt eine Beschwerde Kohns seit zwei Jahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Das Ministerium behauptet vor Gericht, Kohn habe gegen das besondere Vertrauensverhältnis verstoßen, das zwischen Minister und Beamten herrschen müsse. Daher muss er wirtschaftlich vernichtet werden. Doch Kohn berichtet: Bevor es zum ersten Treffen vor Gericht kam, wurde ihm ein Vergleich angeboten. Wenn Kohn nur Ruhe gäbe und eine Degradierung akzeptierte, könne man ihn im Verfassungsschutz unterbringen.

Die Personalie Kohn ist ein wichtiges Puzzleteil in der Corona-Politik. Sie war rein politisch getrieben – Ziel war die Durchsetzung der Maßnahmen, nicht eine Abwägung der Angemessenheit und möglicher Nebenwirkungen. Der Politik geht es um Durchsetzung. Wer stört, wird auf die Seite geräumt. Der Machtapparat reagiert gnadenlos. Wer Zweifel anmeldet, wird vernichtet. Wie Kohn.

Wenn Kohn seine letzte rechtliche Position verliert, dann war es das für ihn: Das Haus muss verkauft werden, die Pension ist weg. Ein Mann, der auf einen Missstand aufmerksam machen wollte, hat dann seine Existenz verloren. Dass er Recht behalten hat – das interessiert die kalte Maschinerie der Macht nicht. Der Minister, den er damit brüskierte, ist seit 2021 im Ruhestand. Mit vollen Bezügen.


Stephan Kohn können Sie auch im Tichys Einblick Talk erleben. In der Folge „Die Corona-Abrechnung“ diskutiert er mit Dr. Friedrich Pürner, Epidemiologe, und Giovanna Winterfeldt, Maßnahmen-Kritikerin, Roland Tichy und Frank Henkel über die Verantwortlichen, Schäden und Folgen der Corona-Maßnahmen:

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