Tichys Einblick
Aufschieben IST KEINE Lösung

Rentenkassen vor dem Kollaps – doch statt Konzepten nur beruhigende Schönfärberei

Der klassische Generationenvertrag existiert schlicht nicht mehr. Dennoch wird die Illusion aufrechterhalten.

IMAGO/Steinach

Bekanntlich kann man einen Kuchen nicht aufessen und ihn gleichzeitig für immer behalten wollen. Hier ist die Logik ebenso der Sieger wie bei dem unverrückbaren Fakt, daß ein Topf nicht mehr Wasser aufnehmen kann, als sein Volumen gestattet. Ganz so verhält es sich auch mit der Mentalität großer Teile unseres Volkes. So erwarten wir für alle Situationen des Lebens ein garantiertes Vollkasko-Paket. Der Wohlstand soll bleiben und wachsen, bei möglichst immer weniger Anstrengung. Energie brauchen wir alle, aber auch hier gilt der Wunsch, daß beim Hobeln der Bretter keinerlei Späne anfallen dürfen. Kurzum – die Quadratur des Kreises wird einfach vorausgesetzt, nur, wie das gehen soll, kann niemand sagen. Das ist so wie der Traum von der Null-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Eine Rechnung, die einfach nicht aufgehen kann. Ebenso wenig, wie immer weniger junge Leute immer mehr Pensionäre ernähren können. Der klassische Generationenvertrag existiert schlicht nicht mehr. Dennoch wird die Illusion aufrechterhalten.

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Schon jetzt muß ein Drittel des Rentenbudgets aus Steuermitteln aufgebracht werden. Bei Fortschreiten der bisherigen Entwicklung werden es in zwanzig Jahren schon 50 % sein. Wie soll das gehen? Zumal gleichzeitig die Illusion besteht, daß unser auf den Export angewiesenes Wirtschaftssystem in alle Ewigkeit so effizient und wettbewerbsstark funktioniert. Die Grundlage für Alles ist unsere Kreativität oder schlichtes Wissen, das nur durch beständige Neugier wächst und besteht. Die Wahrheit sieht aber auch hier anders aus. Ein Großteil der angebotenen Ausbildungsplätze, so klagen heute Industrie und Verbände, können erneut nicht besetzt werden. Dabei mangelt es nicht an Bewerbern. Aber viel zu Viele erfüllen nicht mehr die geringsten Anforderungen. Der Leistungsgedanke und die notwendige Lernatmosphäre an unseren Schulen ist seit Jahrzehnten so verlottert, daß einfach nichts anderes rauskommt.

Die Regierenden wissen das alles, doch wenn man nur in Legislaturperioden und an das eigene Wohlbefinden denkt, kann man keine Gedanken an die Zukunft der Gesellschaft verschwenden. Dann darf man auch auf keinen Fall zuviel der Wahrheit ausplaudern, denn die Wähler müssen bei Laune gehalten werden. Das beste Beispiel sind die Wahlkampagnen. Einlullen der Massen bei erneuten unerfüllbaren Versprechen. Wer diese Regel durchbricht, wird stigmatisiert und ausgegrenzt. Scheindebatten ersetzen überfällige Diskussionen. Dabei ist die Rechnung doch ganz einfach: Wenn zwei Generationen in Folge beschließen, im Sinne ihrer Selbstverwirklichung und des Lebensgenusses unter oftmals fadenscheinigen Begründungen auf Kinder zu verzichten, müssen sie gleichzeitig akzeptieren, daß ihr Egoismus im Alter seinen Preis hat. An der Verlängerung der Lebensarbeitszeit führt bei der gleichzeitig steigenden Lebenserwartung einfach kein Weg vorbei. Das muss nicht für alle Berufe gelten, aber für die meisten in der Büro- und Hochtechnikkultur. Die Alternative dazu ist Altersarmut und Rückentwicklung des Industriestandortes. Selbst die Enteignung aller „Reichen“ könnte dies nicht aufhalten.

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Neuerdings legen wieder Einige die uralte Platte von der Enthaltsamkeit und der Schönheit des vorindustriellen Lebens auf. Was das tägliche Leben in der Vergangenheit wirklich bedeutete, kann man zwar nachlesen, aber es interessiert Keinen. Es wäre den Apologeten der neuen Schlichtheit aber dringend zu empfehlen. Wieder andere fantasieren von verschiedenen Arten der Basisdemokratie. Nun ist es aber so, daß die meisten wichtigen Entscheidungen hoch differenzierte und vernetzte Problemlagen betreffen, dass sie letztlich nur – ob einem das paßt oder nicht – in einem Disput im Widerstreit befindlicher Eliten getroffen werden können. Je stärker ich die Basis verbreitere, umso versimplifizierender wird zwangsläufig die Debattenkultur. Am Ende stehen dann nur noch Begriffe zur Identifikation der jeweiligen Gruppenempfindungen. Der Ausweg besteht dann, wie schon so oft in der Geschichte, in der Herausbildung charismatischer Führungseliten, die unter Berufung auf die basisdemokratische Masse das schlimmste Unheil anrichten.

Auszuschließen sind solche Entwicklungen in der Geschichte übrigens nie. Eine erste Voraussetzung der Verhütung ist der Mut zur Wahrheit. „Weiter so Deutschland“ oder „Alles ist doch so wunderschön“ helfen da nicht weiter. Während das Wasser im Unterdeck schon spürbar steigt, werden in der VIP-Etage noch weiterhin unbekümmert die Gläser gefüllt.

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